In Armenien stehen Parlamentswahlen an

Armdrücken um die Macht

In Armenien wird am 2. April ein neues Parlament gewählt. Die ­regierende Republikanische Partei wird vermutlich gewinnen. Doch um einen Wettstreit der Ideen geht es bei der Abstimmung nicht.

Wahlkampf wird in einigen Teilen Armeniens noch als echter körperlicher Kampf verstanden. Am 20. März berichteten die Medien des Landes, dass im etwa eine Autostunde von der Hauptstadt Eriwan gelegenen Dorf Kutschak Anhänger der regierenden Republikanischen Partei (HHK) einen politischen Gegner niedergestochen und schwer verletzt hätten. Aram Asatrjan leitete das Kampagnenbüro des Wahlbündnisses des Oligarchen Gagik Zarukjan, Blühendes Armenien (BHK). Die Polizei nahm bislang keinen Verdächtigen fest. Die HHK bestreitet ­jegliche Beteiligung an der Tat.
Die Wahl der neuen Nationalversammlung am 2. April wird in dem Land im Südkaukasus schon vor dem Termin von Gewalt begleitet. Meist waren nach Informationen des armenischen Dienstes von Radio Free Europe/Radio Liberty Schläger im Umfeld der HHK beteiligt. Neben dem Bündnis Zarukjans waren auch Unterstützer anderer Oppositionskräfte von Übergriffen betroffen. Piotr Świtalski, der Leiter der EU-Delegation in Armenien, drückte seine Besorgnis darüber aus, dass eine Nichtbestrafung der Täter den reibungslosen Ablauf der Wahl gefährden könnte.

Viele der offiziell 2,5 Millionen wahlberechtigten Armenierinnen und Armenier blicken nicht nur aufgrund dieser Zwischenfälle misstrauisch und resigniert auf die Abstimmung. Die vergangenen Wahlen waren nach Ansicht externer Wahlbeobachter wie der OSZE oft zwar nicht von Fälschungen, aber von Unregelmäßigkeiten ­gezeichnet. Die HHK von Präsident Sersch Sargsjan ist seit 1999 die stärkste Fraktion im Parlament und wird es nach Ansicht der meisten Analysten auch bleiben. »Die Partei steht unter großer öffentlicher Kritik. Doch mit dem heutigen Wahlsystem, den Bestechungsgeldern und den Verwaltungsstrukturen werden sie vermutlich wieder viele Stimmen gewinnen«, sagt Stepan Grigorjan vom Analytical Centre on Globalization and Regional Cooperation in Eriwan im Gespräch mit der Jungle World.
Die Wahlen am 2. April sind die ersten unter dem neuen politischen System des Landes. In einem von Sersch Sargsjans Regierung eingeleiteten Referendum über eine Verfassungsän­derung stimmten die Armenierinnen und Armenier bei einer Beteiligung von nur etwa 50 Prozent im vergangenen Jahr für den Übergang der bishe­rigen semipräsidialen hin zu einer parlamentarischen Staatsform. Ab 2018 soll dem Präsidenten nur noch eine zeremonielle Funktion zukommen. Das Parlament hingegen wird gestärkt und der Ministerpräsident soll die Regierungsgeschäfte übernehmen. Die meisten Bürgerinnen und Bürger des Landes sind jedoch schlecht über die neuen Zuständigkeiten informiert. »Viele wissen gar nicht, dass die Parlamentswahlen ab jetzt die einzigen gesamtstaatlichen Wahlen sind«, so der Analyst Grigorjan. Zudem befürchten viele, dass die Verfassungsänderung ein Schachzug der HHK war, um die jetzige Führungsschicht länger an der Macht zu halten. Da Präsident Sargsjan nach dem Ende seiner zweiten Amtszeit 2018 keine weitere erlaubt ist, könnte er in das Amt des Ministerpräsidenten wechseln wollen.

Nicht nur die Partei des Präsidenten ist wegen der großen Abwanderung, einer hohen Arbeitslosigkeit und der verbreiteten Korruption unbeliebt. Auch die Opposition genießt wenig Vertrauen.

