Ein Gespräch mit Constantin Schreiber, der sich in deutschen Moscheen umgehört hat

»Warnung vor dem Leben draußen«

Der Journalist Constantin Schreiber wollte wissen, was Imame in Deutschland predigen. Während seiner achtmonatigen Recherche hat er deutsche Moscheen besucht und am Freitagsgebet teilgenommen.
Interview Von

Wie kam es zu Ihrem Buch?
Ich bin vor einem Jahr eher zufällig in einer Freitagspredigt gelandet. Ich war vorher schon häufig in einer Moschee, aber eben nie zur Freitagspredigt. Und ich bin dann, als ich mich umgeschaut habe, in ausliegenden Broschüren auf sehr problematische Inhalte gestoßen. Das war antidemokratisch, da wurde gesagt: »Die Demokratie ist eine westliche Krankheit.« Der Imam verwickelte mich in ein ganz eigenartiges Gespräch, ein Moscheebesucher kam auf mich zu und sagte von sich selbst, er sei Islamist. Ich hatte damit überhaupt nicht gerechnet. Ich dachte, das wird vielleicht wie ein christlicher Gottesdienst ablaufen. Das hat mich mehrere Tage sehr beschäftigt und dann habe ich beschlossen, dem nachzugehen und mir das regelmäßig ­anzuhören.
 

»Die Türkei war ganz klar die Heimat. Wenn von ›Heimat‹, ›unserer Nation‹, ›unserem Zuhause‹ die Rede war, dann war niemals Deutschland gemeint, sondern immer die Türkei. Das ging dann so weit, dass ein Imam auf meine Frage, ob er auch Kontakte zu Deutschen habe, antwortete, er habe durchaus auch Kontakt zu seinen ›ausländischen Mitbürgern‹.« 

Sie berichten auch von Ihren Schwierigkeiten, Statistiken über die Zahl der Muslime in Deutschland und Moscheen zu erhalten.
Ich fand das interessant. Politiker und auch wir Journalisten operieren häufig mit Zahlen, und wenn man dann hinterfragt, wie diese Zahlen in Hinblick auf deutsche Muslime zustande kommen, merkt man, dass das alles sehr vage Schätzungen sind. Vor allem aber weiß man gar nicht, wo die Moscheen sind. Es gibt ein paar erkennbare Gebäude, die man im Stadtbild sieht, aber die durchschnittliche deutsche Moschee ist in einer Tiefgarage, in einem Hinterhof oder in einer ehemaligen Fabrik. 
 

Wie sind die Räume gestaltet?
Es gibt ein paar repräsentative Gebäude wie in Berlin die Neuköllner Şehitlik-Moschee oder die Omar-Moschee in Kreuzberg. In Hamburg gibt es eine wunderschöne blaue Moschee, die Imam-Ali-Moschee, direkt an der Alster, aber das sind Ausnahmen. Normalerweise sind das improvisierte Räumlichkeiten. Da hat man dann etwas unbeholfen ein paar arabische Kalligraphien an die Betonwand gemalt, da wurden ein paar Girlanden im Zwischenraum gespannt, damit es bunter wirkt. Eine Tiefgarage im Winter ist kein schöner Ort zum Beten. Man muss auch zugestehen, dass die Orte, an denen Muslime in Deutschland beten, häufig ihren Außenseitercharakter unterstützen. Wenn man sich im Winter in einem zugigen Keller trifft, dann hat man nicht das Gefühl, man ist auf Augenhöhe.
 

Sie beschreiben auch eine Orienierung an einer traditionellen orientalischen Ästhetik.
Zumindest gibt es in vielen Moscheen nichts Zeitgenössisches. Auch die meisten Kirchen in Deutschland sind alte Gebäude, aber es gibt auch eine moderne Architektur für christliche Sakralbauten. In der Architektur ist das ein eigener Zweig. Modernes Design gibt es offenbar bei Moscheen nicht. Die sehen immer noch so aus wie vor Hunderten von Jahren. Mit Gebetsteppichen, mit Gebetsnischen, die es ja geben muss, die aber sehr traditionell gestaltet sind.
 

