Small Talk mit Nailia Chikhi von Terre des Femmes über die Forderung nach einem Kopftuchverbot für Minderjährige

»Grund­lagen einer Geschlechterapartheid«

Kopftuch im Unterricht? Zuletzt forderte der Türkische Bund Berlin-Brandenburg im Jahr 2015, muslimische Mädchen sollten in Ausübung der Religionsfreiheit die Schule mit dem Kopftuch besuchen dürfen – gegen den Willen von Lehrern und Schulleitern. Die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes hat in der vergangenen Woche nicht nur ein Kopftuchverbot an Schulen, sondern generell für Minderjährige gefordert. Die Soziologin Nailia Chikhi von Terre des Femmes hat mit der Jungle World über das Kopftuchverbot für Mädchen gesprochen.
Small Talk Von

Mit welcher Begründung setzt sich Terre des Femmes für ein Verbot des Kopftuchs für Mädchen und Frauen unter 18 Jahren ein?
Alle Minderjährigen haben ein Recht auf Kindheit, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht, ihrer Weltanschauung und Religionszugehörigkeit. Sie müssen die Möglichkeit haben, sich frei zu ent­falten und auch an der Gesamtgesellschaft teilzuhaben. Das Kopftuch erschwert beziehungsweise verhindert das. Zudem wissen wir, dass gerade heranwachsende Mädchen dem Kopftuch und der Verschleierung kritisch gegenüberstehen. Deshalb ist es wichtig, dass für sie ein Schutz besteht, vor allem wenn es um die Situation am Ausbildungsplatz geht. Das Kopftuch markiert Frauen generell als Sexual­wesen. In den Köpfen der Mädchen wird die Vorstellung erzeugt, zum falschen, sexuell gefährlichen ­Geschlecht zu gehören. Das sind die Grundlagen einer Geschlechterapartheid, gegen die wir uns seit Jahren einsetzen.

Ist die Forderung nach einem gesetzlichen Kopftuchverbot auch einer zu beobachtenden Entwicklung geschuldet?
Es gibt eine Entwicklung, die wir in Schulen beobachtet haben, teilweise sogar in Kindergärten. Ich wurde beispielsweise persönlich von Sozialarbeitern angefragt, die in Flüchtlingsunterkünften tätig sind. Dort sollten Mädchen, die zuvor kein Kopftuch trugen, plötzlich auf Druck der Eltern eines aufsetzen. Die Sozialarbeiter wussten nicht, wie sie in einer solchen Situation reagieren sollten. Eine Entwicklung ist auch zu erkennen, wenn man in bestimmten Stadtteilen in Berlin unterwegs ist. Da sieht man schon kleine Mädchen mit dem Kopftuch. Das sind keine Einzelfälle.

Steht Ihre Forderung nicht im Widerspruch zum elterlichen Erziehungsrecht, das auch die Entscheidung für eine religiöse Erziehung einschließt?
Die Eltern haben selbstverständlich das Recht, ihre Kinder so zu erziehen, wie sie das möchten. Das ist jedoch nur so lange der Fall, wie diese Erziehung den Kindern nicht schadet und deren freie Entwicklung nicht unterbunden wird. Das gilt für jede Konfession und politische Überzeugung. Soziologen und Psychologen von Kinderschutzorganisationen in muslimischen Ländern können belegen, welche negativen Folgen das Kopftuch und die Verschleierung für Mädchen haben kann, sei es auf psychischer, körperlicher oder gesellschaftlicher Ebene. Manche tunesische Psychologinnen bezeichnen die Verschleierung von Mädchen deshalb als Kindesmisshandlung und Menschenrechtsverletzung. Die kindliche Entwicklung in Deutschland ohne ein Verbot zu gewährleisten, wäre selbstverständlich am schönsten. Doch über das Kopftuch bei Minderjährigen wird nicht offen genug diskutiert. Das Thema wird eher beschwiegen.

Gibt es bereits Reaktionen von Parteien auf Ihre Forderung?
Es gibt noch keine offiziellen Reaktionen. Unser Beschluss zum Kopftuchverbot bei Minderjährigen ist auch noch recht frisch.

Haben sich die deutschen Islamverbände zu Ihrer Forderung geäußert?
Nein, bislang kam noch nichts. Aber sehr wahrscheinlich dürfte das noch geschehen.