Ein Gespräch mit Christiane Schneider, Linkspartei, über Bürgerrechte und den G20-Gipfel in Hamburg

»Überall wird die Bewegungsfreiheit eingeschränkt sein«

Christiane Schneider ist innen-, flüchtlings- und verfassungspolitische Sprecherin der Fraktion von »Die Linke« und Vizepräsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft. Auf Vorschlag des Bürgermeisters Olaf Scholz (SPD) soll der diesjährige G20-Gipfel am 7. und 8. Juli in Hamburg stattfinden. Bereits am 8. und 9. Dezember 2016 tagte der OSZE-Ministerrat in Hamburg, begleitet von einem enormen Polizeiaufgebot.

Bereits beim OSZE-Gipfel im Dezember haben Sie sich an einer Protestkundgebung der Stadtteilgruppe der Linkspartei im Karolinenviertel in der Nähe der Messehallen beteiligt, um gegen die Einschränkung der Bürgerrechte zu demonstrieren. Was waren Ihre Kritikpunkte?
Bei unserer kleinen Protestkundgebung ging es – anders als jetzt beim G20-Gipfel – weniger um die Kritik der OSZE. Ich habe den Eindruck, der OSZE-Gipfel wurde vor allem nach Hamburg geholt, damit der Sicherheitsapparat die Gelegenheit zu einer Generalprobe für den G20-Gipfel bekommt.
Die Polizei war in der ganzen Innenstadt massiv präsent. Das hat das Leben in der Stadt, die Bewegungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger natürlich stark beeinträchtigt, vor allem im Karolinenviertel. Dieses lebendige Viertel mit seinen urbanen Milieus war in den Tagen des Gipfels wie ausgestorben. Viele Geschäfte hatten geschlossen, andere immense Umsatzeinbußen. Dieses Viertel war eines der Widerstandsnester gegen das große Gefahrengebiet im Januar 2014.

Wie waren die Reaktionen auf Ihren Protest?
Wir hatten nicht damit gerechnet, dass das Karolinenviertel so ausgestorben sein würde. Entsprechend war die Resonanz nur gering. Ich hatte schon den Eindruck, dass die massive Polizeipräsenz der Einschüchterung möglicher Proteste diente, womöglich im Hinblick auf den G20-Gipfel.
Allein im Rahmen der »Besonderen Aufbauorganisation (BAO) Hammonia« waren über 10 000 Polizeibeamte aus Hamburg und anderen Bundesländern im Einsatz, dazu kommen 2 700 Bundespolizistinnen und -polizisten und eine mir nicht bekannte Zahl an BKA-Beamten in den jeweils eigenen BAOs »Hanseat« und »Elbe«. Auch das Aufgebot an Einsatzmitteln war gigantisch, angefangen von 37 Pferden und 62 Diensthunden über 22 Wasserwerfer bis zu den zehn Hubschraubern. Die stellten mit ihrem Lärm eine schwere Belästigung dar, weil sie Tag und Nacht über Hamburg kreisten, über der Innenstadt, aber auch, gerade in den Abendstunden, über entfernten Wohngebieten.

»CDU und Deutsche Polizeigewerkschaft versuchen mit ›Warnungen‹ vor in Hamburg einfallenden ›linksextremistischen Gewalttätern‹ die Situation zu eskalieren und mehr oder weniger generelle Demonstrationsverbote zu erreichen.«

Auch die Bundeswehr war präsent, nicht nur mit zusätzlich 90 Soldaten zur Bewachung von militärischen Liegenschaften, sondern auch zur Unterstützung der Luftraumüberwachung und mit zwei Verbindungsbeamten im Führungsstab der Polizei. Die waren tatsächlich die ganze Zeit in der Einsatzzentrale der Polizei und verfolgten dort mit Hilfe einer neu eingeführten Software quasi live den Einsatz der Polizeieinheiten vor Ort.
Und wofür dieser ganze Aufwand? Es fanden neben drei kleinen Protestaktionen, darunter unsere, zwei Demons­tra­tionen statt, die absolut friedlich verliefen. Der massive Polizeieinsatz war absolut unverhältnismäßig.

