In Dresden stehen mutmaßliche Mitglieder der terroristischen »Gruppe Freital« vor Gericht

Rechter Terror vor Gericht

Vor dem Oberlandesgericht Dresden begann am Dienstag ein Prozess gegen sieben Männer und eine Frau. Ihnen wird vorgeworfen, die rechtsterroristische »Gruppe Freital« gegründet und zahlreiche Anschläge verübt zu haben. Die Opfer der Angriffe haben unterschiedliche Erwartungen an den Prozess.

Wenn Halim* in den Zeugenstand des Oberlandesgerichts gerufen wird, wird er seine Geschichte zum vierten Mal offiziellen Stellen erzählen. Er ist einer der Syrer, die von den Angriffen der »Gruppe Freital« betroffen waren. Am Küchenfenster seiner Wohngemeinschaft wurde ein Sprengsatz gezündet. Drei Bewohner retteten sich in den Flur, ein vierter zog sich schwere Gesichtsverletzungen zu. Kurz nach dem Überfall vernahm die örtliche Polizei erstmals Zeugen, darunter Halim. Wenige Tage später übernahm das Opera­tive Abwehrzentrum des polizeilichen Staatsschutzes in Sachsen den Fall und stellte Halim ein zweites Mal ähnliche Fragen. Einige Wochen später gab es eine dritte Vernehmung durch das Bundeskriminalamt (BKA). Inzwischen war der Fall bei der Bundesanwaltschaft gelandet.
Wie andere Flüchtlinge, die zu Opfern des rechten Terrors in Freital wurden, versteht Halim nicht, was der Prozess und die zahlreichen Verhöre ihm bringen sollen. Sein größtes Anliegen ist es, in Sicherheit zu leben. Das deutsche Rechtssystem und die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten haben ihm die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt der »Regionalen Arbeitsstellen für Bildung, In­tegration und Demokratie e. V.« (RAA Sachsen) inzwischen erklärt. Der Gerichtsprozess und die mögliche Verurteilung der Täter verbessern jedoch nicht seine Lebenssituation. Der Alltagsrassismus, den er in Freital erlebt, ist ungebrochen. Auf der Straße schief angeguckt, angepöbelt oder gar angespuckt zu werden, ist dort normal. Halim sagt, er könne nicht verstehen, »wie so etwas in einem Land wie Deutschland geschehen kann«. Der Gerichtsprozess gegen die Gruppe Freital hat derzeit keine Priorität in senem Leben. Die wichtigsten Fragen der betroffenen Geflüchteten sind: Wie bekomme ich einen Platz in einem der Integrationskurse, wie finde ich eine Arbeitsstelle und warum ist es so schwierig, eine Wohnung anzumieten? Neben den Anfeindungen auf der Straße erlebt Halim auch Formen struktureller Diskriminierung, die ihn beschäftigen.
Mehr als 30 Menschen sollen es sein, die vom Treiben der Gruppe Freital betroffen sind. Zwischen Juli und November 2015 sollen die Angeklagten gemeinsam mindestens sechs gezielte Anschläge verübt haben. Laut Anklageschrift fungierten dabei Timo S. und Patrick F. als Anführer. Mehrere Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte sowie der Sprengstoffanschlag auf das Auto eines Stadtrats der Linkspartei zählen zu den Taten der Gruppe. Beim Anschlag auf Halims WG war es nur dem Zufall zu verdanken, dass niemand getötet wurde. Ab September 2015 beschäftigte sich die Gruppe mit dem Bau von Rohrbomben. Im Oktober 2015 soll sie gemeinsam mit Mitgliedern der Freien Kameradschaft Dresden ein linkes Hausprojekt angegriffen haben. Dabei kamen Steine, Pyrotechnik und Buttersäure zum Einsatz. Für Kati Lang, eine Anwältin der Nebenkläger, spiegelt sich in den Taten »ein extrem rechtes, antidemokratisches Weltbild« wider. Im November wurden Mitglieder der Gruppe Freital verhaftet. »Die Angeklagten haben sich konspirativ organisiert, einen gemeinsamen Willen entwickelt und diesem entsprechend Taten begangen«, sagt Lang. In dem Dresdner Vorort Freital mit seinen knapp 40 000 Einwohnern und in dessen Nähe habe die Gruppe ein Klima der Angst und Einschüchterung verbreitet. »Das ist kurz gesagt rechter Terror.«
