Die Karriere von Ozan Ceyhun führte von den Grünen zur AKP

Die Meinungsfreiheit des Erdogan-Beraters

Vom »Bündnis der neuen InländerInnen ImmiGrün« über das Europaparlament an die Seite des türkischen Präsidenten: Über die Karriere des deutsch-türkischen Politikers Ozan Ceyhun, der im Fall Deniz Yücel die Meinungsfreiheit auf eigenwillige Weise verteidigt.

Wenn es um Deutsch-Türkisches geht, ist der AKP-Politiker Ozan Ceyhun eigentlich Experte. In seiner Biographie spiegelt sich die jüngere Geschichte beider Länder und ihrer Beziehungen. 
Nach dem Militärputsch 1980 verlässt er die Türkei und kommt Anfang der achtziger Jahre in die Bundesrepublik mit ihrer wachsenden türkischen Community. Ceyhun lässt sich im hessischen Rüsselsheim nieder, heiratet, wird Vater zweier Söhne, arbeitet als Erzieher. Er en­gagiert sich für Integrations- und Europapolitik, erst bei den Grünen, dann in der SPD. Er arbeitet im ­hessischen Sozialministerium und im Vorstand des Rates für Integration. Im Europaparlament berät er den Parlamentspräsidenten und jetzigen SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz. 2010, rund 30 Jahre nach ­seiner Flucht aus der Türkei, beantragt er die türkische Staatsbürgerschaft, um in der Türkei Politik für die AKP zu machen. Schnell steigt er innerhalb der Partei auf und wird Berater der türkischen Regierung unter Recep Tayyip Erdoğan.In dieser Funktion begleitet er in der ­vergangenen Woche auch den tür­kischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu bei seinem umkämpften Wahlkampfauftritt vor AKP-Anhängern in Hamburg, der als vorläufiger Tiefpunkt im deutsch-türkischen Verhältnis gilt.
Ceyhan verteidigt den türkischen Wahlkampf in Deutschland als die natürlichste Sache der Welt. In Interviews, auf Twitter und in seiner Kolumne für die regierungsnahe türkische Zeitung Daily Sabah weist er jede Kritik an den Auftritten türkischer AKP-Politiker in europäischen Städten mit brüsken Anschuldigungen an die jeweiligen Regierungen zurück. Die Kundgebungen fielen unter das Gebot der Meinungsfreiheit.
»Meinungsfreiheit« ist ein Wort, das Ozan Ceyhun in diesen Tagen häufig benutzt, er spricht über Meinungsfreiheit in der türkischen und in der deutschen Gesellschaft. In der Türkei sieht er ein leuchtendes Beispiel für die Achtung derselben, in Deutschland werde sie immer häufiger missachtet. Auch im Fall Deniz Yücel hält Ceyhun die Meinungsfreiheit hoch – wenn auch nur die eigene. Angesprochen auf den Fall des inhaftierten Welt-Reporters sagte Ceyhun am 8. März als Studiogast bei Stern TV: »Ich halte von seiner journalistischen Tätigkeit nicht viel – nicht deshalb, weil er irgendwas gegen die Türkei geschrieben hat, (sondern) weil ich ihn seit Jahren kenne und was er bisher geschrieben hat bei der Tageszeitung und jetzt bei der Welt. Darüber kann ich meine freie Meinung äußern.« Ceyhun durfte seine Ansichten kundtun und Moderator Steffen Hallaschka hatte alle Mühe, dem auf­gebrachten Politiker seine Fragen zu stellen. Erdoğans Berater ließ das Publikum wissen, dass er grundsätzlich »immer kritisch (sei), wenn Journalisten im Gefängnis sind«, aber im Fall Yücels gebe es »Gründe, warum er im Gefängnis ist«. Er erwähnte in diesem Zusammenhang Berichte über einen Aufenthalt Yücels im deutschen Konsulat in Istanbul, blieb in seinen Ausführungen zu den Haftgründen aber vage. Sicher sei: »Er wird seinen Prozess bekommen und die Sache wird rechtsstaatlich laufen.« Zugleich betonte er, dass er Yücel aus seiner Zeit in Deutschland kenne. »Er ist dort geboren, wo meine Söhne geboren sind: in Flörsheim.«
