In Mali bekämpfen Armee und Tuareg-Rebellen nun gemeinsam die Jihadisten

Malis gemischte Patrouillen

Neue Einheiten aus Regierungssoldaten und ehemaligen Tuareg-Separatisten sollen den jihadistischen Gruppen in Mali Einhalt gebieten.

Ein wahres Wechselbad der Gefühle scheint Frankreichs Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian durchzumachen. Anfang November meinte er noch, die Intervention im westafrikanischen Mali – die französische Armee griff dort erstmals im Januar 2013 ein – stehe kurz vor dem Scheitern (Jungle World 49/2016). Am Freitag voriger Woche hingegen verkündete der Bretone vom rechten Flügel der Sozialdemokratie: »Ich finde, wir sind auf dem richtigen Weg.« Der »Friedensprozess« im Norden Malis, so führte er nach einem Gespräch mit dem Staatspräsidenten des Landes, Ibrahim Boubacar Keïta, gegenüber der Presse aus, zeige »Anzeichen einer positiven Entwicklung«.
Die in Le Drians eigenen Worten »optimistische Einschätzung der Situation« rührt daher, dass am Donnerstag voriger Woche erstmals sogenannte gemischte Patrouillen unter der Schirmherrschaft des »operationsfähigen Koordinierungsmechanismus« MOC stattfinden konnten. Auf diese hat man bereits seit 18 Monaten gewartet. Es handelt sich um Einheiten, die sowohl bisherige Regierungssoldaten als auch frühere Rebellen der Tuareg-Separatisten und mit ihnen verbündete Verbände umfassen. Letztere sind in der »Koordination der Bewegungen für Azawad« zusammengefasst. Mit dem berberischen Namen »Azawad« bezeichnen die Sezessionisten die nördliche Hälfte des malischen Staatsgebiets oder zumindest einen Großteil davon. Die dritte Komponente der gemischten Einheiten bildet die »Plattform«. Bei ihr handelt es sich um loyalistische Gruppen vor allem aus der Minderheit der Imghad-Tuareg, die in der Vergangenheit auf der Seite des malischen Zentralstaats gegen die Sezessionisten kämpften, jedoch nicht direkt unter Regierungskontrolle standen.
Dass diese in der Vergangenheit gegeneinander kämpfenden Verbände zusammengefasst werden, ist eine Folge des Abkommens zwischen Zentralregierung und Tuareg-Separatisten, das ab September 2014 in der Hauptstadt des Nachbarlands Algerien ausgehandelt und im Juni 2015 feierlich unterzeichnet wurde (Jungle World 26/2015). Es spiegelt sich hierin aber auch die Tatsache, dass es im Prinzip einen gemeinsamen Feind gibt: die im Norden Malis nach wie vor sehr aktiven Jihadisten.
Die Jihadistenszene in Nordmali
Nur ein Teil der Jihadisten stammt aus dem Land selbst. Andere rekrutierten sich aus Arabern und Berbern aus dem mittelmeernahen Nordafrika, die in die Sahelzone geflohen waren, nachdem die bewaffneten Islamisten im Bürgerkrieg in Algerien während der Jahre 1992/93 bis 1999 unterlegen waren. Eine ihrer Gruppen nennt sich al-Mourabi­toun (Almoraviden), nach der Dynastie, die im 11. Jahrhundert im heutigen Maghreb regierte. Diese hatte einen Teil der Sahara und der Sahelzone unterworfen, das damalige Königreich Ghana – das einen Großteil Westafrikas bis hin zum heutigen Mauretanien umfasste – bezwungen, dabei den Islam auf Kosten des bislang dort vorherrschenden Animismus verbreitet und zugleich die Sklaverei eingeführt. Dieses historische Vorbild dürfte für schwarze Westafrikaner also wenig anziehend wirken; die Jihadistenmiliz rund um den algerischen Staatsbürger Mokhtar Belmokhtar, wegen seiner führenden Rolle im Zigarettenschmuggel auch Mr. Marlboro genannt, besteht überwiegend aus Nordafrikanern.
Hingegen bestand die konkurrierende Miliz Mujao (Bewegung für Gotteseinheit und Jihad in Westafrika) ursprünglich eher aus einheimischen Afrikanern. Sie wurde jedoch 2013 von Belmokhtars Miliz absorbiert. In den Reihen der gemeinsam gebildeten Gruppierung geben Araber und Berber ein­deutig den Ton an. Ähnliches gilt für »al-Qaida im Land des islamischen Maghreb« (Aqmi), die sich wegen ihrer Niederlagen in Algerien in die Sahara und den Sahel zurückgezogen hat. Im Dezember 2015 schwor Belmokhtar dem Aqmi-Anführer Abdelmalek Droukdel die Treue und unterstellte sich ihm formal. Aus einheimischen Maliern hingegen besteht die salafistische Miliz Ansar Dine (Verteidiger der Religion), die auf ihrem Höhepunkt 2012/13 bis zu 3 000 Kämpfer umfasst haben und mittlerweile noch maximal 800 Kombattanten zählen soll.