Erwartungsgemäß begann der erste Verhandlungstag mit einem Schlag­abtausch zwischen der Verteidigung und dem Vorsitzenden Richter Thomas Fresemann. Das Gericht verlegte den Termin zur Einreichung von Befangenheitsanträgen auf einen Zeitpunkt nach der Verlesung der Anklageschrift. Die Folge waren Proteste der Verteidiger. Sieben der acht Angeklagten verweigerten gegenüber dem Gericht die Angabe ihrer Personalien. Nach der Verlesung der Anklageschrift hagelte es Befangenheitsanträge und Besetzungsrügen gegen den Vorsitzenden Richter.
Martha* und Franz* vom linken Hausprojekt »Mangelwirtschaft« im Dresdner Stadtteil Übigau sagten der Jungle World, dass der Angriff der Neonazis für sie nicht überraschend gekommen sei. Seit dem Spätsommer 2015 hatten sich in direkter Nachbarschaft ihres Hauses Rassisten zusammengerottet. Diese demonstrierten unter dem Namen »Wir sind Übigau« gegen eine geplante Unterkunft für Flücht­linge. Sie waren gut vernetzt: Immer wieder tauchte das Who-is-who der regionalen Naziszene auf. Da die Mitglieder der »Mangelwirtschaft« sich für die Flüchtlinge engagierten, war es aus ihrer Sicht nur eine Frage der Zeit, bis auch sie zum Ziel der Gewalt würden. Für die Bewohnerinnen des Haus­projekts ist der Prozess ein Anlass, selbst tätig zu werden. Der Anschlag auf ihr Haus sei nur ein Symptom. Martha sagt: »Wir sind, wie viele andere auch, vor allem Betroffene einer rassistischen und aggressiven Gesamtstimmung in Sachsen.« Diese müsse mit Hilfe des Prozesses aufgearbeitet werden. Schließlich seien die Angeklagten die Prototypen der Neonazis, die die rassistische Stimmung genutzt haben, weil sie sich als die Vollstrecker eines allgemeinen Volkswillens fühlen konnten. Der Verein RAA Sachsen hat eigens für den Prozess eine Crowdfunding-Aktion begonnen, um die Erkenntnisse des Prozesses kontinuierlich zu dokumentieren.
Ein besonders hartes Urteil mit langen Haftstrafen ist aus Sicht von Franz nur dazu gut, dass die Gruppe während ihrer Haftzeit »keine Menschen außerhalb des Gefängnisses töten kann«. Viel wichtiger ist es für ihn, dass der Prozess das Umfeld der Rechts­terroristen offenlegt und verdeutlicht, dass Neonazis in Sachsen beste Verbindungen in verschiedene Teile der Gesellschaft haben. Zur Debatte stehen dabei auch Kontakte zu Polizeibeamten. Eine antifaschistische Kundgebung, die am Dienstagmorgen vor dem Gerichtsgebäude stattfand, zierte ein Transparent mit der Aufschrift: »Deutsche Polizisten informieren Terroristen!« Derzeit wird gegen einen sächsischen Polizisten ermittelt, der offenbar gute Kontakte zu den Terrorverdächtigen pflegte. Gegen zwei weitere Polizisten wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Geheimnisverrats bereits wieder eingestellt. »Diese Entscheidung halten wir für falsch«, sagt Lang der Jungle World und ergänzt: »Nach wie vor stehen für uns Fragen im Raum, ob die Nazis gewarnt, ob ihnen Informationen über das Verfahren zugesteckt wurden oder auch, ob Beamte sich gegenüber ihren Vorgesetzten hätten offenbaren müssen.«

* Name von der Redaktion geändert.