Die Fortsetzung der Kult-Serie »Twin Peaks«

Unschuldig ist hier keiner

David Lynchs Serie Twin Peaks galt bei ihrer Erstausstrahlung als Neuerfindung des Fernsehens. Nun wird die geradezu kultisch verehrte Mystery-Erzählung fortgesetzt.

»I see you again in twenty-five years«, sagt die schöne junge Frau zu Agent Dale Cooper in einem seiner mysteriösen Träume. Diese Frau, die aussieht wie Laura Palmer, hat nur beinahe Recht behalten. 26 Jahre hat es gedauert, bis es ein Wiedersehen mit dem Örtchen Twin Peaks gibt, dieser fiktiven Stadt im US-Bundesstaat Washington, gelegen inmitten von Tannenwäldern, nahe der Grenze zu Kanada. Bereits 2014 gab der US-Sender Showtime bekannt, eine dritte Staffel in Auftrag gegeben zu haben. Die ersten Folgen wurden Ende Mai ausgestrahlt.

Die skurrilen Figuren von einst sind zum Standard­repertoire weiterer Erzählungen geworden, ihre Eigenheiten als Identitätsangebote im Mainstream aufgegangen. Heute ist jeder ein Nerd, ein Freak oder ein abenteuerlustiges, geheimnisvolles Wesen.

1990 wurde die erste Staffel von »Twin Peaks« gesendet und damit, so wird es ständig wiederholt, das US-amerikanische Fernsehen neu erfunden. David Lynch, Regisseur etlicher kultisch verehrter Spielfilme, und der TV-Produzent Mark Frost zeichnen, wie damals schon, für die neuen Folgen verantwortlich. Lynch hat seit elf Jahren keinen Spielfilm mehr gedreht und angekündigt, dass es auch keine weiteren geben werde. Stattdessen nun also eine Neuauflage seiner Serie.
Worum geht es in »Twin Peaks«? Um den Tod des Teenagers Laura Palmer und die Suche nach ihrem Mörder? Um die Machenschaften des Hoteliers Benjamin Horne? Um die geheimen Liebesaffären von Bobby Briggs, Josie Packard, Shelley Johnson? Oder soll vor allem die Geschichte eines FBI-Agenten und seiner Ermittlungsmethoden erzählt werden?

Die ersten beiden Staffeln von »Twin Peaks« haben nicht die eine Geschichte, keinen Plot im herkömmlichen Sinne. Denn um die Geschichte eines Mordes und dessen Aufklärung zu erzählen, braucht man für gewöhnlich keine Log Lady, jene Frau mit der großen Brille, die mit einem Holzscheit spricht; und man braucht keinen einarmigen Mann, keine in rotem Plüsch ausstaffierten Traumräume. »Twin Peaks« soll statt einer stringenten Story Bilder produzieren, und zwar am laufenden Band: streng aufgereihte Donuts in der Polizeistation, der zackig gemusterte Teppichboden in den Träumen von Cooper oder das ikonisch gewordene Bild der toten Laura Palmer – eingewickelt in Plastikfolie. Sie alle haben sich ins popkulturelle Gedächtnis gefressen und sind daraus nicht mehr zu verbannen.

Die Einschaltquoten brachen ein, als die Identität des Mörders im Laufe der zweiten Staffel gelüftet wurde. Der Fernsehsender ABC hatte die Einhaltung dieser Erzählkonvention zur Bedingung gemacht – und damit das Publikum der Serie unterschätzt. Lynch und Frost hatten nicht vor, ­einen Täter zu präsentieren, ein Novum für eine Serie dieser Art und Größe. Es hätte zur Logik von Twin Peaks gepasst: Hier ist die Rätselhaftigkeit Thema, nicht deren Auflösung.

Einige dunkle Geheimnisse wurden dennoch planmäßig gelüftet. Die Idylle der US-amerikanischen Kleinstadt wurde systematisch auseinandergenommen. Die schöne, hilfsbereite Laura führt ein Doppelleben und ist heimlich ein koksabhängiges Callgirl; die Serviererin Shelly wird von ihrem Mann Leo misshandelt und allerlei Intrigen spinnen sich um ein Grundstück mit Sägewerk, das der Tycoon Ben Horne abreißen und durch einen Country Club ersetzen will. Jeder hat hier Dreck am Stecken oder, wie es paradigmatisch in einer Einblendung im Trailer zum Film-Prequel »Fire Walk with Me« (1992) geschrieben steht: »In a town like Twin Peaks no one is innocent.«

Dass die Kleinstadt Twin Peaks kein Hort der Glückseligkeit ist, müsste jedem Zuschauer mittlerweile klar sein. Das Thema von »Twin Peaks« wurde erschöpfend behandelt und in diversen Film- und Serienproduktionen weitergesponnen. Die skurrilen Figuren von einst sind zum Standardrepertoire weiterer Erzählungen geworden, ihre Eigenheiten als Identitätsangebote im Mainstream aufgegangen. Heute ist jeder ein Nerd, ein Freak oder ein abenteuerlustiges, geheimnisvolles Wesen. Etwas Anrüchiges hat das schon lange nicht mehr.

