Mit Lucky Luke durch das gelobte Land

Er betet schneller als sein Schatten

Im neuen »Lucky-Luke«-Band »Das gelobte Land« begleitet der »lonesome cowboy« eine jüdische Einwandererfamilie auf ihrem Weg durch die USA.

Kann es gutgehen, wenn ein 70jähriger Cowboy eine jüdische Familie aus Osteuropa durch die USA des 19. Jahrhunderts begleitet? Vorbei an schießwütigen Ganoven, quer durch Indianergebiete im Ausnahmezustand? Ja, wenn der Cowboy Lucky Luke heißt. Der Mann mit dem Strohhalm im Mundwinkel feierte im vergangenen Jahr seinen 70. Geburtstag, genauer: die »Lucky Luke«-Reihe. In seinem neuen Abenteuer ist die Figur jungenhaft und munter wie eh und je. Und natürlich ist sein Auftrag im soeben erschienenen Band »Das Gelobte Land« alles andere als leicht. Ein gescheiterter Cowboy namens Jack Loser bittet Luke, seine alsbald eintreffende Familie aus Osteuropa in Empfang zu nehmen und sicher nach Chelm City zu bringen. Jack gibt sich nach kurzer Zeit als Jude Jakob Stern zu erkennen, der seinen jüdisch klingenden Namen amerikanisiert hat. Seine Familie reist in dem Glauben an, dass ihr geliebter Jakob ein erfolgreicher Anwalt in New York sei. Doch leider ist Jack nur ein ziemlich erfolgloser Kuhtreiber. Luke übernimmt den Auftrag, und das Abenteuer der Reise nach Chelm City beginnt.

»Der Band ist gespickt mit unglaublich vielen Anspielungen und vielschichtigen Erzählsträngen. So ist zum Beispiel Chelm eigentlich eine kleine Stadt in Polen an der Grenze zur Ukraine. Diese Stadt spielt im osteuropäischen Judentum eine große Rolle. Sie ist ungefähr das, was Schilda für Deutschland ist. Es gibt ganze Bände mit jüdischen Witzen, die sich ›Geschichten aus Chelm‹ nennen«, weiß Klaus Jöken, der den Band aus dem Französischen ins Deutsche übertragen hat. Seit 25 Jahren übersetzt Jöken die »Lucky Luke«-Comics, dennoch sei der aktuelle Band eine besondere Heraus­forderung gewesen. »Als das Thema des neuen Bandes feststand, war ich etwas nervöser als bei anderen Bänden. Wie würde es sein, einen Comic ins Deutsche zu übersetzen, der das jüdische Leben und die jüdische Kultur auf die Schippe nimmt?« sagt Jöken. Für den Band – es ist der 95. der Reihe – ist der bewährte französische Zeichner Achdé zuständig, als Szenarist zeichnet Jul verantwortlich.

»Beide Autoren haben keine jüdischen Wurzeln. Es war eher so, dass Jul auf der Suche nach Themen war, die bislang noch nie in Lucky Luke auftauchten. Es gab schon Chinesen beim Eisenbahnbau und Afrikaner als Sklaven, aber Juden tauchten bislang noch nicht in den Geschichten auf«, sagt Jöken. Jetzt bekommt es der Westernheld gleich mit einer vierköpfigen jüdischen Familie zu tun: mit der Mischpoke Stern. Neben Opa Moishe Stern, den alle für einen Amish-Man halten, und seiner Frau Rachel, die ihren Mann um zwei Köpfe überragt, reisen auch die Enkelkinder Hanna und Jankel mit. Eingebettet wird die Familiensaga in die Geschichte der jüdischen Migration. In sechs großartigen Panels wagen die Autoren einen Streifzug durch die jüdische Einwanderung. Da guckt das Bauernpaar auf dem Gemälde »American Gothic« streng auf ein paar jüdische Einwanderer in traditioneller Kleidung. Albert Einstein reist als Kind in die USA ein, die Zeichner von Batman und Superman kommen ins Land und der Finanzbetrüger Madoff nimmt seine ­erste Bank aus.

Die Sterns suchen in den USA ein besseres Leben; im Gepäck haben die Siedler unzählige Bücherkisten. »Sind nur ein paar Bicher, Mr. Luke«, sagt Moishe Stern beiläufig. Die Familie spricht in der Geschichte ein angedeutetes Jiddisch. »Hier habe ich mich als Übersetzer für einen jiddischen Anklang entschieden, da die Familie gerade erst aus Osteuropa eingereist ist. Im Original sprechen sie akzentfreies Französisch. In Frankreich ist es viel wichtiger, eine Art ›Hochfranzösisch‹ zu sprechen. Der in Deutschland als sympathisch empfundene Einschlag eines Dialekts ist in Frankreich nicht sehr beliebt. In gebildeten Kreisen spricht man Pariser Französisch«, so Jöken. Es ist nicht die einzige Änderung, die der Übersetzer vorgenommen hat. So finden sich im Original viele Anspielungen auf die französische Geschichte, die als für das deutsche Lesepublikum unverständlich getilgt wurden.

