Die Comiczeichnerin Liv Strömquist erzählt die Kulturgeschichte der Vulva

Warum die Vulva? Warum nicht die Leber?

Liv Strömquist kehrt in ihrem feministischen Comic zurück zum Ursprung der Welt.

»Let me see you stripped«, singen Depeche Mode so schön unverkrampft. Ganz so, als sei der Blick auf den nackten weiblichen Körper die unkomplizierteste Sache der Welt. Das ist aber nicht so. Immer noch ist das Genital der zum Mängelwesen erklärten Frau ein kulturelles Tabu. Als »Nichts«, als »Leerstelle« oder als »Loch« erscheint es vielen Männern, und selbst Frauen haben falsche Vorstellungen von der Vulva, meint Liv Strömquist. In ihrem Comic »Der Ursprung der Welt« beschäftigt sich die schwedische Zeichnerin mit der Kulturgeschichte der Vulva – von der Bibel bis Freud, vom peinlichen Biologieunterricht bis hin zur albernen Tamponwerbung. Sie bedient sich des Mediums Comic, um mit Witz und Hintersinn patriarchale Machtverhältnisse in Frage zu stellen. Sie wundert sich sehr über das anhaltend intensive männliche Forscherinteresse an der »Scham« und klärt das eine oder andere sexuelle und genitale Missverständnis. Schamlos und launig, strotzt der Comic nur so vor feministischer Fröhlichkeit.

»Es gibt einen Trend, enthusiastisch über die Vulva und die Vagina zu sprechen«, sagt Strömquist im Gespräch mit der Jungle World. Für sie sei das der eigentliche Anlass gewesen, ihren Comic zu zeichnen. »Ständig werden Frauen dazu aufgefordert: Sei stolz auf deine Vulva und all die Dinge, die damit zu tun haben.« Das habe sie merkwürdig und witzig zugleich gefunden, erzählt die studierte Politikwissenschaftlerin. Und so ist sie der Geschichte des Tabus und seiner Enttabuisierung nachgegangen. »Niemand würde dir zum Beispiel ­sagen, man solle stolz auf seine Leber sein. ›Wow, du musst mal darüber nachdenken, wie cool deine Leber ist.‹ Alle anderen Körperorgane sind völlig neutral. Auf diese Art über die Vulva zu sprechen, ist der Unterdrückung der Vulva ganz ähnlich. Das fällt in die gleiche Kategorie.« Man tappe hier in dieselbe sprachliche ­Falle, kennzeichne das weibliche wiederum – wenn auch positiv – als das andere Geschlecht. »Aber man muss die Vulva nicht überbetonen, es sollte kein großes Ding sein, über sie zu ­reden wie über andere Alltäglichkeiten auch. Klar, Sexualorgane sind für viele Menschen wichtig, weil sie damit zu tun haben, wer man als Person ist. Daher finde ich es richtig, wenn man sie nicht als schmutzig, schamvoll, eklig ansieht oder als etwas, das man ständig verbergen muss – worauf die Unterdrückung der Weiblichkeit hinausläuft. Ich will zeigen, dass der Alttagsdiskurs voller Tabus ist, was Frauen davon abhält, über Dinge wie Menstruation normal zu sprechen.«

Seit ihrem Comic »Hundra procent fett« (»Hundert Prozent fett«, 2005) gilt Strömquist, Jahrgang 1978, als eine der einflussreichsten feministischen Zeichnerinnen Schwedens. Die Sammlung von Comicstrips, die von Klassenkampf, Antiimperialismus und Geschlechtergerechtigkeit handeln, wurde ein Erfolg in der ­Nischenkultur des schwedischen Comics. In Schweden gebe es keine so große Tradition des Comics wie in Belgien oder Frankreich, sagt die Zeichnerin. Allerdings ist in den vergangenen Jahren das Interesse daran merklich gewachsen. So hat sich mittlerweile eine vitale Comicszene in Schweden etabliert, auch wenn sich die populären Zeichner an zwei Händen abzählen lassen. Als Strömquist begann, politische feministische Comics zu veröffentlichen, waren zwei oder drei Frauen in dem Genre tätig; zumeist zeichneten sie Comics mit biographischen Bezügen. »Meine Arbeit motivierte dann auch andere Frauen, politischer zu zeichnen. Das betrifft eine ganze Generation jüngerer Zeichnerinnen.« Heute schätzt sie das Geschlechterverhältnis als ausgeglichen ein. Auch das Spek­trum an Themen und Stilen sei vielfältiger, Frauen seien in der Manga- und Fantasy-Szene  längst vertreten.