Im Norden Malis haben diese Gruppe ihre regionale Operationsbasis, über eine zweite verfügen sie im wüstenhaften Süden des Krisenstaats Libyen. In Nordmali sind sie aus geographischen Gründen schwer zu bekämpfen, aber auch wegen der Instabilität, die wegen der sonstigen politischen respektive ethnisierten Konflikte herrscht. Um diese anderweitigen Konflikte stillzustellen und die Jihadisten besser isolieren zu können, fusionierten die militärischen Verbände von Zentralstaat, Loyalisten und bisherigen Tuareg-­Separatisten.
Das ist nicht unproblematisch, zumal der sogenannte Friedensprozess auch mit der Integration von Milizenführern der Sezessionisten in die Armee und den öffentlichen Dienst und mit der Schaffung neuer Gebietskörperschaften in Gestalt zweier neuer Regionen einhergeht. Am Dienstag sollte die Bildung der neuen regionalen Interimsautoritäten beginnen. Davon befürchten viele die Schaffung einer neuen Führungsschicht, die sich vor allem selbst bereichern und auf lokaler Ebene bürokratische Eigeninteressen entwickeln dürfte. Zugleich schafft dieses Vorgehen zumindest die Voraussetzungen dafür, den Jihadisten besser zu ­begegnen, indem es sie von anderen Akteuren isoliert. Denn bislang hatten sie sich mal mit kriminellen Banden, mal mit den Sezessionisten verbündet.
Jihadis vs. Patrouillen
Aus Sicht der Jihadisten stellt die Fusion der drei Gruppen eine Bedrohung oder jedenfalls eine Einschränkung ihres Spielraums dar. Das MOC wurde deswegen am 18. Januar zum Ziel des bislang schwersten Attentats seit Jahren, dem in der nordöstlichen Regionalhauptstadt Gao mutmaßlich 77 Menschen zum Opfer fielen. Selbstmordattentäter hatten sich im Hof einer Kaserne, in der die gemischten Patrouillen zusammengestellt und ausgebildet wurden, in die Luft gesprengt. Die Miliz al-Mourabitoun bekannte sich wenig später zu der Attacke.
Das Attentat drohte die Aufstellung der gemischten Einheiten zu verzögern oder zu gefährden: Ein Drittel ihrer Mitglieder war zu Tode gekommen. Doch in den Wochen darauf häuften sich Meldungen von Freiwilligen und die Aufstellung der gemischten Einheiten wurde beschleunigt. Frankreichs Verteidigungsminister Le Drian fand sich am Freitag voriger Woche zu einem Truppenbesuch bei diesen seit dem Vortag erstmals im Einsatz befindlichen Patrouillen ein. Ihm zufolge sollen sie parallel zur französischen Streitmacht »Barkhane« zum Einsatz kommen, die seit 2014 für die gesamte westliche und mittlere Sahelzone zuständig ist und 4 000 Mann umfasst. Die »Operation Barkhane« ist jedoch politisch in der Defensive, unter anderem wegen eines Einsatzes am vor­vergangenen Sonntag in der Nähe von Kidal, bei der die französischen Truppen zwei mutmaßliche Kindersoldaten töteten, die bei den Jihadisten im Einsatz waren.
Eine neue Front
Vor knapp zwei Jahren haben die Jihadisten eine neue Front eröffnet, von der aus sie in anderen Staaten Westafrikas zu operieren versuchen – im Januar und im März 2016 kam es zu Attentaten in den Hauptstädten der Nachbarländer Burkina Faso und Côte d’Ivoire. Die bevölkerungsreichen Zentren West­afrikas sind vom wüstenhaften Norden Malis aus schwer zu erreichen. Doch die Jihadisten suchen eine Basis auch im dichter besiedelten geographischen Zentrum Malis, wo die salafistische Miliz Ansar Dine über einen Verbündeten verfügt, die sogenannte Befreiungsfront von Macina unter Amadou Koufa.
Dabei mischt sich die ideologisch begründete Aktivität der Jihadisten mit einem ethnisierten Konflikt, da sich Angehörige der Bevölkerungsgruppe der Peul im Raum Mopti durch die Bambara sprechende Mehrheitsbevölkerung benachteiligt fühlen. In der zweiten Februarwoche kam es zu etwa 20 Toten bei Zusammenstößen zwischen beiden Bevölkerungsgruppen. Die »Befreiungsfront von Macina« ­versucht diese Konflikte – bei denen es auch um Rivalitäten zwischen Ackerbauern und Viehzüchtern geht – in die ideologische Sprache der Jihadisten zu übersetzen. Die Staatsmacht sperrte eine Reihe von Peul ein, darunter nach Angaben ihres Anwalts Hassan Barry fast 200 Zivilisten ohne Bezug zum Jihadismus.
Erfreulicher entwickelte sich eine andere Art von Konflikten in den vergangenen Wochen. Die Netzpublikation Maliweb sprach am 9. Februar von einer »Streikepidemie«, die das Land erfasst habe. Die Front der Unzufriedenen, die sich auf sozialer Grundlage und nicht auf ethnisierter oder jihadistischer Basis zu Wort meldete, reichte von den Gerichtsdienern bis zu den Bergarbeitern in den Goldminen. Deren Lohnforderungen sind derzeit Gegenstand von Verhandlungen.