Ein Gespräch mit dem Regisseur Julian Radlmaier über seinen Film »Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes«

»Fatalismus interessiert mich nicht«

Arbeitslosigkeit, Berliner Hipster, eine Apfelplantage, der Weltmarkt und Hedonismus sind nur einige der Themen, die der Film »Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes« behandelt. Der Regisseur Julian Radlmaier verbindet in seinem jüngsten Werk Phantasie und politische Radikalität.
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Sowohl in Ihrem Film »Ein proletarisches Wintermärchen« als auch in »Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes«, mit dem Sie Ihr Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) abgeschlossen haben, geht es um ein kommunistisches Märchen. Welche Bedeutung hat dieser Begriff für Sie?
Ich habe nicht den Begriff des Märchens in seiner literaturhistorischen Komplexität analysiert. Es geht mir um den Versuch, mit einem politischen Film die Gegenwart zu repräsentieren, aber nicht bei einer Widerspiegelung der Wirklichkeit zu bleiben. Die fiktionale Ebene gibt mir die Freiheit, ins Phantastische zu gehen. Dafür verwende ich die Bezeichnung Märchen, die sich auch als Kampfbegriff gegen eine bestimmte Art des realistischen Kinos richtet. Es gibt zwar auch komplexere Formen des Realismus, die sich nicht auf die bloße Abbildung der Wirklichkeit beschränken. Mir geht es aber darum, den Bereich der Darstellung zu erweitern und das, was man in der Wirklichkeit wahrgenommen hat, mit Ideen zu konfrontieren. Eine streng realistische Herangehensweise wäre da eher hinderlich. In meinem Film »Ein proletarisches Wintermärchen« gibt es eine boshafte Wolke und ein schwarzes Loch, Dinge, die einem in der Wirklichkeit eher nicht begegnen. Der Film setzt sich mit historischer Realität auseinander und das Märchen, die fiktionale und phantastische Ebene, befragt diese Realität.

»Für die Reinigung der öffentlichen Toiletten müsste jede Einzelperson nur alle 30 Jahre putzen – bei gerechter, gleicher Verteilung.«

Im dialektischen Sinne könnten Ihre Filme durchaus realistisch genannt werden. Sie nutzen verschiedene Kunstmittel, um die Realität zu deuten. Eine Art poetischer Realismus, der sich von einem naturalistischen Verfahren unterscheidet. Ist das nur ein terminologischer Unterschied?
Vielleicht wäre der Naturalismus der richtige Widerpart, ja. Ich möchte mit meinen Filmen nicht nur die Menschen zeigen, wie sie angeblich sind, sondern auch die ideologischen Zugriffe auf die Wirklichkeit. Die Vorstellungen von Realität sollen offengelegt werden.

Ihre Protagonisten putzen Villen und pflücken Äpfel. Immer wieder widmen Sie sich Menschen in prekären Verhältnissen – eine heterogene Gruppe, die vielsprachig, widersprüchlich, zerstritten und trotzdem miteinander verbunden ist.
Mehr als eine soziologische Ableitung dieser Figuren interessiert mich ihr handelndes Moment, ihre ideologisch unterschiedlichen Zugriffe auf die Welt. Die Menschen sind durch die Situation, in der sie leben, determiniert, nicht durch ihr Sein. Ihre Zugänge zur Welt können sich verändern.