Gegen den G20-Gipfel sind seit November größere Proteste angekündigt. Bewertet der Hamburger Senat diese auch nur als Sicherheitsrisiko oder als Ausdruck einer lebendigen Demokratie?
Die politische Auseinandersetzung über den G20-Gipfel und über die vorbereiteten Proteste ist vor allem durch die Gewaltfrage geprägt – durch die politische Rechte, durch Senat und Sicherheitsbehörden und nicht zuletzt durch die Medien. CDU und Deutsche Polizeigewerkschaft versuchen mit Warnungen vor in Hamburg einfallenden »linksextremistischen Gewalttätern«, die angeblich Teile Hamburgs in Schutt und Asche legen wollen, die Situation zu eskalieren und mehr oder weniger generelle Demonstrationsverbote zu erreichen. SPD und Grüne greifen die Aktionen, die sie politisch nicht beherrschen, vor allem die große Demonstration eines sehr breiten Bündnisses am 8. Juli, massiv an und diffamieren sie als gewaltträchtig. So wird versucht, Kritik an der Politik und Rolle der G20 in den Hintergrund zu drängen und nicht genehme Protestaktionen zu delegitimieren. Der grüne Fraktionsvorsitzende verstieg sich sogar dazu, unsere Forderung nach Versammlungsfreiheit auch in der Innenstadt als »Eskalation« zu diffamieren. Das sagt leider viel über den Niedergang der Grünen als bürgerrechtsorientierte Partei aus. Es gibt auch auf Seiten von Senat und Regierungsfraktionen Stimmen der Vernunft, aber sie werden vom Säbelrasseln übertönt.

Bereiten sich Innenbehörde und Polizei tatsächlich seit einem halben Jahr auf eine Art Bürgerkriegsszenario vor?
Die Polizei hat im Kooperationsgespräch mit den Anmeldern der für den 8. Juli geplanten Demonstration ein Demonstrationsverbot für die Innenstadt in Aussicht gestellt. Das war sicher nicht ihr letztes Wort – der grüne Justizsenator hat dem dann auch öffentlich widersprochen, aber es macht deutlich, worauf sich die Polizei vorbereitet: darauf, Massendemonstrationen gegebenenfalls zu unterbinden oder zu zerschlagen. Auf meine Anfrage antwortete der Senat, dass eine Allgemeinverfügung zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit – also ein Demonstrationsverbot – geprüft werde. Obwohl Einzelheiten des Sicherheitskonzepts bisher nicht bekannt sind, zeichnet sich ab, dass die Dimension des Einsatzes im Juli die Dimension der Generalprobe um ein Vielfaches übertreffen wird – an Einsatzstärke und an Einsatzmitteln. Schon jetzt sind einige Hundert Polizistinnen und Polizisten aus anderen Bundesländern im Hamburg im Einsatz, nehmen verdachtsunabhängige Kontrollen zu. Die von staatlicher Seite beförderte Beschwörung von Gewalt soll die nur mit Gewalt durchzusetzende massive Einschränkung von Grundrechten vorbereiten und legitimieren. Das ist meine Befürchtung.

Rechnen Sie mit dem Einsatz verdeckter Ermittlerinnen und Ermittler zur Ausforschung des Protestes?
Da unser Antrag, verdeckte Ermittlerinnen und Ermittler nicht in politischen Zusammenhängen einzusetzen, abgeschmettert wurde, rechne ich fest damit, auch wenn der Einsatz inzwischen durch Einführung des richterlichen Vorbehalts erschwert wurde. Konkrete Hinweise habe ich nicht, das liegt in der Natur der Sache.

Auch bei der Feuerwehr ist die Aufregung groß und seit Monaten laufen die Vorbereitungen für den G20-Gipfel, die dort intern wohl als temporärer Ausnahmezustand verstanden werden. Was bekommen Sie von diesen Bedenken mit?
Olaf Scholz hat den G20-Gipfel im Alleingang nach Hamburg geholt und, so befürchte ich, nicht einen einzigen Gedanken auf die Folgen verwendet. Der Berufsverband Feuerwehr kritisiert, dass die Feuerwehrleute ohne ausreichende Vorbereitung und ohne ausreichenden Schutz im G20-Einsatz verschlissen werden. Aber nicht nur bei der Feuerwehr, auch bei der Polizei ist der Frust über den Gipfelwahnsinn sehr deutlich zu spüren. Die Begeisterung für das Gipfeltreffen scheint mir nach allem, was ich aus den verschiedensten Behörden höre, auf Scholz und die Zweite Bürgermeisterin, Katharina Fegebank von den Grünen, begrenzt.

