In der AfD eskaliert vor dem Bundesparteitag der Richtungsstreit

Wie viel Nähe zu Hitler darf’s denn sein?

Die AfD verliert sich in Richtungskämpfen. Vor ihrem Bundesparteitag am 22. und 23. April droht der Partei eine Eskalation des Strategie­streits. Der Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen läuft derweil nur stockend an.

Auf dem Marktplatz im Essener Stadtteil Altenessen, umgeben von Absperrgittern und Einsatzfahrzeugen der Polizei, begann die »Alternative für Deutschland« (AfD) am Samstagmittag ihren Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen. Im bevölkerungsreichsten Bundesland wird Mitte Mai ein neuer Landtag gewählt. Schon vor Beginn der Veranstaltung war es nicht gut für die rechte Partei gelaufen. Die Aufstellung einer Hüpfburg und eines Bierwagens hatte ihr die Stadtverwaltung verboten. Eine Band hatte am Vorabend abgesagt. So konnte die AfD nur den Schlagersänger Marco Kloss aufbieten, der sich abmühte, die versammelten Fans zu begeistern. Interessanter war ohnehin, was sich zu diesem Zeitpunkt hinter der Bühne abspielte.

Das Verhältnis zwischen den beiden AfD-Bundesvorsitzenden gilt seit langem als angespannt. Jörg Meuthen ist kein Fan von Frauke Petrys »Zukunftsantrag«.

Kurz nacheinander trafen der AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen und die Bundessprecherin Frauke Petry mit ihrem Ehemann Marcus Pretzell ein, dem AfD-Spitzenkandidaten für die nordrhein-westfälische Landtagswahl. Während Meuthen mit lokalen AfD-Funktionären plauderte, ging seine Widersacherin Petry wortlos an ihm vorbei und verschwand in einem Zelt neben der Bühne. Meuthen betrat das Zelt nicht. Nur wenige Minuten sprachen die beiden in Essen miteinander. Das Verhältnis zwischen den AfD-Vorsitzenden gilt seit langem als angespannt.

Für neuen Ärger dürfte Petrys Vorschlag für einen »Zukunftsantrag« sorgen. In dem Papier, für das online Unterstützer gesammelt werden, äußert sie sich eindeutig: Die AfD müsse ein klares liberal-konservatives Profil entwickeln und sich realpolitischer positionieren. Eine fundamentaloppositionelle Linie, wie sie von Teilen der Partei verfolgt werde, nehme zu viel Zeit in Anspruch. Auch das Ziel formuliert Petry deutlich: nach der Bundestagswahl 2021 regieren. Als Beispiel für die fundamentaloppositionelle Strategie nennt sie Alexander Gauland. Ein solches Vorgehen zerstöre die realpolitischen Versuche, »Stützen der Gesellschaft« und Intellektuelle für die AfD zu gewinnen. Die »abseitigen« Positionen, die teilweise vertreten würden, betrachtet Petry als kontraproduktiv.

Meuthen ist kein Fan von Petrys Antrag. In Essen sagte er, der gehe »gar nicht«. Die AfD müsse Geschlossenheit zeigen. Die Unterscheidung zwischen Realpolitikern und Fundamentaloppositionellen im Antrag sei »konstruiert«. Ähnlich wie Meuthen scheinen es einige in der AfD zu sehen. Die Vorsitzenden von zwölf Landesverbänden lehnten den Antrag in der wöchentlichen Telefonkonferenz ab. Unter dem Motto »Zukunft gemeinsam« gibt es mittlerweile eine Gruppe, die dazu auffordert, den Antrag in Köln von der Tagesordnung zu streichen. Die vom sachsen-anhaltinischen AfD-Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider geführte »Patriotische Plattform« und die innerhalb der Partei rechtsaußen stehende Gruppierung »Der Flügel« bewerben »Zukunft gemeinsam« sehr aktiv.