Ihr jüngster Film trägt bereits im Titel die Selbstkritik, die vor allem eine Selbstkritik des Filmemachers meint. Eine der Haupt­figuren ist ein Filmemacher namens Julian, von Ihnen selbst ­gespielt.
Die Selbstkritik wird auf mehreren Ebenen des Films thematisiert, es gibt auch Momente, die sich ihr entziehen. Es gelingt nicht, das Scheitern der Utopie im Film zu beglaubigen. Das ist eine Kritik an den Filmen, die ihr inhärentes utopisches Potential aufgeben für eine Art retour à la raison, um dann die Spielregeln der Welt wieder einzusetzen. Die Selbstkritik richtet sich aber auch gegen ein Klassenprivileg, denn die Idee einer egalitären Welt verträgt sich schlecht mit den Vorrechten, die man durch seine Geburt bekommen kann. Die Frage ist auch, ob die Diskussionen über diese gerechtere Welt nicht auch von Klasseninteressen geprägt sind. Das merkt man auch in der Linken. Es ist doch erstaunlich, dass große Teile der Bevölkerung es für ihr natürliches Recht halten, keine Äpfel pflücken zu müssen – wie in meinem Film –, aber gleichzeitig Hartz-IV-Empfängern, zumindest denen ohne Uniabschluss, oder Menschen aus Polen genau dieses Vorrecht absprechen. Da gibt es eine Kluft zwischen den Höhergeborenen und den niederen Tätigkeiten.
In einer Szene des Films geht es um die Verteilung von Arbeit. Für die Reinigung der öffentlichen Toiletten müsste jede Einzelperson nur alle 30 Jahre putzen – bei gerechter, gleicher Verteilung. Der Impuls, »Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes« zu machen, war auch, ein internalisiertes Überlegenheitsgefühl zu kritisieren. In meinem vorigen Film, »Ein proletarisches Wintermärchen«, gab es diese Ebene der Selbstkritik noch nicht.

Bei der Vorführung von »Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes« auf der Berlinale lachte zeitweise der ganze Saal. Welche Funktion hat der Humor in dem Film?
Humor ist interessant, wenn er behilflich ist, die eigene Beschränktheit zu überwinden und alles, was man denkt, fühlt und sagt, in Frage zu stellen. Für mich als Autor – und hoffentlich auch für den Zuschauer – ist das eine Möglichkeit, mich zu Ideen zu verhalten. Einen Einfall auch auf sein absurdes Potential hin zu befragen, soll ihn nicht lächerlich, sondern handhabbar machen. Sich einer Idee zu verpflichten durch Humor, heißt nicht, ihr zu erliegen.

Die Komödie kann man als materialistische Gattung bezeichnen. Die Herrschaft der Idee wird durch den Eigensinn der Individuen durchkreuzt, die gut essen wollen und auf der Suche nach Geschlechtspartnern sind. Dabei wird das Individuum in seiner Beschränktheit gezeigt, aber nicht vorgeführt oder verachtet, sondern in sein Recht gesetzt.
Bei »Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes« wird zwar die Vorstellung von Kommunismus gewissermaßen auf humorvolle Weise dekonstruiert, aber nicht verworfen. Der Egoismus und das Abweichende werden gezeigt und trotzdem wird die Richtigkeit bestimmter Ideen behauptet – und in diesem Spannungsverhältnis entsteht erst der Humor. Der Wunsch, etwas anders zu machen, vielleicht auch die Gesellschaft umzuorganisieren, kann egoistischen Ursprungs sein. Er muss nur auf eine Idee ­treffen.

Eine Figur bemängelt den Schritt des Filmemachers zum Narrativen, das sei nicht mehr so radikal. Gleichzeitig gibt das auch eine Entwicklung in Ihrem Werk wieder. »Ein Gespenst geht um in Europa« von 2012 stand noch eher in der Tradition des Essayfilms, ihr jüngster Film ist wie »Ein proletarisches Wintermärchen« erzählender. Was ist das Narrative in Ihren Filmen?
Narration ist immer komplex, man kann weniger offenlassen. »Ein Gespenst geht um in Europa« ist noch assoziativer, lückenhafter, da kann sich jeder denken, was er will. Die modernistische Ästhetik kann aber auch eine Ausrede sein, weil man eben nicht mit Brecht’scher Penibilität eine Fabel konstruieren muss, sondern alles zusammenwirft. Wenn es dann nicht passt, ist es auch egal. Interessant ist doch, dass sich die unterschiedlichen Ebenen einer Erzählung dialektisch zueinander verhalten können, gerade im Film mit der Bildebene. Der erzählende Film ist reicher an Ausdrucksmöglichkeiten und bietet ein geschlossen konstruiertes Sinngebilde mit einer eigenen Ökonomie. Jean Renoir ist ein wich­tiger Einfluss für mich, unter herkömmlichen Aspekten betrachtet könnte er auch als schlechter Regisseur gelten. Bestimmte Dinge lässt er untergehen, andere betont er stark. In seinen Filmen ist nicht alles free floating, es gibt Ordnungen der Wahrnehmung – auch ein Gedanke von Jaques Rancière.

