China baut eine neue Seiden­straße

Die neue Seidenstraße

China wirbt für mehr Freihandel und kritisiert den neuen Protektionismus der USA. Um das Wachstum zu erhöhen, müsste China allerdings seine Exportstrategie ändern.

Die Zukunft beginnt an einem unwirtlichen Ort, wo sich Verladestation, Gleisanlagen und Kräne aneinanderreihen. Die Duisburg-Ruhrorter Häfen gelten als größter Binnenhafen Europas; rechnet man die privaten Anlagen hinzu, dann bilden sie sogar den größten Binnenhafen der Welt. Hier endet auch die Strecke des Güterzuges Yuxinou, die das wenig glamouröse Duisburg mit einer der größten Metropolen der Welt verbindet. Auf über 11 000 Kilometern führt die Fernverkehrsstrecke über Polen, Russland und Kasachstan nach Chongqing. Die Stadt am Jangtsekiang zählt mit rund 30 Millionen Einwohnern zu den größten Industrieregionen Chinas. 20 Züge von dort fahren in Duisburg jede Woche ein, bald soll sich ihre Zahl verdoppeln. Der Vorteil der Bahn ist ihre Geschwindigkeit: Rund zwei Wochen dauert der Transport auf den Schienen, 20 Tage weniger als auf dem Seeweg.

Die Zugstrecke gehört zu einem Projekt, das die chinesische Regierung mit höchster Priorität verfolgt. Entlang der historischen Seidenstraße soll mit »One Belt, One Road« ein neuer Wirtschaftskorridor von China nach Europa entstehen. Mit geplanten Investitionen von rund einer Billion Dollar ist es eines der größten wirtschaftlichen Vorhaben in der Geschichte der Volksrepublik. Hinzu kommt die »maritime Seidenstraße«, die von den Schanghaier Tiefwasserhafen Yangshan bis zum griechischen Hafen Piräus reichen und anschließend weiter über den Landweg nach Duisburg und Hamburg führen soll. Die chinesische Regierung hat bereits 64 Staaten überredet, bei der »Straße-und-Gürtel-Initiative« mitzumachen, darunter den Iran, Russland, die Türkei und auch Afghanistan.

Es gibt wohl kaum ein Projekt, das die so unterschiedlich erscheinenden wirtschaftspolitischen Vorstellungen Chinas und der USA besser aufzeigen könnte. Während US-Präsident Donald Trump unter dem Motto »America first« eine protektionistische Politik verfolgt, preist sein chinesischer Amtskollege Xi Jinping den Freihandel und lädt die halbe Welt ein, sich an der neuen Seidenstraße zu beteiligen. »Wir müssen nein sagen zum Protektionismus«, betonte er Anfang des Jahres auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. »Protektionismus heißt, sich abzuschließen wie in einer Dunkelkammer, wo es möglicherweise weder Wind noch Regen gibt, aber eben auch weder Luft noch Licht.« China wolle globalen Handel ermöglichen. »Wir stehen für offene und transparente Freihandelsabkommen«, sagte Xi.

Die Aussagen Xis wurden von der deutschen Regierung interessiert zur Kenntnis genommen. Schließlich gehört Deutschland wie China zu den wichtigsten Handelspartnern der USA und beide haben das gleiche Problem mit der Regierung in Washington. Die zwei Länder weisen mit die höchsten bilateralen Handelsüberschüsse mit den USA auf. US-Präsident Trump wirft China und Deutschland daher »unfaire« Praktiken vor und droht, künftig Importe stärker zu besteuern. »Deshalb ist es vor allem im Interesse von China und Deutschland, für offene Grenzen und für den Freihandel zu plädieren«, erklärte der Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher.

Das Wachstum stagniert. Die Zeiten, in denen die chinesische Wirtschaft ständig neue Rekorde erzielte, sind vorbei.

Es ist jedoch noch gar nicht lange her, dass das deutsche Verhältnis zu China ganz anders beurteilt wurde. Beide Staaten betreiben eine auf den Export ausgerichtete Wirtschaftspolitik und kämpfen hart um Anteile auf dem Weltmarkt. Noch im vergangenen Jahr klagte der deutsche Botschafter in Peking über den »ökonomischen Nationalismus«, der chinesischen Regierung. Während chinesische Staatsunternehmen im vergangenen Jahr über 300 Firmen in Europa im Wert von 86 Milliarden Euro aufgekauft haben, sind europäische Unternehmen an strenge Auflagen gebunden, wenn sie in China expandieren wollen. Deutsche Firmen beschweren sich über komplizierte Lizenzverfahren, erzwungenen Technologietransfer und unverhohlene Produktpiraterie. In einigen Branchen sind chinesische Unternehmen direkt angewiesen, keine ausländischen Produkte zu kaufen.
Ein Beispiel ist die Entwicklung von Elektroautos. Neue Gesetzespläne fordern von Herstellern, dass sie nicht nur in China produzieren, sondern dort auch den gesamten Entwicklungsprozess stattfinden lassen. Deutsche Autofirmen wären damit gezwungen, ihre Technologie an ihre chinesischen Partner zu übergeben, ohne die sie nicht produzieren dürfen.

