Österreichische Rechtsextreme hetzen gegen den Politologen Thomas Schmidinger

Haider und der Stinkefinger

In Österreich hetzen rechte Organisationen gegen den Politologen Thomas Schmidinger. Anlass waren ein Facebook-Post und ein Jahre altes Foto in antifaschistischer Attitüde.

Jörg Haider sorgt wieder für Ärger, zumindest indirekt. Ein Foto, das vor sieben Jahren an dessen Unfallort in Lambichl bei Klagenfurt aufgenommen wurde, erhitzt derzeit manch österreichisches Gemüt. Darauf zu sehen ist der Politologe Thomas Schmidinger, der vor der Gedenkstätte für den Rechts­populisten den Stinkefinger in die Kamera hält. Nachdem ein rechter Studierendenverband das Foto entdeckt und in Umlauf gebracht hatte, begann eine Hetzkampagne gegen den Universitätslektor. Bevor das Bild auftauchte, empörte sich der Studierendenverband Ring Freiheitlicher Studenten (RFS), der der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) nahesteht, auf seiner Facebook-Seite »Stoppt den Wahnsinn« über einen von Schmidingers aktuellen Facebook-Posts. Am Jahrestag der Februarkämpfe von 1934 hatte dieser an den Republikanischen Schutzbund erinnert, der im österreichischen Bürgerkrieg gegen die Austrofaschisten kämpfte. Nach weiterer Recherche stießen die rechten Studierenden offensichtlich auf jenes Foto, das daraufhin in wenigen Tagen eine steile Karriere hinlegte. Nachdem der Vorsitzende der FPÖ, Heinz-Christian Strache, das Foto in sozialen Medien geteilt hatte, druckte es die auflagenstarke Gratiszeitung Heute auf ihre Titelseite. Schmidinger lehrt an der FH Vorarlberg, der Vorarlberger Bildungssprecher der FPÖ, Christoph Waibel, stellte dementsprechend eine Anfrage an die Schullandrätin des Landes und forderte Schmidingers Entlassung. Während der Kärntner FPÖ-Vorsitzende Gernot Darmann eine Entschuldigung forderte, drohte ein Kärntner Landtagsabgeordneter der rechts­populistischen Partei Team Stronach mit einer Anzeige. Ihren Höhepunkt erreichte die Kampagne, als Schmidinger vergangene Woche über Nacht 21 000 Drohmails erhielt. Der Absender Anonymus.ru steht dem Nachrichtenportal Standard.at zufolge im Zusammenhang mit dem rechtsextremen »Anonymous.Kollektiv«, das vor Schließung seiner Seite 400 000 Follower auf Facebook hatte. Schmidinger, der zu Kurdistan und jihadistischer Radikalisierung forscht, reagierte gelassen auf die Anfeindungen. Die Universität Wien und die FH Vorarlberg zeigten sich unbeeindruckt, außerdem habe er viele Solidaritäts­bekundungen erhalten. Immer wieder tritt Schmidinger öffentlich auf, gibt Fernsehinterviews zu Entwicklungen in der Türkei oder in Syrien und schreibt auch für die Jungle World. Oft äußert er sich zu Themen, die ein besonderes Interesse von Rechten erfahren. Das mache ihn zwar zu einem attraktiven Angriffsziel, es gehe hier aber nicht nur um seine Person: »Die Kampagne zeigt, wie Rechtsextreme versuchen, wieder Land an den Universitäten zu gewinnen«, so Schmidinger. Tatsächlich waren österreichische Universitäten zuletzt immer wieder Schauplatz extrem rechter Vorstöße: Im April 2016 stürmten Identitäre ein Theaterstück im Audimax der Universität Wien. Im Juni 2016 störten sie mit einer ähnlichen Aktion die Ringvorlesung »Flucht, Asyl und Migration« an der Universität Klagenfurt. Im vergangenen Januar war Norbert Hofer als Gast in einem Soziologieseminar der Universität Wien geladen. Proteste von Studierenden verhinderten jedoch, dass der ehemalige Präsidentschaftskandidat der FPÖ im Rahmen der Lehrveranstaltung »Soziologie der Randkultur« referieren konnte. In diesem Zusammenhang hätte Hofer sicherlich gerne von vermeintlichen Ungerechtigkeiten gegen österreichische Patrioten berichtet. So werden die Klagen von Rechten über »ideologisch verseuchte« und »linksextreme« Universitäten, in denen Andersdenkende systematisch ausgeschlossen würden, immer lauter. Der FPÖ-Vorsitzende Strache kommentierte Schmidingers Foto mit Verweis auf die Universität Wien, an der »ein Linksextremist offensichtlich die politische Mitte darstellt«. Die Anfrage an die Vorarlberger Schullandrätin trägt den Titel: »Parteipolitik hat an unseren Schulen nichts verloren!« In einer ähnlichen parlamentarischen Anfrage vom Juni 2016 beschwerte sich der FPÖ-Nationalratsabgeordnete Andreas Karlsböck darüber, dass das »Goldene Doktordiplom« aufgrund von »willkürlicher Ausgrenzung von honorigen Wissenschaftlern aus ideologischen und parteipolitischen Gründen« nicht an seinen ehemaligen Parteikollegen, den Juraprofessor Willi Brauneder, verliehen worden sei. Dass sich extrem Rechte als von Medien und Universitäten systematisch benachteiligt inszenieren, ist wenig überraschend in Österreich. Als Opfer sieht man sich gern, nicht nur von Linken; in großen Teilen versteht man sich auch immer noch als Opfer, nicht als Täter des Nationalsozialismus. Der Mittelfinger an Jörg Haiders Gedenkstätte ist deshalb ein besonders schmerzhafter Stachel im Fleisch vieler Patrioten. Der Sozialpsychologe Klaus Ottomeyer erklärte in seinem Buch »Jörg Haider – Mythenbildung und Erbschaft« die besondere Strahlkraft Haiders in seiner Funktion als »Rehabilitationsbeauftragter der Kriegsgeneration Österreich«. Als charisma­tische Führerfigur stellte er das verdrehte Geschichtsverständnis so ungeniert zur Schau wie kein anderer. Ein Grund, weshalb die Trauer um ihn weiterhin groß ist und eine abwertende Geste an seiner Gedenkstätte für viele als besonders pietätlos gilt.