Thomas Kunze erforscht das Leben Nicolae Ceaușescus

Mit goldenem Zepter

»Tod den Verrätern, die Geschichte wird uns rächen« – so soll der letzte Satz des rumänischen Diktators Nicolae Ceaușescu gelautet haben, bevor er und seine Frau im Zuge der Rumänischen Revolution 1989 hingerichtet wurden. Ceaușescu legte großen Wert auf seine öffentliche Inszenierung. Die neu aufgelegte Ceaușescu-Biographie des Historikers Thomas Kunze gilt als Standardwerk zur Geschichte des Kommunismus in Rumänien.
Interview Von

Wie kamen Sie als deutscher Historiker dazu, sich mit dem Leben Nicolae Ceaușescus zu befassen?
Ich war in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre in Rumänien an der Universität und im deutschen Auslandsschulwesen tätig. Es lag fast auf der Hand, einen Bereich zu erforschen, der bislang nicht aufgearbeitet worden war. Also begann ich, eine Biographie des kommunistischen Diktators Ceaușescu zu schreiben. Immerhin hat er Rumänien von 1965 bis 1989 regiert und eine ganze Ära geprägt.

Nicolae Ceaușescu ist vielen als schillernde und skurril anmutende Person in Erinnerung geblieben. Woran liegt es, dass Ihre Biographie des Diktators bis heute die einzige geblieben ist? 
In den vergangenen Jahren ist in Rumänien eine Vielzahl wichtiger Aufsätze und Publikationen erschienen, die sich nicht nur der Rumänischen Kommunistischen Partei, sondern auch Ceaușescu widmen. Es gibt sehr gute Historiker in Rumänien. Meine Biographie über ihn ist vor einer Weile in einem angesehenen Bukarester Verlag in rumänischer Übersetzung erschienen. Vielleicht scheuten andere Verlage deshalb das unternehmerische Risiko, das Thema auch in ihr Programm aufzunehmen. Das kann ich aber nicht beurteilen. Ich jedenfalls würde mich sehr über eine Ceaușescu-Biographie aus rumänischer Feder freuen und wäre sehr gespannt darauf.

Ceaușescu kam 1918 zur Welt. In welcher Situation befand sich Rumänien damals?
Rumänien war 1918 ein bitterarmes Land. Ceaușescu wurde in der Walachei in dem kleinen Dorf Scornicești geboren. Seine Kindheit konnte relativ wenig erforscht werden, sie wurde zu seinen Lebzeiten nur propagandistisch überhöht dargestellt. Die Lehrer, die ihn damals unterrichtet hatten, mussten später zu Protokoll geben, dass Nicolae schon als Kind ein »strahlender Mathematiker« gewesen sei. Die Stimmen, die man nach dem Umbruch von Klassenkameraden einholen konnte, geben ein anderes Bild wieder. Sie schildern ihren Klassenkameraden als nervösen Jungen, der unter seinem Stottern litt. Und er galt als unberechenbar.

»Die Lehrer, die Nicolae damals unterrichtet hatten, mussten später zu Protokoll geben, dass er schon als Kind ein ›strahlender Mathematiker‹ gewesen sei.«

War das der Grund dafür, dass er nur vier Jahre zur Schule gegangen ist? 
Aus heutiger Sicht wirkt ein vierjähriger Schulbesuch selbstverständlich sehr kurz. Seine spätere Frau Elena ging sogar nur drei Jahre zur Schule. Das war in Rumänien nach dem Ersten Weltkrieg jedoch nicht ungewöhnlich und führte dazu, dass er bereits im Alter von elf Jahren sein Herkunftsdorf verließ, um in der Hauptstadt sein Glück zu versuchen. Ceaușescu hat dann keine richtige Lehre gemacht, sondern wurde von einem Schuster angelernt. In Bukarest schloss er sich auch bald der kommunistischen Bewegung an, die damals sehr klein war. In den zwanziger Jahren zählte sie nur wenige hundert Mitglieder.