Die chinesische Regierung steht unter Druck, da sie nichts so sehr fürchtet wie schwache Wachstumszahlen. Das Wachstum stagniert und der Binnenkonsum reicht nicht aus, um die Wachstumsvorgabe von 6,5 Prozent einzuhalten. Die Zeiten, in denen die chinesische Wirtschaft ständig neue Rekorde erzielte, sind vorbei. Die chinesische Führung investiert daher enorme Summen in Infrastrukturprojekte wie den Ausbau der neuen Seidenstraße.
Diese Maßnahmen erfordern immer höhere Investitionen, weshalb im vergangenen Jahr die chinesischen Staatsschulden um 4,5 Billionen Dollar auf insgesamt 22 Billionen Dollar angestiegen sind. Sie liegen damit rund fünf Mal so hoch wie noch vor zehn Jahren. Dass die neuen Schulden jedoch immer weniger reales Wachstum generieren, liegt an den rund 150 000 Staatsunternehmen. Sie erhalten rund 90 Prozent der Kredite und könnten ohne staatliche Zuwendungen zumeist nicht überleben. Allein die chinesische Bahn weist in ihrer Bilanz Schulden von mehr als vier Billionen Yuan auf. Das sind nach aktuellem Umrechnungskurs etwa 550 Milliarden Euro. Im Vergleich dazu nimmt sich selbst die griechische Staatsverschuldung bescheiden aus.

Die Staatsführung versucht deshalb seit geraumer Zeit, dieser Entwicklung entgegenzuwirken und ihr Wirtschaftsmodell umzustellen. In den vergangenen Jahrzehnten fußte der wirtschaftliche Aufstieg Chinas vor allem auf dem Massenexport einfacher Konsumgüter. Auf Dauer wird aber Wachstum nur möglich sein, wenn es China gelingt, hochwertige Güter wie Maschinen, Flugzeuge oder Züge herzustellen und diese zu exportieren. Um das notwendige Know-how zu erhalten, kauft sich die Regierung bei zahlreichen ausländischen Hightech-Unternehmen ein und versucht gleichzeitig, den einheimischen Markt vor der internationalen Konkurrenz zu schützen.
Die protektionistischen Vorstellungen der neuen US-Regierung könnten diese Pläne kräftig durcheinanderwirbeln. Sie zwingen die Führung in Peking, nach neuen Verbündeten zu suchen, wobei Deutschland als wichtigster Handelspartner in der Europäischen Union ganz vorne steht. Erste Signale für eine Annäherung gibt es bereits. Seit einigen Wochen wird darüber verhandelt, die Vorgaben beim Bau von Elektroautos zu lockern. Auf der jährlichen Vollversammlung des Nationalen Volkskongresses im vergangenen Monat sprach Premierminister Li Keqiang davon, dass ausländische Unternehmen künftig »gleich behandelt« werden sollten. Zudem will die Regierung noch mehr Kredite aufnehmen, unter anderem um die neue Seidenstraße zu voranzutreiben.
Für die deutsche Exportwirtschaft klingen diese Nachrichten vielversprechend. Sie benötigt eine Alternative, sollte sich tatsächlich ein Handelskrieg mit den USA entwickeln. Die neue Offenheit in Peking kommt da wie gerufen, zumal sich die Bundesregierung sehr bemüht, weitere Kontakte in Asien zu intensivieren. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat bei einem Treffen auf der Hannovermesse mit dem japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe vereinbart, den Abschluss des Freihandelsabkommens zwischen der EU und Japan zu beschleunigen.

Die Pläne für die neue Seidenstraße bieten lukrative Perspektiven für deutsche Maschinen- und Fahrzeughersteller. Es wäre daher wenig überraschend, wenn sich auch die Bundesregierung die chinesische Offenheit zu eigen machen würde. Kommt das gigantische Projekt in Fahrt, werden sich in den Duisburger Häfen die Container aus China bald stapeln. Gut möglich, dass sie dann mit Waren gefüllt sind, die Deutschlands Exportchancen auf dem Weltmarkt deutlich schmälern. Spätestens dann wird es wohl mit der neuen Offenheit wieder vorbei sein.