Bei Rancière heißt es, »das Reale muss zur Dichtung werden, damit es gedacht werden kann«. Zentral für ihn ist der Begriff der Fiktion »als erfundene Welt, die der Realität keine Rechenschaft schuldig ist, gleichzeitig aber eine Sphäre gemeinsamer Referenzen und Erfahrungen mit dieser definiert«. Wie verstehen Sie das?
Es geht darum, in einem Kunstwerk Sinn zu konstruieren, eine Fiktion herzustellen, aber offensiv mit den damit einhergehenden Schwierigkeiten umzugehen. Die Fiktion kann sich gegenüber der Realität dann verhalten. Aber es gibt heute eine Verarmung filmischer Formen, bestimmte Ästhetiken werden ohne großen Aufwand reproduziert – auch im avancierten Kunstfilm. Einige formale Formate werden bedient, ohne noch zu fragen, ob sich das inhaltlich begründen lässt. Das ist schade, weil viele filmische Formen ausgeschlossen werden; das ist in der Filmproduktion institutionell verankert. Formenreichtum und Vielfalt an Artikulationsmöglichkeiten, die sich oft in den künstlerischen Experimentalfilm verabschiedet haben, in das narrative Kino zu bringen, wäre ein Anliegen. Wenn man heute einen politischen Film machen möchte, muss man sich der Fiktion bemächtigen und ihrer Mittel bedienen.

Die Ästhetik von »Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes« erinnert an Pier Paolo Pasolini, an seine frühen Filme über das Leben des Subproletariats, vor allem aber an die späten, die Volkserzählungen aufgreifen. Das steht gleichzeitig in der Tradition eines theoretisch reflektierten, politischen Kinos. Ist Pasolini eine wichtige Referenz?
Pasolini ist wichtig für mich, auch für »Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes«. Er hat die Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, die etwas Burleskes haben und die Lust daran auch nicht verneinen. Pasolini steht damit in einer subversiven Tradition. Auch im Spiel mit den Figuren ist er ein Vorbild. Es ging ihm nicht ­darum, den Schauspieler zu haben, der hinter seiner Rolle zu verschwinden versucht; auch nicht den Laien, der das Künstliche vorgeblich authentisch negiert und mit seiner außerfilmischen Existenz identisch sein soll. Es geht darum, einen Körper zu haben, mit dem sich Rolle und Spieler ins Verhältnis setzen können. Aber auch die Filme Jean-Luc Godards aus den sechziger Jahren, die Arbeiten des Paars Straub-Huillet und der georgische Filmemacher Otar Iosse­liani sind wichtig für mich.

Ihr Vorschlag für das politische Kino lautet also, mittels ästhetischen Formenreichtums eine Fiktion zu schaffen und zur Diskussion zu stellen.
Vor allem in der Form muss das Kino politisch sein. Aber es muss für seine Ästhetik auch politische Begriffe wiederentdecken. Da gibt es viele Vermeidungsstrategien – und immer wieder bloß eine Verdopplung der herrschenden Ideologie. Es ist falsch, nur Elend zu zeigen und so zu tun, als wäre außerhalb des Kinos nie über die Abschaffung von Ungerechtigkeiten debattiert worden. Ich finde es eigenartig, politische Filme zu machen, in denen politische Begriffe nicht auftauchen, als ob die nicht zur Verfügung stünden.

In »Selbstkritik eines bürgerliche Hundes« kommt wohl so oft wie in keinem anderen Film der jüngeren Vergangenheit das Wort Kommunismus vor.
Das Wort Kommunismus ist in dem Film lustvoll besetzt, ohne Frage. Der Versuch, den Kommunismus zu denken, soll ja auch lustvoll sein. ­Fatalismus interessiert mich nicht.


»Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes« (D 2017). Regie: Julian Radlmaier. Darsteller: Julian Radlmaier, Deragh Campbell, Beniamin Forti. Filmstart: 8. Juni