Small Talk mit Muhammed Seidu über Proteste gegen die mangelnde Einhaltung des Integrationsgesetzes in Bayern

»Das Integrationsgesetz gilt in Bayern nicht«

Im Mai 2016 wurde das sogenannte Integrationsgesetz im Bundestag verabschiedet. Es soll Flüchtlingen auch »Rechtssicherheit während der Ausbildung« garantieren. Wer einen Ausbildungsplatz hat, erhält eine Duldung für die Dauer der Ausbildung und im Fall einer anschließenden Weiterbeschäftigung ein zusätzliches Aufenthaltsrecht für zwei Jahre. In Bayern wird diese »3+2-Regelung« systematisch unterlaufen. Dagegen wollen Flüchtlinge in München am 27. April demonstrieren. Muhammed Seidu hat mit der Jungle World gesprochen
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Sie sind Schülersprecher der Berufsschule zur Berufsintegration und haben die Demonstration mitorganisiert. Worum geht es genau?
Wir haben die Demonstration organisiert, weil viele von uns keine Ausbildung machen dürfen, zum Beispiel Menschen aus dem Senegal, aus Ghana, Afghanistan oder Tunesien. Wir demonstrieren gegen dieses Ausbildungs- und Arbeitsverbot und gegen die Abschiebungen. Die Demonstration haben wir selbst organisiert, unsere Lehrer dürfen das nicht, weil sie sonst entlassen werden könnten.

Wie ist Ihre Lage?
Ich bin 20 Jahre alt, komme aus Ghana und bin seit drei Jahren in Deutschland. Seit September 2015 besuche ich die Schule zur Berufs­integration in München. Ich habe drei Ausbildungsplätze bekommen: als Journalist bei einem Radio, als Verkäufer und als Hotelfachmann. Aber mir wurde verboten, eine Ausbildung zu beginnen, weil Ghana ein sicheres Herkunftsland ist. Ich soll in einer Woche Deutschland verlassen, aber ich habe Unterstützung und dadurch einen Anwalt bekommen, so dass ich vielleicht hierbleiben kann. Der Anwalt hat gegen meinen Ablehnungsbescheid geklagt.

Geht es den anderen Schülerinnen und Schülern genauso wie Ihnen?
Es gibt ungefähr 500 Schülerinnen und Schüler in unserer Schule, alle sind Flüchtlinge. Nur wenige davon dürfen eine Ausbildung machen und arbeiten, weil sie aus Somalia, Eritrea, Syrien, dem Irak oder Iran kommen. Alle anderen nicht, obwohl sie schon mehrere Jahre in Deutschland sind, sich hier integriert haben und gut Deutsch sprechen. Das liegt daran, dass die »3+2-Regelung«, die eigentlich unabhängig vom Herkunftsland für alle gelten sollte, nicht mehr für uns gilt.

Wie wirken sich diese restriktiven Bedingungen und die Gefahr einer Abschiebung auf Sie aus?
Ich habe Angst in Deutschland, egal ob zu Hause oder auf der Straße, weil ich nicht weiß, wann die Polizei zu mir kommt. Ich habe gedacht, in Deutschland gibt es eine Demokratie, da kann man in die Schule gehen. Aber ich fühle mich sehr unsicher, wie im Krieg, ich kann mich in der Schule nicht mehr konzentrieren. Ich bin oft krank. Aber es geht nicht nur um mich, wir sind viele. Viele, die einen Abschluss machen wollen. Über die Hälfte der Schülerinnen und Schüler kann nicht mehr, ist im Stress und weiß auch nicht mehr, wofür sie in die Schule gehen soll, weil die bayerische Regierung will, dass wir das Land verlassen. Das macht uns psychisch fertig. Das Integrationsgesetz gilt in Bayern nicht.

Was wäre, wenn Sie nach Ghana zurückkehren müssten?
Ich bin mit meinem Cousin aus Ghana gekommen. Wir mussten das Land verlassen, weil unser Leben in Gefahr war. Wir wären sonst umgebracht worden. Ich bin durch die Sahara bis nach Libyen geflohen. Ich habe vier Monate in Tripolis gelebt. Dort kamen die Rebellen zu uns, weil sie uns für den Krieg brauchten. Wir mussten mitmachen, sonst hätten sie uns getötet. Dann bin ich mit dem Boot nach Italien gekommen, das war schrecklich. Wir waren mehr als 100 Menschen, fast 30 sind gestorben. Wir haben Menschen sterben sehen, auch Kinder. Ich kann nicht nach Ghana zurück. Ich verstehe nicht, warum die bayerische Regierung sagen kann, dass Ghana ein sicheres Herkunftsland ist. Ich bitte die bayerische Regierung, uns die Erlaubnis zu geben, hierzubleiben und eine Ausbildung zu machen.