In Essen ging es derweil volkstümlich zu. Um Guido Reil zu begrüßen, den Star der AfD im Essener Norden, wurde gemeinsam der Steigermarsch gesungen, die traditionelle Bergarbeiterhymne. Reil, der den Wahlkampfauftakt maßgeblich organisiert hat, tat das, was er am besten kann – er arbeitet sich an der SPD ab: Johannes Rau, langjähriger SPD-Ministerpräsident des Bundeslandes, »würde sich im Grab umdrehen« angesichts der gegenwärtigen Politik der Sozialdemokraten, so Reil. Er war 26 Jahre Mitglied der SPD und auf ihrer Liste in den Essener Stadtrat gewählt worden. Im Zuge der Flüchtlingsdebatte trat er aus und wenig später in die AfD ein. Diese präsentiert Reil im ganzen Land als den Bergmann aus dem Ruhrgebiet. Er ist mit seiner kumpelhaften Art ein guter Straßenwahlkämpfer, das hat er bei der SPD gelernt. Inhaltlich bietet er nicht viel. Arbeitsplätze und Sozialleistungen zuerst für Deutsche, darin erschöpft sich sein Programm.

Ein Sozialdemokrat am Rand des Platzes in Essen rief immer wieder: »Reil, wie tief bist du gesunken?« Der Rufer wirft seinem ehemaligen Genossen vor, ein Pöstchenjäger zu sein. Doch mit Posten sieht es zurzeit schlecht aus für Reil. Auf der Liste für den Landtag steht er nur auf Platz 26 – die AfD mag keine ambitionierten Neulinge. Pretzell prophezeit zwar ein zweistelliges Ergebnis, doch derzeit liegt die AfD bei Umfragen in Nordrhein-Westfalen nur zwischen sieben und neun Prozent. Pretzell sagt auch, dass er Reil die Direktwahl zutraue. Der Eindruck entstand bei der Veranstaltung auf dem Altenessener Marktplatz freilich nicht. Von den 400 Menschen waren viele aus anderen Bundesländern angereiste AfD-Mitglieder. Auch kleine Gruppen aus Pegida-Demonstranten und Neonazis hatten sich eingefunden. Sie lieferten sich Wortgefechte mit Gegendemons­tranten und versorgten sich mehrfach am nahegelegenen Kiosk mit Bier. Einige von ihnen freuten sich über Selfies mit Frauke Petry, die untereinander derbe kommentiert wurden.
Von Petrys Antirassismusantrag und dem neuen Manöver gegen Björn Höcke hatten sie vermutlich noch nichts gehört. Petry will das Grundsatzprogramm der AfD um einen Satz ergänzen, demzufolge in der AfD für »rassistische, antisemitische, völkische und nationalistische Ideologien« kein Platz sei. Außerdem wird in dem von Petry mitunterzeichneten Parteiausschlussantrag gegen Höcke diesem attestiert, seine Äußerungen wiesen nicht zufällig eine Wort- und Sinnverwandtschaft zu Hitlers Reden auf. Der thüringische Landes- und Fraktionsvorsitzende pflege eine »übergroße Nähe zum Nationalsozialismus«. Höcke schade der AfD durch seine Inhalte und könne zu einem Verbotsgrund für die Partei werden. Eine etwas weniger große Nähe zu Hitler ist für Petry, die den eng mit der NS-Ideologie verknüpften Begriff »völkisch« positiv besetzen will, offenbar akzeptabel.
Ein AfD-Funktionär kommentierte in Essen Petrys Vorschläge lakonisch. Ihr gefalle es wohl zu gut bei »den Reichen und Mächtigen«, so etwas werde von der Mitgliedschaft allerdings »nicht goutiert«. Essen sei ein guter Ort, um an den Letzten zu denken, der sich so präsentiert habe, sagt der Mann noch und lächelt. In Essen war Bernd Lucke vor zwei Jahren entmachtet worden – auf maßgebliches Betreiben Petrys. Lucke hatte sich vor dem Parteitag gegen die extremen Rechten in der Partei positioniert und kompromissbereit gegenüber den etablierten Parteien gezeigt. Petry könnte nun in Köln, auch wenn keine Vorstandswahlen vorgesehen sind, ein ähnliches Schicksal ereilen.