Was war Ihr Ansatz bei der Recherche?
Ich habe vor allem versucht, die Ex­treme auszublenden. Mein Ansatz war es nicht, krasse Sachen aufzudecken. Ich glaube, die gibt es. Aber ich bin bewusst nicht zu Salafistentreffs gegangen, meine Frage war: Was bekommt man denn in einer normalen Moschee an einem normalen Freitag zu hören? Ich habe auch keine Moscheen besucht, die als Vorzeigeprojekte der Integration bekannt sind. Ich habe versucht, die Durchschnittsmoschee zu finden. Mein Buch ist natürlich nicht wissenschaftlich, es ist eine Reportage. Ich habe das Projekt alleine gemacht, konnte jeden Freitag nur in eine Moschee gehen. Das begrenzt die Fallzahl, mein Ansatz war ein journalistischer.
 

Und wie haben Sie ihre Moscheebesuche erlebt, wie wurde auf Sie reagiert?
Das war erstaunlich unkompliziert. Ich gebe zu, ich hatte vorher gedacht, dass das schwieriger sein würde, dass ich auffallen würde, dass man mich ansprechen würde, was ich hier wolle. Meine Erfahrung war aber eine ganz andere. Mich hat niemand gefragt, mich hat keiner angesprochen, es war total okay, dass ich da war. Hin und wieder kam ich mit den Menschen ins Gespräch. Syrische Flüchtlinge haben mich angesprochen. Einmal ging ein Mann durch die Moschee und hat allen die Hand gegeben, auch mir. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich besonders auffalle.
 

Was waren die dominierenden Themen in den Predigten?
Ein roter Faden – und ich wähle diese Formulierung sehr bewusst – war die Warnung vor dem Leben draußen, vor dem Leben in Deutschland. Das war nicht in jedem Fall aggressiv-radikal, das äußerte sich auch mal als Sorge um die eigene Identität, dann aber schon klar verbunden mit Bildern, sich als Muslime abzugrenzen und strenggläubig unter sich zu bleiben. Mal war es sehr explizit, wenn Sätze fielen wie: »Deutschland will dich auslöschen.« Dann gab es Inhalte, die waren einfach inakzeptabel, wie etwa in einer Moschee, wo gesagt wurde, ihr könnt nicht Schiiten und Demokraten sein. 


Sie machen deutlich, dass es bei den türkischen Predigten einen Unterschied gab.
Ja, grundsätzlich – immer verbunden mit dem Zusatz »in den Predigten, bei denen ich war« – muss man sagen, dass die türkischen Predigten immer politisch waren. Manchmal ganz offensichtlich, manchmal wurden Vergleiche und Bilder verwendet, deren Bedeutung ich erst recherchieren musste. Die arabischen Predigten hatten ein paar wenige politische Inhalte, waren aber in erster ­Linie theologisch, spirituell, konservativ und das hatte dann eine gesellschaftspolitische Bedeutung, aber es gab weniger den Bezug auf aktuelle politische Themen.
 

Haben Sie eine Steuerung durch die Herkunftsländer der Imame bemerkt?
Zur Steuerung kann ich nicht so viel sagen. Ich kann nur sagen, wie der Bezug etwa zur Türkei in den Predigten dargestellt wurde. Die Türkei war ganz klar die Heimat. Wenn von »Heimat, »unserer Nation«, »unserem Zuhause« die Rede war, dann war niemals Deutschland gemeint, sondern immer die Türkei. Das ging dann so weit, dass ein Imam auf meine Frage, ob er auch Kontakte zu Deutschen habe, antwortete, er habe durchaus auch Kontakt zu seinen »ausländischen Mitbürgern«. Die Deutschen in – in diesem Fall war ich in Karlsruhe – waren für ihn die Ausländer. Seine Weltsicht ging von der Türkei aus, von dort aus schaute er auf das Leben woanders.
 

Ein Ausgangspunkt Ihres Buches ist die Frage, ob es einen Unterschied gibt zwischen der Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit und dem, was tatsächlich gepredigt wird. Wie groß ist dieser Unterschied?
Das ist zunächst mal ein Phänomen, das Journalisten häufig begegnet. Es soll ja auch Politiker geben, die vor der Kamera anders reden. Das ist also nichts, was nur auf Moscheen zutrifft. Umso wichtiger aber, dass man auch mal hinter die Fassade schaut. Unternehmen haben etwa PR-Abteilungen, man überlegt sich genau, was man der Presse sagt. Das werfe ich niemandem vor. Wichtig ist es, vor Ort genau hinzuschauen, was tatsächlich geschieht. Transparenz ist der erste Schritt, um über den Islam in Deutschland eine ehrliche Debatte führen zu können.
 