Strömquist ist Autodidaktin; im Alter von 25 Jahren begann sie mit dem Zeichnen. »Ich hab als Kind ­immer Bildergeschichten gezeichnet. Irgendwann hörte ich auf und begann zu schreiben, Belletristik und Gedichte. Es war mein großer Traum, Schriftstellerin zu werden. Das hat sich allerdings als sehr kompliziert herausgestellt. Ich tat mich schwer, die richtige Sprache zu finden, hatte Angst, die Leser zu langweilen. Ich kannte mich in der Literatur gut aus, verschlang alles, was ich an Lesestoff fand. Und daher habe ich mich dann mit all den High-Brow-Größen verglichen.« Da könne man nur scheitern. Auf Anregung einer Freundin machte sie einen ersten Comic – und blieb dabei. Hier fand sie zu ihren Ausdrucksmöglichkeiten, zu ihrer Sprache. »In dem Moment, in dem ich mit dem Zeichnen anfing, fühlte ich mich befreit. Ich wusste wenig über das Medium, hatte keine Vorstellung, wie der perfekte Comic ausschaut. Ich fügte einfach Bild an Bild. Und ich hatte keine Probleme mehr, Dinge zur Sprache zu bringen, und wollte mich auch nicht mehr messen. Ich werde zeichnen, bis ich eine alte Frau bin, denke ich.«
Dass ihre Comics trotz allen Witzes politische Statements sind, ist für Strömquist nur konsequent. Sie war bereits politisch aktiv in verschiedenen linken Gruppen zu den Themen Ökonomie, Migration, Feminismus und Ökologie und wollte zeichnen, was sie beschäftigt. Außerdem hatte sie bemerkt, dass Comics als Medium des politischen Engagements taugen. Mit Anfang zwanzig war sie ehrenamtliche Friedensbeobachterin bei Landbesetzungen in Guatemala. Die Gewerkschaften, mit denen sie an Ort und Stelle zusammenarbeitete, benutzten Comics, um die Bauern anzusprechen, über ihre Rechte zu informieren und in die politische Arbeit einzubeziehen. Da dort viele Analphabeten lebten, war das graphische Mittel ein einfacher Weg, sie zu erreichen. »Ich sammelte diese Comics, nahm sie mit nach Schweden. Sie haben mich dann auch dazu inspiriert, selbst Informationen, die ich als Akademikerin aufsog, in Comics zu verpacken. Die Wissenschaftssprache ist kompliziert. Ich wollte Wissen leichter zugänglich machen, auch witzig erzählen und damit möglichst viele Leute erreichen.«

Dass diese Vermittlung gelingt, beweist der Comic »Der Ursprung der Welt«. Fußnoten und Quellenverweise finden sich in kleiner Schrift an den Rand der Panels gekritzelt. So stören sie nicht, können Interessierte aber zu weiterführender Literatur lenken. Die Zeichnungen sind zumeist schwarzweiß im Funny-Stil lustiger Bildchen gestaltet, die Sprechblasen und Textboxen mit Wortwitz gespickt. Die episodisch gehaltenen fünf Kapitel führen verschiedene Ansätze zusammen, die je eine eigene Perspektive einnehmen. Männer wie der Apostel Paulus oder wie Jean-Paul Sartre, die »sich zu sehr dafür interessieren, was als ›das weibliche Geschlechtsorgan‹ bezeichnet wird«, kommen nicht gut weg. Ein Kapitel ist dem weiblichen Orgasmus gewidmet, ein anderes der Menstruation. In paradiesisch bunten Farben wird eine alternative Liebesgeschichte von Eva und Adam ausgemalt, und immer wieder wird in die Geschichte der Aktdarstellung geschaut. »Das fand ich interessant: Wieso diskutiert niemand die Kultur und Kulturgeschichte der inneren Schamlippen?«

Vom Unbehagen am »anderen Geschlecht« getrieben, das zeigen die kulturhistorischen Exkurse, wurde die Vulva immer wieder – zumeist von Männern – analysiert und definiert. So liest sich das lustvoll erzählende Buch als kraftvoll-politisches Plädoyer für die individuelle Selbstbestimmtheit jenseits der Geschlechterbinarität.

Liv Strömquist: Der Ursprung der Welt. Aus dem Schwedischen übersetzt von Katharina Erben. Avant-Verlag, Berlin 2017, 140 Seiten, 19,95 Euro