Der grüne Winkel

Platte Buch Von

Mitte April gedachten die wenigen noch überlebenden einstigen Häftlinge der Befreiung des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück. Obgleich die brandenburgische Staatssekretärin Ulrike Gutheil in ihrer Rede betonte, dass aller Opfer gedacht werde, kamen auch in diesem Jahr die von den Nationalsozialisten als Berufsverbrecherinnen klassifizierten Häftlinge nicht vor.

Die österreichische Politologin Sylvia Köchl hat mit ihrem Buch »Das Bedürfnis nach gerechter Sühne« erstmals die Wege von acht österreichischen Frauen nachgezeichnet, die, als Diebinnen und Abtreiberinnen verurteilt, in das KZ Ravensbrück deportiert wurden. Köchl engagiert sich seit langem in der österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück. Sie musste die Erfahrung machen, dass die Mythen über die Frauen mit den grünen Winkeln auch bei den ehemaligen politischen Gefangenen und ihren Organisationen bis heute tradiert werden. Köchl widerlegt die Annahme, die sogenannten kriminellen Gefangenen seien zur Spaltung der politischen benutzt worden.  Sie zeigt, dass einige der »kriminellen« Frauen tatsächlich immer wieder ihre tadellose nationale Gesinnung in Eingaben betonten und manche auch eng mit der KZ-Leitung kooperierten. Am Beispiel der Lagerältesten Marianne Scharinger wird hingegen das Leben einer Gefangenen mit der grünen Kennzeichnung dokumentiert, die sich nicht von den Nazis instrumentalisieren ließ und den politischen Widerstand im Lager deckte.

Anschaulich beschreibt Köchl den Kampf der ehemals als Berufsverbrecherinnen inhaftierten Paula Kolo und Aloisia Oppal um eine Haftentschädigung, die den beiden Frauen nach 1945 verweigert wurde. Oppal wurde sogar die Rente als Witwe ihres aus politischen Gründen ermordeten Mannes vorenthalten. Köchl schließt mit dem Appell, endlich den Opferfürsorgeerlass von 1946 so zu ändern, dass keine der einstigen Inhaftierten mehr diskriminiert wird. Es ist eine späte, aber dringend notwendige Geste, wie auch das Buch.


Sylvia Köchl: Das Bedürfnis nachgerechter Sühne. Mandelbaum-Verlag, Wien 2017, 360 Seiten, 24,80 Euro