Mikrowohnungen und die Zukunft der Stadt

Ab in den Wohnsarg

Sogenannte Mikrowohnungen künden von einer Zukunft der Städte, die eine Zumutung zu werden verspricht.

Wie könnte wohl die Stadt der Zukunft aussehen? Im Zentrum Bürotürme der Banken, Headquarters und Flagship­stores der großen Konzerne, dazu ein paar Verwaltungsgebäude und hübsch aufbereitete touristische Sehenswürdigkeiten plus Hotels plus Luxuslofts – und an den Stadträndern eine Ansammlung von Wohnmobilen, Holzhütten und improvisierten Unterbringungen für all jene, die gezwungen sind, Dienstleistungen verschiedenster Art (Reinigung, Gastronomie, Prostitution – nur zum Beispiel) zu erbringen, um die Geschäfte im Zentrum am Laufen zu halten. Wo sollten sie denn sonst auch hin, diese Elenden, mag man einwerfen. Tatsächlich begleitet die Frage, wie man wohl die Arbeitermassen verwahren könnte, die Geschichte der modernen Architektur.
Diese Frage ist zugegebenermaßen etwas in den Hintergrund getreten, auch weil sich die bekannteren Architekten der Gegenwart mehrheitlich lieber so schicken wie repräsentativen Museumsbauten widmen als dem sozialen Wohnungsbau. Der aber stand am Beginn einer Tradition modernen Bauens, der des Bauhauses. Das Bauhaus wurde 1919 in Weimar von Martin Gropius begründet, der vor dem Ersten Weltkrieg als Assistent von Peter Behrens Erfahrungen mit Industriebauten neuen Stils gemacht hatte – man denke an die über Eck gehende Glasfassade der Fagus-Werke. Es entwickelte sich zu einer Schule des Bauens, die soziale Aufgaben mit den Mitteln der Architektur zu lösen anstrebte. Gropius’ Nachfolger ab 1928, der Sozialist Hannes Meyer, pointierte das in der Losung: »Volksbedarf statt Luxusbedarf!«
Doch nicht nur das Bauhaus interessierte sich für eine soziale Architektur. Bruno Taut – bekannt beispielsweise durch die Hufeisensiedlung in Berlin-Britz –, Hans Scharoun und andere versuchten, mit neuen architektonischen Mitteln für die Bedürfnisse der arbeitenden Klasse zu bauen. Der Architekt Le Corbusier versprach mit seinen Bauten auch jenen den Zugang zu Licht und Luft, die bislang in den dunklen und feuchten Hinterhofwohnlöchern hausen mussten – ein fassbarer und sinnlich erlebbarer Fortschritt, zumindest für einige. 
Nun wurden dieser Tage in Berlin neue Bauprojekte vorgestellt, die sich sowohl in der Tradition des Bauhauses als auch der sozialen Architektur verstehen. In den nächsten Monaten sollen 20 »Tiny Houses«, also Kleinsthäuser, präsentiert werden. Veranstalter ist der Bauhaus-Campus, der wiederum von der Tiny­house University ins Leben gerufen wurde, laut Selbstbeschreibung »ein Berliner Kollektiv aus Gestaltern, Bildungsaktivisten und Geflüchteten«, dem zahlreiche Start-up-Unternehmen angeschlossen sind.
Den Auftakt der Reihe von »Tiny Houses« machte eine »100-Euro-Wohnung«. Die Berliner Zeitung beschrieb sie so: »Das kleine Holzhaus auf Rädern birgt Kochecke und Dusche, Schlafkoje und Arbeitsplatz auf engstem Raum – gerade gemütlich für eine Person.«

Die Künstler, deren Kunst offenbar in der kreativen Bewältigung unzumutbarer Lebensumstände besteht, sollen also neue Modelle des Überlebens entwickeln. Und was ein Künstler überlebt hat, ist dann wohl auch von allen anderen zu fordern

Zweifellos ist alles vorhanden, was ein Mensch zum Überleben braucht. Aber ist damit die Frage, wie wir leben wollen, überhaupt berührt? Geht es nach den Veranstaltern des Bauhaus-Campus, werden wir die Holzkisten wollen müssen, weil die Zukunft anderes einfach nicht mehr zulässt: »Wie gestalten wir Nachbarschaften in einer wachsenden Stadt und in einer Einwanderungsgesellschaft? Wie wollen wir heute wohnen, arbeiten, lernen und lehren, um die großen Herausforderungen der Zukunft zu meistern?« Als wäre es nicht schon eine mehr als dubiose Utopie, allein in einer Holzkiste zu hausen, was ja eigentlich den Menschen nach dem Leben vorbehalten sein sollte, suggeriert die Rede vom »Wir«, der Ideologie »der großen Familie der Menschen« (Roland Barthes), dass es bei dem Projekt um mehr als die pure Verwaltung von Elend gehe. Geht es aber nicht, denn es ist kaum ernsthaft vorstellbar, dass irgendwer die Villa im Grunewald oder in Blankenese aufgeben wird, um in einer hölzernen Verwahranstalt durch die Gegend zu rollen, weil das so wundervoll zukünftig ist. Diese Zukunft wird also nur für all jene gebaut, die sowieso keine Wahl haben werden.