Sie haben auch versucht, die Themen der Predigten mit den Imamen zu besprechen. Wie haben die reagiert?
In vielen Fällen hat das einfach nicht funktioniert. In einem Fall wurde mir das Gespräch offen verweigert, in anderen Fällen wurde es immer wieder hinausgezögert, bis es für die Buchveröffentlichung zu spät war, und bei den Gesprächen, die zustande kamen, waren die Imame sehr überrascht, dass sich einfach mal jemand eine Predigt angehört hat. Vor der Recherche wurde mir immer wieder gesagt, die Moscheen stehen allen offen, »die Deutschen sollen ruhig mal in eine Moschee gehen«. Und ich war verwundert, als dann gesagt wurde, »wieso haben Sie sich nicht angemeldet«, als ich sie beim Wort genommen habe. Es war eine große Überraschung da. In den arabischen Moscheen kann ich das ein bisschen verstehen. Die waren ein bisschen baff. 
 

Es ist vielleicht auch nicht selbstverständlich, dass ein deutscher Journalist Arabisch spricht. 
Bei manchen Gesprächen wichen die Inhalte doch sehr stark ab von dem, was in der Predigt zu hören war. Sie sagten mir: »klar sind Moscheen Orte der Integration«, in den Predigten war das aber nicht so. Und manchmal waren die Gespräche inhaltich auch durchaus problematisch. In einer Predigt wurde gegen Yeziden gehetzt und der Imam sagte mir danach, er sei dafür, dass in keinem Land der Welt Yeziden leben sollen. Das ist offen rassistisch.
 

Einerseits wurden Ihnen gegenüber problematische Aussagen offen wiederholt, andererseits schreiben Sie auch, dass den Imamen bewusst war, welche Aus­sagen als problematisch gelten könnten und wo man sich besser ausweichend äußern sollte.
Das war von Person zu Person unterschiedlich. In dem Fall mit den Yeziden war überhaupt kein Unrechtsbewusstsein erkennbar, das war für ihn eine normale Weltsicht. Andere hatten das Gefühl, wenn man sie darauf anspricht, müssen sie sagen, dass sie »natürlich die Integration unterstützen«.
 

Sie haben viele Flüchtlinge und Jugendliche in den Moscheen gesehen. Sie schreiben an einer Stelle, dass Sie nicht sicher sind, wie stark die Wirkung der Predigten wirklich ist oder ob, wie etwa bei lutheranischen Predigten in den zwanziger Jahren, ein gewisser Moralismus von einer Predigt erwartet wird, der dann im Alltag aber nicht handlungsleitend ist. Wie schätzen Sie den Einfluss der Predigten ein?
Das wirkt natürlich auf jede Person unterschiedlich. Aus meinem Erleben bei den regelmäßigen Besuchen kann ich aber sagen: Das macht schon was mit einem, wenn man permanent, also jede Woche am Freitag, solchen Inhalten ausgesetzt ist. Wenn man sehr gut im realen Leben verhaftet ist und man ein dickes Fell hat, lässt man das vielleicht nicht so schnell an einen ran. Aber gerade Flüchtlinge oder Menschen, die das Leben in Deutschland nicht so gut kennen, müssen eine große Transferleistung vollbringen, um zu vermitteln zwischen dem, was draußen ist, und dem, was in der Moschee gepredigt wird. Und das kann es ja eigentlich nicht sein.
 