Anders als etwa im Deutschen Reich war die kommunistische Bewegung in Rumänien damals noch illegal.
Die Rumänische Kommunistische Partei (RKP) agierte in der Illegalität und galt als eines der schwächsten Glieder in der Komintern. Ihre Mitglieder wurden in den zwanziger und dreißiger Jahren unnachgiebig verfolgt. Ceaușescu stieß zu dieser Partei nicht etwa aus politischer Überzeugung – woher sollte die bei einem Elfjährigen schon kommen. Es geschah zufällig: Der Mann, bei dem er arbeitete, war entweder Mitglied oder Sympathisant der RKP. So übernahm der junge Ceaușescu Botengänge für die Partei, verteilte Flugblätter und besuchte Genossen zu Hause. Es scheint so, als ob er es genoss, das erste Mal in seinem Leben eine aus seiner Sicht wichtige Aufgabe zu haben. Für diese Mitarbeit wanderte er mehrere Male ins Gefängnis. Dort lernte er 1936 auch seinen späteren Ziehvater Gheorghe Gheorghiu-Dej kennen.
Die Verfolgung rumänischer Kommunisten endete erst mit der sowjetischen Besatzung. Es bot sich die Gelegenheit, das Land zu einem sozialistischen Staat zu machen.

Welche Rolle spielte die politische Situation für Ceaușescus Karriere?
Ceaușescus Aufstieg wurde nicht zuletzt durch seine enge Beziehung zu Gheorghiu-Dej ermöglicht, dem neuen starken Mann, dem er bis zu dessen Tod eng verbunden blieb. Die RKP hing nach dem Krieg am stärksten am Tropf der Sowjetunion. Sie war eine durch und durch stalinistische Partei und Ceaușescu stieg von Stufe zu Stufe auf. Mit 26 Jahren wurde er zunächst Generalsekretär des Jugendverbandes. Später wurde er in das Zentralkomitee gewählt, war stellvertretender Verteidigungsminister und mit knapp über 30 Jahren Generalleutnant. Mitte der fünfziger Jahre schließlich wurde er in das Politbüro gewählt und saß fortan an den Hebeln der Macht.

Als Gheorghiu-Dej 1965 stirbt und Ceaușescu seine Nachfolge als Generalsekretär antritt, setzt zunächst eine Art Tauwetter ein. Er lässt öffentliche Diskussionen zu, öffnet Rumänien Richtung Westen, Touristen kommen ins Land. Passt diese Politik ins Bild eines Diktators?
Zunächst einmal besitzt er die Gunst von Leonid Breschnew. Und die bereits geknüpften Netzwerke helfen dem immer noch jungen Mann zum nächsten logischen Schritt auf der Karriereleiter. In den Jahren davor hat Ceaușescu sehr klug agiert, sich dezent im Hintergrund gehalten und Stück für Stück seinen Einfluss erweitert. Er regierte zunächst auch nicht allein, sondern war Teil eines Triumvirates, dem außerdem Chivu Stoica und Ion Gheorghe Maurer angehörten. Tatsächlich setzte bis 1969 eine Art Liberalisierung ein. Viele autoritäre Staatsführer verhalten sich am Anfang ihrer Herrschaft liberaler, um einen Vertrauensvorschuss zu erwirken. Ceaușescus scheinbare Opposition zum Kreml machte ihn in Rumänien und im westlichen Ausland sehr beliebt.

Woher rührte dann sein späteres Machtstreben?
Zu Beginn der siebziger Jahre reist Ceaușescu nach China und Nord­korea. Der dort herrschende Personenkult beeindruckt ihn sehr – eine Faszination, die bis zu seinem Tod im Jahre 1989 anhält. 1974 wird er zum Präsidenten gewählt und lässt sich ein goldenes Zepter überreichen. Er wird also zu einem sozialistischen Diktator mit den Insignien feudaler Macht. Paradoxerweise ist er dann durch seine stetige Kritik an der Sowjetunion bis in die achtziger Jahre ­hinein ein gerngesehener Staatsgast im westlichen Ausland, während ­Rumänien langsam, aber sicher in Armut versinkt und der Personenkult immer bizarrer wird. Eines seiner letzten Projekte, der Bau des Hauses des Volkes, zeigt das ganze Ausmaß der Gigantomanie. Der Zusammenbruch kommt dann blutig im Jahr 1989 und Ceaușescu wird zusammen mit seiner Frau hingerichtet.