Aber warum lässt der rot-grüne Senat der Polizeiführung weitgehend freie Hand und verzichtet auf Kontrolle?
Die Behördenleitung kann nicht in einzelne Maßnahmen der Polizei eingreifen. Aber sie kann den Kurs bestimmen. Sie hätte die Verpflichtung, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu verteidigen. Wie ist es möglich, dass die Polizei ein totales Demonstrationsverbot in der Innenstadt in Aussicht stellt? Hier versagt die Behördenleitung. Leider ist es so, dass sich Innensenatoren in Hamburg immer eher als Polizeisprecher verstehen denn als Behördenleitung, die eben nicht nur Sicherheitsrisikos bedenken muss, sondern auch dem Schutz von Grundrechten verpflichtet ist.

Den als Einsatzleiter mehrfach wegen Verstößen gegen das Versammlungsrecht verurteilten Hartmut Dudde zum Leiter des Vorbereitungstabs G20-Gipfel der Polizei und zum Gesamteinsatzleiter zu ernennen, spricht eher nicht für den Schutz von Grundrechten?
Herr Dudde steht für die harte »Hamburger Linie«; seine Geringschätzung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit ist gerichtsnotorisch. Er war schon versetzt und befördert worden und wurde für den Gipfel als Gesamteinsatzleiter reaktiviert. Das spricht Bände.

Dann ist zu erwarten, dass es zur Absicherung des Gipfelprogramms zu Einschränkungen von Bürgerrechten kommen wird?
Ja, aber das Ausmaß ist bisher nicht absehbar. Es ist für die Öffentlichkeit völlig unklar, wo es, abgesehen vom Tagungsort Messehallen und der Elbphilharmonie, Sicherheitszonen geben wird. Man muss sich nur vorstellen: Die zahlreichen Delegationen sind in Dutzenden Hotels untergebracht. Diese Hotels werden gesichert sein, Teile der Außenalster, wo das US-Generalkonsulat liegt, werden gesichert sein, ebenso die zahlreichen An- und Abfahrtswege. Überall wird die Bewegungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger eingeschränkt sein, wird es nach aller Erfahrung verdachtsunabhängige Personenkontrollen und weitere Eingriffe in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung geben.

»Die Linke« hat einen Antrag in die Hamburgische Bürgerschaft eingebracht, den G20-Gipfel auszuladen. Wie waren die Reaktionen?
Das war eine der schlimmsten Debatten in der Bürgerschaft, die ich in gut acht Jahren miterlebt habe. Es gab regelrecht hysterische Angriffe auf uns, ähnlich wie bei der Olympia-Auseinandersetzung. Ich glaube, auch bei Rot-Grün will außer Scholz und Fegebank eigentlich keiner den Gipfel in Hamburg, und deshalb kommt es ihnen darauf an, den Schwarzen Peter für alles, was vielleicht passiert, von Anfang an den Kritikerinnen und Kritikern des Gipfels zuzuschieben.

»Die Linke« als Partei bereitet aber Protestaktionen mit vor?
»Die Linke« beteiligt sich aktiv am Bündnis für die Demonstration am 8. Juli. Dieses Bündnis ist mit den Organisatoren anderer Protestaktionen über eine gemeinsame Plattform verbunden. Es gibt also eine Vernetzung, und »Die Linke« ist Teil davon.
Wie planen Sie, die Gipfelprotestwoche zu verbringen?
Ich hoffe, dass ich ab und zu nach Hause komme. Ich zähle die parlamentarische Beobachtung von Protestaktionen und Polizeieinsätzen zu meinen Aufgaben als innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion. Da jeden Tag was los ist, werde ich mehr oder weniger ständig unterwegs sein.