Sie schreiben, dass die Stellung der Frau oder Gender-Themen in den von Ihnen besuchten Predigten – entgegen der Prominenz des Themas in den deutschen Medien – fast gar keine Rolle gespielt haben.
In den Predigten, die ich besucht habe, in der Tat nicht, aber meine Reportage hat nur Stichprobencharakter. Trotzdem hat es mich doch sehr überrascht. Für uns ist es ein sehr präsentes Thema, in den Moscheen war es das nicht. Es gab ganz selten Frauen in den Moscheen. Das hängt auch davon ab, ob es Gebetsräume für Frauen gibt. Es ist auch erlaubt, dass Frauen hinter den Männern beten, aber das habe ich in keiner Moschee gesehen. Es gab ein paar Moscheen mit Gebetsräumen für Frauen und damit waren diese faktisch nicht zu sehen, weil die Frauenräume eigene Eingänge haben oder durch einen Vorhang abgetrennt sind.
 

Im Buch machen Sie deutlich, dass dem Verfassungsschutz bei der Beobachtung von Moscheen mit sehr konservativen Predigten die Hände gebunden sind. Ein Experte, der anonym bleiben will, sagt, im Grund müsse man alle Moscheen beobachten. Wie sollte Deutschland mit dem umgehen, was in Moscheen gepredigt wird?
Ich bin Journalist und kein Politiker. Die Debatte muss in Deutschland breit geführt werden. Ich bin in die Moscheen gegangen, stellvertretend für andere, um mir einen Eindruck zu verschaffen und auch hinter die Tür zu schauen. Ich kann nur sagen, was mir aufgefallen ist. Lasst uns erst mal eine Debatte über die Inhalte führen, ein bisschen mehr Transparenz hilft ja schon. Ich glaube fest daran: Reden hilft. Bis jetzt wurde gesellschaftlich noch nie debattiert über das, was in deutschen Moscheen gepredigt wird – außer wenn mal ein besonders krasses Video aufgetaucht ist, aber das reicht nicht. Und da sollten auch alle muslimischen Mitbürger mitdiskutieren. Welche Rolle haben Moscheen, wie nehmen sie diese wahr, wie sieht modernes muslimisches Leben in Deutschland heute aus und wird das in den Moscheen überhaupt angemessen widergespiegelt?


In ihrem Fazit zeigen Sie sich nüchtern-enttäuscht. Man bekommt bei den von Ihnen beschriebenen Predigten nicht den Eindruck, dass hier eine starke Community aktiv gegen Deutschland mobilisiert wird, sondern eher, dass diese nach innen gefestigt werden soll, dass man Angst hat, dass man zersplittert ist. Für mich ist das kein Bild der Stärke.
Das strahlt es auf mich auch aus. Auch in den Predigten, die nicht explizit vor Deutschland warnen, kommt das vor. Ängstlichkeit und Identitätsangst ist ein ganz großer ­Antrieb, es gibt viel Verunsicherung. Ich habe in meinen Gesprächen mit den Imamen immer auch gefragt, was Integration für sie bedeutet, und damit wusste niemand etwas anzufangen. Das ist spiegelbildlich: Von außen werden Forderungen an einen herangetragen, es gibt die Erwartung, man solle sich verändern, aber was das heißt, das ist unklar und irgendwie will man das auch nicht.
 

Auch bei Islamwissenschaftlern sind Sie auf eine gewisse Reserviertheit gestoßen. Auf Ihre Anfragen haben viele sehr zurückhaltend oder ablehnend reagiert.
Normalerweise bieten sich Islamwissenschaftler den Redaktionen gerne an, aber als ich mich gemeldet habe, war das anders. Ich habe Ihnen die Predigten nach einer ersten Anfrage zugeschickt, dann kam aber in der Mehrzahl der Fälle keine Reaktion mehr, die Leute waren dann nicht mehr zu erreichen. Das hinterließ bei mir den Eindruck, dass ihnen die Auseinandersetzung zu schwierig war – die Predigten als theologische Texte sind schwere Kost – oder dass man es einfach nicht wollte.


Was könnte der Grund dafür sein?
Da kann ich nur spekulieren. Aber es gab eine Rückmeldung von einer Frau, die mir indirekt geraten hat, das Projekt fallen zu lassen, weil es Gräben vertiefen könne. Ein Gedanke, den ich zwar nachvollziehen kann, der aber trotzdem nicht weiterhilft. Wenn man auf Augenhöhe in einem Land miteinander lebt, muss man eine solche Debatte – die man auch respektvoll führen kann – auch zulassen.
 

Constantin Schreiber: Inside Islam. ­Ullstein, Berlin 2017, 256 Seiten, 18 Euro