»1974 wird Ceaușescu zum Präsidenten gewählt und lässt sich ein goldenes Zepter überreichen. Er wird also zu einem sozialistischen Diktator mit den Insignien feudaler Macht.«

Wie groß ist das Bedürfnis in Rumänien, sich mit diesem Teil der Zeitgeschichte auseinanderzusetzen? 
Während meiner Recherche war die Archivlage eine andere als heute. Der Zugang war nur eingeschränkt möglich. Die Bereitschaft, über die Ceaușescu-Ära zu sprechen, war hingegen groß. Personen, die während der Ceaușescu-Ära politische Ämter bekleideten, waren da keine Ausnahme. Ich erinnere mich an ein Interview mit Ion Iliescu, der in den sieb­ziger Jahren als »Kronprinz« gehandelt wurde, dann in Ungnade fiel und schließlich, nach der Revolution von 1989, erster Staatspräsident im postkommunistischen Rumänien wurde. Genauso an viele Zeitzeugengespräche mit Persönlichkeiten, die das Ceaușescu-Regime auf verschiedene Weise erlebt hatten. Wichtig für mich war auch eine große Fülle an Memoirenliteratur. Man merkte, dass die Leute Bedarf hatten, ihre Erinnerungen zu teilen.

Ihr Buch erscheint bereits in der vierten Auflage. Wie viele Exemplare wurden verkauft?
In Deutschland wurden etwa 4 500 Bücher verkauft. Für ein Sachbuch, das sich an einen überschaubaren Interessentenkreis wendet, eine Zahl, auf die der Verlag und ich stolz sind. In Rumänien dürften es einige Tausend Exemplare sein.

Als Ihr Buch 2000 erschien, wurde es in Rumänien begeistert auf­genommen, in Deutschland mitunter scharf kritisiert. William Totok warf Ihnen damals in der »Taz« vor, Sie hätten nur »unüberprüfbare Informationen« verwendet und ein »unkritisches Spiegelbild der Gerüchte und ­Anekdoten« über Ceaușescu entworfen. War seine Kritik gerechtfertigt?
William Totok ist ein Dichter und Schriftsteller mit einer bewegten Biographie. Ich schätze vor allem seine Poesie. Geboren und aufgewachsen im Rumänien Gheorghiu-Dejs und Ceaușesus, hat er einen sehr persönlichen Blick auf die rumänische Geschichte. Seine Kritik war mir deshalb wichtig. Als Historiker habe ich mich selbstverständlich bei der Recherche für das Buch daran gehalten, dass nicht alles, was man hört, der Wahrheit entsprechen muss. Quellen wurden also kritisch hinterfragt. Das gelingt manchmal gut, manchmal weniger gut.

Vorgeworfen wurde Ihnen, dass Sie die 1984 erstmals in Dänemark veröffentlichte »Geschichte der Rumänischen Kommunistischen Partei« von Victor Frunză nicht in Ihre Arbeit haben einfließen lassen. Warum wird dieses Buch auch in der jüngsten Auflage Ihrer Biographie nicht erwähnt?
Es gibt eine Vielzahl von Publikationen zur Geschichte des rumänischen Kommunismus. Victor Frunzăs Buch gehört dazu. Frunză war kein Historiker, er war Journalist. Und er muss eine schillernde Persönlichkeit gewesen sein. Nach einem Studium in Moskau in den fünfziger Jahren kehrte er nach Rumänien zurück, um als Kulturredakteur beim rumänischen Rundfunk und Fernsehen zu arbeiten. In den siebziger Jahren zählte er dann zu einem Dissidentenkreis in Bukarest. Er schrieb Gedichte, Prosa und Theaterstücke. 1980 emigrierte er nach Dänemark. Sein Herangehen an die Geschichtsschreibung war insofern mit vielen persönlichen Erlebnissen verbunden. Es stimmt, man sollte sein Buch nicht außer Acht lassen.
 

Wie schätzen Sie die Aufarbeitung der Ceaușescu-Zeit in Rumänien ein? Viele Jahre nach der Revolution von 1989 scheint es, als habe man in Rumänien schnell den Mantel des Schweigens über diese Ära ausgebreitet.
Dem möchte ich widersprechen. Lassen Sie mich einen Vergleich zu Russland ziehen. Auch für Russland hält sich in der öffentlichen Meinung in Deutschland hartnäckig das Gerücht, es gebe dort kaum eine Aufarbeitung des Stalinismus. Das stimmt genauso wenig. Möglicherweise ist das Interesse der Rumänen an Zeitgeschichte, auch aufgrund der Tat­sache, dass viele mit wirtschaftlichen Sorgen konfrontiert sind, geringer, als es erfreulicherweise in Deutschland ist. Aber es gibt eine Vielzahl von Organisationen und Institutionen, die hervorragende Forschungsarbeit leisten. In Rumänien übrigens auch zunehmend mit jungen, engagierten Forschern und Historikern.

Thomas Kunze: Nicolae Ceaușescu. Eine Biographie. 4. Auflage. Ch. Links-Verlag, Berlin 2017, 464 Seiten, 50 Euro