Doch nicht nur die Partei des Präsidenten ist wegen der großen Abwanderung, einer hohen Arbeitslosigkeit und der verbreiteten Korruption unbeliebt. Auch die Opposition genießt ­wenig Vertrauen. Der ehemalige Arm­wrestling-Weltmeister Gagik Zarukjan wurde mit einem Konglomerat aus Cognacbrennerien, Pharmafirmen und Möbelfabriken zum Multimillionär. Nach der Jahrtausendwende mischte er sich in die Politik des Landes ein und gründete mit Blühendes Armenien seine eigene Partei, die nach der HHK zur zweitstärksten Kraft in der Nationalversammlung avanciert ist. Zarukjan gilt als hochkorrupt und ist bekannt dafür, sich Wählergunst durch Geldgeschenke und Zusagen für Bauprojekte im ländlichen Armenien zu erkaufen. Sein 15-Punkte-Programm enthält unter anderem Versprechen wie eine dreijährige Steuerfreiheit für kleine und mittlere Unternehmen, finanzielle Hilfen für Universitätsstudenten sowie eine Deckelung von Elektrizitätskosten. Wie er das mit dem knappen Staatshaushalt finanzieren will, verrät er nicht. Trotz seines populistischen Gebarens vermied er es, die Regierung von Sersch Sargsjan wegen der Probleme im Land anzugreifen. Stattdessen sagte er, dass die Armenierinnen und Armenier selbst für ihre Probleme verantwortlich seien. »Das Volk ist schuld, weil es nicht zur Wahl geht und die Programme nicht liest«, so Zarukjan.
Lewon Ter-Petrosjan, der von 1991 bis 1998 der erste Präsident Armeniens war, tritt mit seinem Armenischen Nationalkongress im Verbund der Armenischen Volkspartei an. Er setzt sich für eine Verhandlungslösung mit dem benachbarten Aserbaidschan im Konflikt um das von Armenien besetzte Gebiet Berg­karabach ein und will Teile des Territoriums abtreten. Da derartige Konzes­sionen an das als Erzfeind wahrgenommene Aserbaidschan für die Mehrheit der armenischen Bevölkerung indiskutabel sind, dürfte er keinen großen Erfolg haben. Bessere Chancen hat lediglich die Allianz des ehemaligen Verteidigungsministers und früheren HHK-Mitglieds Seyran Ohanjan mit dem prowestlichen Raffi Hovhannisian, dem Vorsitzenden der liberalen Partei Erbe. Ohanjan pries das benachbarte Georgien als Vorbild, da Reformen die Korruption dort eindämmen konnten.

»Eine wirkliche Opposition gibt es in Armenien nicht«, sagt die deutsche Armenien-Forscherin Tessa Hofmann. Statt politischer Gegenmodelle, die von Parteien verkörpert werden, gebe es eine Politik, die sich an Einzelper­sonen festmacht. Strukturelle Probleme wie die hohe Jugendarbeitslosigkeit und die Abwanderung würden von keiner der Parteien angegangen. Hofmann sagt außerdem: »Wir beobachten eine Retraditionalisierung der armenischen Gesellschaft.« Dies äußere sich in der fehlenden Gesetzgebung gegen häusliche Gewalt, gezielten Abtreibungen weiblicher Föten und der Diskriminierung Homosexueller. Nur 10,7 Prozent aller Abgeordneten in Armenien sind Frauen – eine Quote, die weit unter dem europäischen Durchschnitt liegt. Auch das war kein Thema im Wahlkampf.

Viele Menschen in Armenien gehen erst gar nicht zur Wahl. Einer davon ist Anna Schahnazarjan. Die Umweltschützerin engagiert sich gegen Korruption in der Bergbauindustrie des Landes. »Die Regierung und die Oppositionsparteien sind ein Club der Eliten«, sagt sie. »Dieses System muss zerstört werden und Platz für etwas Neues schaffen, das Bestechungen und Manipulationen nicht mehr zulässt.«