Die dritte Staffel von »Twin Peaks« steht also vor sehr großen Herausforderungen. Einerseits sitzt ihr das eigene Vermächtnis im Nacken: die damals originelle Bildwelt ist mittlerweile kanonisiert, sie führt ein von ihren Urhebern unabhängiges Eigenleben. Andererseits fehlt der Serie das Thema. Eine Fülle der sogenannten Quality-TV-Serien haben seither, vor allem inspiriert von »Twin Peaks«, kompliziertere Formen der Erzählung sowie schräge Figuren in das Format der Serie eingeführt. Das Fernsehen als Medium, und das ist das große Verdienst von Lynch und Frost, ist zu einem geworden, das von seinen Belieferern selbstkritisch befragt und reflektiert wird.

In der ersten Staffel von »Twin Peaks« läuft immer mal wieder eine Seifenoper im Fernsehen, die sarkastisch das Geschehen kommentiert. »Invitation to Love« ist die auf die Spitze getriebene Soap, exaltiert, kitschig und banal. Doch wird hier die Profanität des Genres nicht bloß durch den Kakao gezogen. Etwas Wahres liegt in den entrüsteten und tränenüberfluteten Gesichtern, und genau dies wird von »Twin Peaks« adaptiert. Die Stärke der Serie ist die Dialektik zwischen der avantgardistischen Herangehensweise ihrer Macher und den dramaturgischen Zwängen, die das Fernsehen ihnen auferlegt. Auch in »Twin Peaks« wird übertrieben geweint, auch hier wird mit dem Cliffhanger gearbeitet, also mit dem spannungsgeladenen offenen Ende. Die Kritik am Fernsehen ist eine immanente, keine moralische oder eine ästhetische. Der Liebhaber vermeintlicher künstlerischer Großtaten kommt bei den ersten Staffeln von »Twin Peaks« genauso auf seine Kosten wie der alles glotzende Fernsehkonsument. Gleichzeitig hat die Serie immer wieder Erwartungen durchkreuzt und ad absurdum geführt. »Twin Peaks« war niemals ein anderes oder besseres Fernsehen – »Twin Peaks« ist der Inbegriff des Fernsehens. Bei der Erstausstrahlung 1990 war die Serie trotz ihrer spinnerten Anmutung kein Nischenprodukt, 34 Millionen Menschen schauten sich die Pilotfolge an.

In der dritten Staffel von »Twin Peaks« sind nun alle Regeln des Fernsehens abgeschüttelt worden. Showtime erlaubt als Pay-TV-Sender eine andere Art der Produktion. Was damals eine Reflexion auf das Fernsehen war, wirkt heute wie ein Ressentiment gegen ebendieses. Zusammenhangslos montiert sind die einzelnen Szenen der ersten Doppel­folge, die Kamera distanziert, die Einstellungen oft in der Totalen verharrend. Die Dialoge sind so obskur und inhaltlich unverständlich wie Dada-Gedichte, das Spiel der Schauspielerinnen und Schauspieler dazu lakonisch, ihre Gesichter eingefroren. Manche mag das an Filme des Regieduos Straub-Huillet oder an Rainer Werner Fassbinder erinnern, die alle drei bei Bertolt Brechts epischem Theater Anleihen nahmen, um Distanz zwischen Schauspieler und Zuschauer zu erreichen. Ziel war es, den Illusionscharakter des Gezeigten zu durchbrechen. Das antinaturalistische Spiel in den neuen Folgen von »Twin Peaks« wirkt dagegen nur wie ein offensichtliches ­Zitat, deplatziert und allzu bemüht.

Der Humor der ersten beiden Staffeln, der sich aus der Verschränkung des leicht verrückten Spiels mit der absurden Handlung ergab, ist einem selbstbezüglichen Witz gewichen. Ansonsten herrscht die Ernsthaftigkeit. Gleich in der ersten Folge der dritten Staffel passieren mehrere grausame Morde. Der von dem dämonischen Wesen BOB besessene Dale Cooper reist killend durch das Land, während sein Doppelgänger, der eigentliche Cooper, in einer anderen Dimension feststeckt. Verstehen kann man dieses Geflecht aus Welten, Zeiten, Orten und Figuren nicht, die einstmalige Rätselhaftigkeit der Bilder ist zu einem selbstzweckhaften Rätsel der Handlung geworden. Das Ende der Serie war grandios – die Szene, in der Cooper im Bad in den Spiegel schaut und den langhaarigen BOB anstatt seines eigenen Gesichtes sieht. Vielleicht hätte dieses offene Ende der Serie besser gestanden als ihre überambitionierte Fortsetzung.