Die Linke und das Recht

Artenschutz für die Polizei

Im Paragraphendschungel – eine Kolumne über das Recht im linken Alltag, Teil 4

Man hat den Eindruck, Polizeibeamte seiren derzeit eine stark gefährdete Spezies. Glaubt man den Zahlen, werden sie ständig angegriffen, verletzt und ganz allgemein nicht respektiert. Produziert und verbreitet werden diese Zahlen freilich von der Polizei selbst. Was Politiker aller Parteien nicht davon abhält, diese zu übernehmen und eifrig Lösungsvorschläge anzubieten. Befeuert wird die Debatte vor allem von den beiden Polizeigewerkschaften »Deutsche Polizeigewerkschaft« (DPolG) und »Gewerkschaft der Polizei« (GdP). Beide zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Unterschied zu anderen Gewerkschaften weniger um höhere Löhne für ihre Mitglieder kämpfen. Glaubt man GdP und DPolG, brauchen Polizisten stattdessen mehr Eingriffsbefugnisse, mehr Bewaffnung und vor allem brauchen mehr Respekt und Anerkennung. Die Koa­litionsmehrheit im Bundestag entschied sich, diesem dringenden Wunsch nachzukommen und Respekt und Anerkennung durch das Strafrecht auszudrücken.

Während lediglich eine kleine Gruppe Bürgerrechtler protestierte, beschloss der Bundestag kürzlich ein Gesetz zur »Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften«. Unter anderem sieht dieses im Paragraph 114 des Strafgesetzbuchs (StGB) vor, dass, wer einen Polizeibeamten bei einer Diensthandlung »tätlich angreift«, mit einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Mo­naten bestraft wird. Damit setzte der Bundestag einen vorläufigen Schlusspunkt unter eine jahrelang anhaltende Debatte.

Das eigentliche Problem für die Polizeigewerkschafter war der Paragraf 113 StGB, der »Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte« sanktioniert. Dieser schrieb eine sogenannte Privilegierung fest, also eine mildere Bestrafung des Täters im Vergleich zum allgemeinen Straftatbestand des Paragraphen 240 StGB, der Nötigung. Der Gedanke dahinter war folgender: Wenn ein Bürger zum Ziel einer Vollstreckungshandlung wird, also zum Beispiel von der Straße ­getragen wird, befindet er sich oft in einem erregten Zustand; zugleich fällt das Kräfteverhältnis in solchen Situationen deutlich ­zugunsten des Staats aus. Schutzgut des Straftatbestandes war die Vollstreckungshandlung, also die Staatsgewalt als solche, nicht der Beamte. All dies schmeckte den Polizeigewerkschaftern und ihren Verbündeten bei den Unionsparteien nicht, weswegen sie jahrelang den vermeintlich ungenügenden Schutz von Polizisten ­bemängelten. Im Jahr 2011 einigten sich CDU, CSU und SPD darauf, die Höchststrafe zu erhöhen, so dass der Privilegierungseffekt wegfiel. Dass die Gerichte im Großteil der Fälle dennoch keine Freiheitsstrafen aussprachen, wurmte die Polizeigewerkschafter so sehr, dass sie ihre Kampagne einfach weiterführten.
Nachdem die Bundesregierung ihnen nun entgegengekommen ist, muss man sich als Linker fragen, ob man es sich überhaupt noch erlauben kann, an Demonstrationen teilzunehmen. Denn bereits die angedrohte Mindeststrafe des neuen Paragraphen 114 StGB ist eine Freiheitsstrafe. Und so ein »tätlicher Angriff« kann vieles sein. Der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zufolge handelt es sich hierbei um eine »auf den Körper zielende gewaltsame Einwirkung«, wobei eine Verletzung nicht hervorgerufen werden muss. Nach dem Willen der Koalitionsfraktionen soll ein einfaches Schubsen ausreichen.

Wer beispielsweise öfter gegen Nazikund­gebungen demonstriert, weiß, wie leicht es zu Rempeleien kommen kann. Da Gerichte die Tendenz haben, den Beamten einen großen Vertrauensvorschuss zu gewähren, kann man sich seine Chancen im Prozess ausrechnen.

Ob die Rechtsprechung dem Willen der Koalitionsfraktionen folgen wird, ist allerdings offen. Zum einen könnte eine derart erhöhte Strafdrohung den Anlass bieten, den Tatbestand des »tätlichen Angriffs« enger zu definieren – also zum Beispiel einen Schubser nicht einzubeziehen. Außerdem wird sich vermutlich das Bundesverfassungsgericht mit dem Gesetz auseinanderzusetzen haben. Kritiker sehen in diesem einen Angriff auf die Versammlungsfreiheit gemäß Artikel 8 des Grundgesetzes.

Sollte das Gesetz gekippt oder durch die Rechtsprechung in seinen Auswirkungen eingeschränkt werden, kann man mit einem fast ­sicher rechnen: einer weiteren Kampagne der Polizeigewerkschaften. Eine Regierung, die willens und in der Lage ist, einer solchen Kampagne entschlossen entgegenzutreten, ist leider nicht in Sicht, so dass auch Verbesserungen vor Gericht nur Anlass zum kurzem Aufatmen bieten würden. Solange deutsche Polizisten bei der Wahl zwischen gewerkschaftlichem Kampf für mehr Geld und Kampf für mehr Autorität sich zuverlässig für Autorität entscheiden, wird sich an diesem Problem nichts ändern.Das neue Gesetz stellt ferner Rettungskräfte bei der Schutzwürdigkeit der Polizei gleich. Vielleicht ein Anlass, zum Roten Kreuz zu gehen und darauf zu warten, dass ein Polizist einen beim Einsatz anrempelt.