Small Talk mit Ulli Gladik von der Bettlerlobby über verzerrende Berichte

»Als Mitglied einer Bettelbande bezeichnet«

»Bettlerterror am Ostermarkt in Floridsdorf« titelte die Zeitung Österreich in der vergangenen Woche. Die Wiener Organisation »Bettlerlobby«, die Rechtshilfe für Bettler vor allem aus Osteuropa leistet, hat der Darstellung widersprochen, organisierte Banden bettelten in der Stadt. Ulli Gladik von der »Bettlerlobby« hat mit der Jungle World über den Vorfall gesprochen.
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Mit welchen Enthüllungen konnte die Zeitung im Detail aufwarten?
Im Wiener Stadtteil Floridsdorf gibt es zurzeit einen Ostermarkt. Er besteht hauptsächlich aus Ramschgschäftln und Fetzenstandln, wie man hier sagen würde. Es gibt billige Spielsachen und Klamotten. Die Stimmung ist nicht sonderlich gehoben. Die Zeitung Österreich ist der Ansicht, daran sei eine rumänische Bettlerbande schuld, die die Leute terrorisiere. Im Auftrag der Zeitung wurden in Floridsdorf Bettler fotografiert, die Bilder wurden veröffentlicht mit Beschreibungen wie »Dieser Mann gilt als Kapo der Bettelbande« und »Sogar Rollstuhlfahrer muss betteln«. Ein junger Mann, der in der Zeitung als Mitglied einer Bettelbande bezeichnet und abgebildet wurde, hat sich an die Bettellobby gewandt.

Wird er rechtliche Schritte einleiten?
Er hat sich sehr über die Darstellung geärgert. Wir haben deshalb auch unseren Anwalt kontaktiert. Rechtliche Schritte sind also geplant.
Ist diese Form der Berichterstattung in diesem Medium ein Einzelfall?
Nein. Wir hatten vor zwei Jahren den Fall eines Mannes, der zweimal in der Zeitung abgebildet worden war. Er wurde mit sogenannten aggressiven Bettelbanden in Zusammenhang gebracht. Er hat Schadenersatzklage erhoben und Unterlassung gefordert. Auch in zweiter Instanz hat der Kläger recht erhalten. Der Schadenersatz betrug 2500 Euro.

Wie reagieren Öffentlichkeit und Politik auf solche Vorfälle?
Ich habe unser Video zu dem Fall am Donnerstag voriger Woche online gestellt. Mittlerweile haben es 80 000 Interessierte gesehen und Tausende geteilt. Wir haben sehr viele Zuschriften bekommen, in denen Leute ihre Hilfe angeboten haben. Von politischer Seite habe ich noch keine Rückmeldungen erhalten. Die Zeitung hat aber einen Tag nach dem ersten Artikel einen weiteren veröffentlicht mit dem Tenor: Nach unserer Berichterstattung muss die Bezirkspolitik nun reagieren. Die Überschrift lautete: »SPÖ ruft zum Bettlergipfel in Floridsdorf«. Österreich hat das als Erfolg verkauft.

Wie hat die Zeitung auf die Erwiderung der Bettlerlobby reagiert?
Sie hat sich am Samstag bei uns gemeldet mit dem Vorschlag, etwas über das Schicksal des Bettlers zu schreiben. Von einer Richtigstellung war jedoch nicht die Rede. Sollte die Zeitung etwas über den Mann schreiben wollen, wäre dies aber an konkrete Forderungen geknüpft. Eine Richtigstellung wäre erforderlich, ebenso Schadenersatz. Zudem müsste die Zeitung in Zukunft solche Behauptungen unterlassen. Eine Antwort auf die Forderungen steht noch aus.

Den Vorwurf, »Bettelbanden« seien am Werk, gibt es nicht nur in Wien. Was können Sie aus Ihrer Erfahrung dazu sagen?
Selbstverständlich organisieren sich Bettler. Häufig geschieht dies im Familien- oder Nachbarschaftskreis. Man sieht das auch daran, dass die Leute immer aus bestimmten Regionen kommen, in denen sich herumgesprochen hat, dass man sich in Österreich mit dem Betteln über Wasser halten kann. Um aus dem Ausland nach Österreich zu kommen, muss man sich, wie jeder Mensch, der verreist, selbstverständlich organisieren. Ankommende erhalten meist bei denen Unterschlupf, die schon länger hier sind. Die Bettler tauschen sich darüber aus, wo die besten Bedingungen herrschen. Es gibt selbstverständlich auch Streit um Bettelplätze. Die Rede von den Bettelbanden suggeriert aber, dass es eine Art Mafia gebe, die Leute zum Betteln zwinge und ausbeute. Diese Gerüchte kursieren seit Jahren und werden dazu genutzt, Bettelverbote durchzusetzen. Wir von der Bettellobby und andere, die sich mit dem Thema beschäftigen, haben solche kriminellen Großorganisationen noch nicht entdeckt. Es kann vorkommen, dass einer den anderen ausbeutet, gerade Behinderte sind betroffen. Das sind aber ganz seltene Fälle. Nichtbehinderte Bettler können sich gegen Ausbeutungsversuche zur Wehr setzen.