Die kleinen Schwarzen
Über 75 Jahre nach der Erstveröffentlichung von André Bretons berüchtigter »Anthologie des Schwarzen Humors«, die umgehend verboten wurde und erst Jahre später erscheinen konnte, hat der österreichische Musiker und Schriftsteller Thomas Raab eine Art Spin-off des Buchs veröffentlicht. Auf 320 Seiten versammelt die Anthologie schwarzhumorige Text von Autoren der Moderne (Nikolai Gogol, Herman Melville), der Avantgarde (Oswald Wiener, Rosa Pock, Dieter Roth) und der Populärkultur (Frank Zappa, Kathy Acker, Stefanie Sargnagel). Jedem der ausgewählten Originaltexte ist eine Einführung sowie eine kurze Analyse der Stilmittel vorangestellt.
Mit Michel Houellebecq und Raif Badawi sind gleich zwei Autoren vertreten, die als moderne Ketzer gelten dürfen. Die Glosse »Scharia-Astronomie« des zu 10 Jahren Haft und 1 000 Peitschenhieben verurteilten saudischen Bloggers Raif Badawi ist das Juwel in der Textsammlung. Sie ist der vielleicht mutigste Text der Gegenwart, der mit den Mitteln der Ironie die Erkenntnisse der Naturwissenschaften gegen die Dogmen des Islam verteidigt.
Schwarzer Humor, lernt man im Vorwort, hatte es nicht nur zu Lebzeiten des Surrealisten Breton schwer; auch in der Gegenwart muss sich der böse zahlreichen Herausforderungen stellen. Die Regeln der political correctness sind eine davon. Sie haben die Wahrnehmung des Witzigen ebenso verändert wie das Schwinden einer universalen Humortradition. In einer Gesellschaft, die sich immer stärker in kulturelle Milieus ausdifferenziert, lachen unterschiedliche Szenen über verschiedene Dinge.
Auch um bloße Tabuverletzung kann es beim schwarzen Humor nicht (mehr) gehen. Mit dem Holocaust sei historisch der Schritt von der dunklen Phantasie zur bösen Tat vollzogen. Sich auf die Unschuld des Fiktiven zu berufen, wie es die Surrealisten zur Verteidigung teils monströser Texte vermochten, sei so heute nicht mehr möglich.
Thomas Raab: Neue Anthologie des Schwarzen Humors. Marix-Verlag, Wiesbaden 2017, 320 Seiten, 22 Euro