Dass der ehemalige Europa-Ab­geordnete und heutige Berater Erdoğans mit Germanistikstudium und deutschem Erzieherdiplom Entgegenkommen im Fall des in der Türkei inhaftierten Journalisten ­signalisieren würde, war nicht zu erwarten. Dass in der Türkei inzwischen mehr Journalisten inhaftiert sind als in China, stellt er in Abrede. »Es gibt Menschen«, so Ceyhun, »die behaupten, sie seien Journalisten. Aber ist jeder, der behauptet, ich bin ein Journalist, ein Journalist?«
Ceyhun, 1960 geboren im türkischen Adana, kommt aus einer Familie, in der die Freiheit der Worte Bedeutung gehabt haben muss. Sein Vater ist der türkische Schriftsteller und Soziologe Ceyhun Demirtaş, der zahlreiche Romane und Bücher über Geschichte, Soziologie und Psychologie veröffentlichte und Herausgeber der Zeitschrift Politika war. Ozan Ceyhun studierte in Ankara Germanistik und rechnete sich der türkischen Linken zu. Nach dem ­Militärputsch floh er vor der einsetzenden Verhaftungswelle über Wien nach Deutschland und landet eher zufällig im hessischen Rüsselsheim.
Mit Cem Özdemir verband ihn in der Anfangszeit der Grünen eine politische Freundschaft. Zu Beginn der Neunziger gehörten beide zu den Gründungsmitgliedern des »Bündnis der neuen InländerInnen ImmiGrün«. »Bei uns machen die Einwanderer selber Politik«, freute sich Özdemir reichlich paternalistisch. Mit dem Wechsel Ceyhuns zur SPD im Jahr 2000, der er bis 2012 angehörte, trennten sich ihre Wege. Den unrühmlichen Schlusspunkt im Verhältnis beider Politiker setzte Ceyhun, als er auf dem Gipfel der AKP-Kampagne gegen den Vorsitzenden der deutschen Grünen in einem Fernsehinterview behauptete, Özdemir werde von der Gülen-Bewegung instrumentalisiert. Ein Vorwurf, mit dem eine Reihe von Politikern und Publizisten bedacht wurden, die sich wie Özdemir für die Annahme der Armenien-Resolution im deutschen Bundestag eingesetzt hatten.
Mit seinem Austritt aus der SPD kehrte Ceyhun der deutschen Politik den Rücken und wechselte zunächst in die Wirtschaft, bevor er seine Abkehr in dem programmatischen Buch »Man wird nie Deutscher« begründete. Eine Einladung des gerade wiedergewählten Gerhard Schröder ins Bundeskanzleramt schildert Ceyhun als Schlüsselszene, die seinen Ausstieg bewirkt habe. Schröder habe sich bei ihm für seine Unterstützung im Wahlkampf bedanken wollen, dann aber gefragt: »Warum haben deine Landsleute eigentlich diesen Erdoğan gewählt?« Eine kumpelhafte Formulierung, mit der Schröder die eigene staatsbürgerschaftsrechtliche Agenda verraten, sein Gegenüber zum Türken gestempelt und die Arbeit des Politikers demontiert habe. »Ich habe mir gedacht: Sieh es doch einfach ein, akzeptiere es endlich: Man wird nie Deutscher.«
Inzwischen hat Ceyhun mit der deutschen Politik abgeschlossen und seine neue Rolle gefunden. Früher mobilisierte er türkischstämmige Wähler für die SPD, heute schwört er sie auf die AKP ein. Die Einführung des Präsidialsystems preist er als demokratischen Fortschritt in der Türkei und Sieg über die geltende Verfassung, die noch immer die Handschrift der am Putsch von 1980 beteiligten Generäle trage. Den Traum von der Herrschaft des Volkes scheint der ehemals Ceyhun heute im Referendum über die neue Ver­fassung verwirklicht zu sehen. Der Volksentscheid, so Ceyhun, ist ein »revolutionärer Schritt«.