Wofür aber dann die ganzen schönen Worte? Die braucht es, weil es sich beim Bauhaus-Campus nicht um eine sozialpolitische Maßnahme handelt, für die man möglicherweise als Zwischenlösung Verständnis aufbringen könnte, sondern explizit um ein »künstlerisches Experiment«. Und das passt bestens nach Berlin. Denn wie der ehemalige SPD-Kulturstaatssekretär Tim Renner kürzlich im Tagesspiegel unter der Überschrift »Was wir vom prekären Leben der Künstler lernen können« ausführte, braucht man die Künstler vor allem als Versuchskaninchen dafür, welche neue Stufe der Verelendung der Bevölkerung noch zuzumuten ist. »Künstlerinnen und Künstler sind, auch ob ihrer eigenen Lebenssituation, Seismographen für gesellschaftliche Veränderung. Sie werden nicht durch große Strukturen oder Systeme vor technologischem oder sozialem Wandel geschützt. Sie bekommen ihn unmittelbar und ungebremst ab«, so Renner. Die Künstler, deren Kunst offenbar in der kreativen Bewältigung unzumutbarer Lebensumstände besteht, sollen also neue Modelle des Überlebens entwickeln. Und was ein Künstler überlebt hat, ist dann wohl auch von allen anderen zu fordern. Schöne neue Welt, in der Experimente nur der Perfektionierung der sinnlosen Unterwerfung von Menschenunter ebenso sinnlose gesellschaftliche Imperative dienen. Diese drücken sich auch im Trend zu Mikrowohnungen aus. Auf engsten Raum werden möglichst kompakte und multifunktionale Wohnlösungen entwickelt, in deren miniaturisierten Abläufen nur die Bewohner noch einen potentiellen Störfaktor darstellen. Um nicht falsch verstanden zu werden: Platz- und ressourcenschonende Verfahren zu entwickeln, kann für Architekten und Designer eine sehr anspruchsvolle Aufgabe und eine wichtige Erfahrung sein. Wie auch die Wiederentdeckung des modularen Bauens fügt sich das aber gegenwärtig unter den Primat der Gewinnsteigerung der Immobilienfirmen und Grundbesitzer. So werden auch mobile Zwischenlösungen inzwischen zu permanenten Bauten umfunktioniert – wie die zukunftsträchtige Containerunterbringung, inzwischen erfolgreich an Studenten getestet. Auch die Elendsviertel taugen als Geschäftsmodell, kritisierte einst schon Mike Davis in seinem Buch »Planet der Slums«. Die Rede von der Knappheit des Wohnraums und des Baulands ist insoweit irreführend, als man sich die Städte nur anschauen muss, um zu sehen, dass die behauptete Alternativlosigkeit nur Ideologie ist: All die leer stehenden Bürogebäude, die Zweit- und Drittwohnungen, die touristisch genutzten Wohneinheiten zeugen vor allem von einer Gesellschaft, die ausschließlich auf die Vermehrung von Kapital als Selbstzweck zugeschnitten ist.

Nimmt man das aber als Bauvorgabe schlicht so hin, macht man sich der Komplizenschaft an der Reduktion des Menschen schuldig, die unter Berücksichtigung der existierenden produktiven Möglichkeiten schlicht unmenschlich ist. In diesem Dilemma befand sich schon das Bauhaus im vergangenen Jahrhundert: Weil man den Bedürfnissen der Arbeiter entgegenkommen wollte, passte man sich ihrer erzwungenen Bedürfnislosigkeit an. Dieser Zwangszusammenhang ist zu durchschauen und zu reflektieren, denn ohne Kritik dieser Gesellschaft und ihrer unwirtlichen Städte sind Kunst, Kultur und Architektur wirklich nicht mehr als Hilfsmittel der Verwaltung. Nicht immer weniger zu wollen, sondern im Gegenteil bewusst die eigenen und kollektiven Bedürfnisse zu entwickeln, wäre Aufgabe einer zukünftigen Architektur. Vielleicht lohnt dafür ein Blick in die Vergangenheit. Das Gründungsmanifest des Bauhauses von 1919 war mit einem Holzschnitt von Lyonel Feininger versehen. Man nannte ihn: »Die Kathedrale des Sozialismus« – nicht Richtung Erdloch, sondern Richtung Himmel sollte das Bauen ausgreifen.