Auch bei der Wortwahl gab es vieles zu beachten »In einer Szene sitzt der Opa auf dem Kutschbock und sagt zu seinem Enkel, er solle leiser fiedeln, damit er sich besser konzen­trieren könne. In der nächsten Szene fragt Luke dann, ob sie an dieser Stelle in der Prärie lagern wollten. Da bildet man in Deutschland aus den Wörtern ›konzentrieren‹ und ›lagern‹ sofort Konzentrationslager – zumal der Enkel seinen Opa fragt, ob er schon einmal gelagert habe und dieser antwortet, er nicht, aber viele aus seiner Familie. Ich habe es dann so gelöst, dass der Opa nicht abgelenkt werden möchte und sie in dieser Nacht kampieren«, sagt Jöken. Als die Familie sich am Schluss des Abenteuers in der französischen Fassung bei ihrem guide Lucky Luke ­bedanken will, übersetzt Jöken das Wort denn auch nicht mit »Führer«, sondern mit der Bekundung, man habe sich bei ihm sicher wie in Abrahams Schoß gefühlt.

Ein Lob für Luke, denn die Reisegruppe wird ständig von Ganoven verfolgt, die es auf die vermeintlich wertvolle Fracht in den Kisten ab­gesehen haben. Sie ahnen nicht, dass es sich dabei um eine Thora-Rolle handelt, die lediglich einen ideellen Wert hat. Beim Ausspionieren der Gruppe wird einer der Banditen seekrank, weil er die schaukelnden Bewegungen der Reisenden beim Gebet nicht verträgt. Oma kommentiert die Gebete ihres Enkels hingegen knochentrocken: »Der betet schneller als sejn Schatten!« Eine Anspielung auf Lukes Schießkünste. Den Red River überqueren sie sogar trockenen Fußes, da ihnen der Trapper Moses behilflich ist. Kurze Zeit später erreichen sie ihren Zwischenhalt, die kleine Stadt Peachy Poy, in der es laut Ortseingangsschild »Blei und Spiele« gibt. Die Stadt gleicht einem Schlachtfeld: Überall wird geschossen, gekloppt und geprügelt. Moishe erinnert es an sein Schtetl.

»Peachy Poy«, so Jöken, »bezeichnet im osteuropäischen oder vielmehr im rumänischen Jiddisch eigentlich ein kleines Kaff. Für die Franzosen hat es eine ganz andere Bedeutung. Als die Juden während der deutschen Besatzung im Durchgangslager Drancy gesammelt wurden, von wo aus sie nach Auschwitz deportiert wurden, gab es einen Überlebenden, der seine Erlebnisse in einem Buch niedergeschrieben hat. Er nannte es ›Die Reise nach Peachy Poy‹, weil er als Kind immer fragte, warum Leute verschwanden. Die Erwachsenen antworteten ihm dann immer, sie seien nach Peachy Poy gefahren. Für die jüdischen Franzosen wurde es ein Synonym für Auschwitz.«

Nicht alle Bezüge auf die Geschichte funktionieren im Deutschen. So trifft die illustre Reisegruppe auf Indianer, die die Enkelin Hanna als verlorenen Stamm Israels bezeichnet. In der deutschen Übersetzung sind es die Cree-Indianer, im französischen Original die Schwarzfußindianer. »In Frankreich werden die Al­gerien-Franzosen, die nach dem Algerienkrieg nach Frankreich kamen, als pieds noirs, als Schwarzfüße, bezeichnet. Und damals wanderten auch rund eine halbe Millionen Juden aus Algerien ein. Diesen geschichtlichen Hintergrund kann man in Deutschland nicht voraussetzen. Der amerikanische Offizier warnt Lucky Luke dann auch noch vor der Weiterreise, weil dieses Volk immer auf dem Pfad, dem Kriegspfad, sei. Die Autoren spielen damit auf die Pariser Straße ›Le sentier‹ (der Pfad) an, in der sich viele dieser jüdischen Algerien-Franzosen ansiedelten. Dieses Wortspiel versteht im Deutschen niemand«, sagt Jöken.

Viele dieser Anspielungen gehen in der deutschen Übersetzung ver­loren, wobei dies in der Natur der Sache und nicht in der Verantwortung des Verlages oder Übersetzers liegt. Morris, dem Erfinder von Lucky Luke, wären diese Vielschichtigkeit und die vielen historischen Bezüge vermutlich gar nicht recht gewesen. Er legte Wert darauf, dass in den »Lucky Luke«-Bänden keine Anspielungenn eher europäischer Provenienz vor­kamen. »Dies lag wohl darin begründet, dass Morris Belgier war. Seine ›Lucky Luke‹-Bände erschienen immer auf Französisch und Nieder­ländisch. Und da er selbst nicht so gut übersetzen konnte, wollte er wohl auch keine Zweideutigkeiten«, vermutet Jöken. Trotzdem enthielten auch die Bände unter Morris’ Verantwortung viel Witz und Ironie, vor allem als Goscinny die Geschichten entwarf. Er schuf auch viele der humorvollen Figuren und ließ Jolly Jumper, Lukes Pferd, sprechen.

Im aktuellen Band scheint es, dass der lonesome Cowboy durch die Mitarbeit von Jul deutlich an Kontur gewinnt. Die Geschichte profitiert von ihrem Humor – sowohl für Kinder als auch für Erwachsene. Klar ­haben die Franzosen noch mehr zu lachen, aber auch ohne die vielen französischen Andeutungen lebt der Band durch seinen liebevoll-humorvollen Blick auf jüdische Traditionen und Regeln. Der Sabbat wird ebenso detailverliebt begangen (und Lucky Luke versteht die Welt nicht mehr) wie die Bar Mizwa. Und zum Schluss reitet der einsame Luke in den Sonnenuntergang – vorbei an einem siebenarmigen Kaktus.

Lucky Luke Nr. 95: Das gelobte Land. Zeichnungen: Achdé, Szenario: Jul. Aus dem Französischen von Klaus Jöken. Egmont Ehapa, Berlin 2017, 48 Seiten, 12 Euro