Small Talk mit Torsun von der Band Egotronic über »deutsche Leitkultur«

»Gehören brennende Flüchtlingsheime dazu?«

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat dieser Tage einen Zehn-Punkte-Katalog für eine »deutsche Leitkultur« vorgelegt. Die Band Egotronic veröffentlichte mit »Exportschlager Leitkultur« bereits vor über zehn Jahren einen Song gegen solche Vorschläge zur deutschen Identitätsfindung. Sänger Torsun hat mit der Jungle World über das Elend der »deutschen Leitkultur« gesprochen.
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Der Song »Exportschlager Leitkultur« ist schon ziemlich alt. Spielen Egotronic ihn noch live?
Ja, wir spielen den Song noch live. Er ist von 2001, also aus dem Gründungsjahr der Band, und einer der ersten, die ich explizit unter dem Namen Egotronic produziert habe.

Was war damals der Anlass, den Text zu schreiben?
Ich weiß nicht mehr genau, welcher deutsche Politiker es war, der damals eine »Leitkultur« gefordert hat. Ein österreichischer Politiker fragte daraufhin jedenfalls, ob das der neue deutsche Exportschlager werden solle. Daraus entstand dann »Exportschlager Leitkultur«. Wie gesagt: Ich kann mich nicht an die Namen der betreffenden Politiker erinnern. Aber es geschah im Jahr 2001.

Was halten Sie von de Maizières neuen Thesen zur »Leitkultur«?
Ich habe Presseberichte zur Sache durchgelesen, aber nicht seine gesamten Ausführungen. Es handelt sich um die immergleiche üble Scheiße. Ich frage mich jedes Mal, wenn eine solche Debatte aufkommt, was denn überhaupt eine »Leitkultur« sein soll. Gehören brennende Flüchtlingsheime dazu? Abschiebungen in Krisengebiete? Gehört die Verschärfung des Polizeigesetzes dazu? Ich weiß es nicht.

De Maizière macht konkrete Vorschläge. Kleiner Leitkulturtest mit Egotronic: Die Begrüßung per Handschlag ist dem Minister offenbar wichtig. Sind Sie ein Handschlagtyp oder bevorzugen Sie Umarmungen?
Ich stehe eher auf Umarmungen, wenn ich Leute schon kenne. Ansonsten grüße ich eben, manchmal auch per Handschlag. Es kommt darauf an. An diesem Punkt wären Sie also fast durchgefallen. »Bei Demonstrationen haben wir ein Vermummungsverbot«, heißt es weiter bei de Maizière.
Gegen dieses Verbot habe ich schon früh verstoßen. Einen solchen Verstoß finde ich auch in Ordnung.

Bei Punkt zwei sind Sie damit rasselnd durchgefallen. »Wir fordern Leistung«, schreibt de Maizière. Können Sie irgendwelche Lebensleistungen vorweisen?
Ich habe viele Songs zum Thema Faulheit geschrieben. Leistungsdruck und -zwang gehören für mich zum Schlimmsten überhaupt. Auch hier bin ich komplett raus aus der Sache.

Bei Ihnen ist offensichtlich Hopfen und Malz verloren. Ist der Text von »Exportschlager Leitkultur« also weiterhin zeitgemäß?
Ja. Der Text zielt unter anderem ab auf die Parole »Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.« In Deutschland funktioniert es ganz glorreich, mit dem Finger auf das Ausland zu zeigen, beispielsweise auf den bösen Trump, der eine Mauer bauen will. Dass aber die europäische Mauer längst steht und im vergangenen Jahr an den EU-Außengrenzen Tausende Menschen gestorben sind, wird ausgeblendet. Es werden autoritäre Schritte in Ungarn und anderswo angeprangert, während hierzulande die Polizei unantastbar gemacht wird und der Demonstrant immer mit einem Bein im Knast stehen soll, und das mit einem Gesetz, das eigentlich mal dem Schutz der Bürger dienen sollte. Diese Scheinmoral zählt für mich zur »Leitkultur«: Wir sind die Deutschen, wir machen alles super, wir sind tolle Demokraten, während wir selbst alles autoritär umbauen. Da passt der Text von »Exportschlager Leitkultur« immer noch bestens.

Der Song bleibt also im Programm.
Auf jeden Fall. Er hat nicht an Aktualität verloren, im Gegenteil. Im Moment ist er wieder frisch.