Die BBC-Serie »Peaky Blinders«

Auf der falschen Seite der Gleise

Die gefeierte BBC-Serie »Peaky Blinders« erzählt, wie eine Gangsterbande sich ihren Weg durch das England der zwanziger Jahre bahnt. Gerade ist die dritte Staffel der Serie in Deutschland angelaufen.

Birmingham, 1919: Eine Gangster­bande namens Peaky Blinders kontrolliert den von Industrie und ­Armut geprägten Stadtteil Small Heath. Die drei traumatisiert aus dem Krieg zurückgekehrten Brüder Tommy, Arthur und John Shelby sowie ihre Tante Polly bilden den Kern der Gruppe, die sich auf manipulierte Pferdewetten spezialisiert hat. Tommy – großartig gespielt von Cillian Murphy – ist der intelligenteste der Brüder und der Boss der Bande. Er navigiert die Peaky Blinders gekonnt durch das brodelnde Chaos ständig wechselnder Allianzen zwischen korrupter Polizei, interessierten Behördenvertretern, kommunistischen Gruppen, der IRA und verfeindeten Verbrechern.

Die Serie, deren dritte Staffel am 8. Juni auf Arte angelaufen ist, spielt im England der zwanziger Jahre. Eine Zeit, die in »Peaky Blinders« stark stilisiert dargestellt wird: Wichtig ist, was auf dem Bildschirm gut aussieht. Die Ästhetik der Serie ist geprägt von einem Spiel mit Farben und Stimmungen, mit Zeitlupe und Zoom. Die Figuren – vor allem die Gangster und Mächtigen – sind schillernde Übertreibungen, besonders gelungen spielen Sam Neill, der als sadistischer Polizist Campbell zu sehen ist, und Tom Hardy, der den Boss der jüdischen Gang spielt. Der Soundtrack bietet Songs von unter anderem Nick Cave, PJ Harvey und den White Stripes, die manchen Szenen eine an die Filme Quentin Tarantinos erinnernde Coolness verleihen.

Helden gibt es in »Peaky Blinders« keine. Es fehlt die gute Sache, das hehre Ziel, für das gekämpft werden könnte. Und unschuldig ist in dieser Welt eh niemand.

Im Gegensatz zu vielen anderen period dramas, die Authentizität vorgaukeln und die Vergangenheit verklären, behauptet »Peaky Blinders« gar nicht erst, ein realistisches Abbild der historischen Situation zu zeichnen. »Peaky Blinders« betont die Künstlichkeit der Inszenierung und legt somit offen, dass das historische Setting, die Kameraführung und Musik als Mittel genutzt werden, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Aber die Serie zeigt nicht bloß eine stimmungsvolle Oberfläche, sondern erzählt auch eine interessante Geschichte.

Die Shelbys leben an der »Edge of Town«, einer Gegend jenseits der Gleise, die Nick Cave im Titelsong der Serie besingt. Sie sind Roma, werden als Zigeuner beschimpft und müssen in die Illegalität gehen, um sich Anerkennung zu verschaffen. Tommy erweist sich als hochintelligenter Stratege, er wäre der perfekte Leiter eines erfolgreichen Unternehmens. Doch der Weg bleibt ihm versperrt, er gehört der falschen Klasse an. Das Business der Shelbys läuft trotzdem gut, die Bande weitet ihren Machtbereich aus. Es geht ihnen nicht darum, mit allen Mitteln möglichst viel schnelles Geld zu verdienen, sondern eines Tages ein legales Unternehmen führen zu können und die Gewalt hinter sich zu lassen. Schon bald werde es so weit sein, verspricht Tommy. Was fraglich ist, zumal die Gewalt in familiären Beziehungen der Shelbys eine große Rolle spielt.

Tommys Bemühungen, als self-made man seinem Herkunftsmilieu zu entfliehen, stoßen immer wieder an ihre Grenzen. Gelingt es ihm in der ersten und zweiten Staffel noch, die Polizei und die lokalen Bosse auszutricksen, wird er schon bald mit einem anderen Gegner konfrontiert. In der dritten Staffel wird Tommy zum Spielball von Menschen und staatlichen Institutionen, deren Einfluss größer ist, als Tommy überblicken kann. Die erfolgreiche Expansion des Unternehmens führt Shelby nicht in die erhoffte Legalität, sondern bloß dazu, von immer mächtigeren Gruppen ausgenutzt zu werden. Polizei, Staat und Kirche greifen zu den gleichen Mitteln wie die Gangster, sie machen sich nur nicht die Hände schmutzig, dazu benutzen sie Leute wie die Shelbys.

Tommys Geschäftsprinzip entspricht dem liberalen Ideal der Freiheit und Gleichheit des Marktes: Es geht einzig ums Geschäft, jeder kann von Nutzen sein und zum Gewinner oder Verlierer werden, unabhängig von Religion, Herkunft oder politischer Einstellung. Doch in der dritten Staffel wird Tommy schließlich klar, dass die Gewinner bereits feststehen. Der kommunistischen Haltung seiner Schwester Ada pflichtet er bei – allerdings in seiner Auslegungsweise: Die Reichen, Adligen und Mächtigen werden den als minderwertig betrachteten Shelbys nie Zutritt zu ihren Palästen gewähren. Deshalb müssen die Shelbys ihren eigenen Weg finden, um das zu bekommen, was sie wollen und was ihnen in ihren Augen zusteht.

Wie das gehen soll, davon haben Polly, Ada und Lizzie, die drei wichtigsten Frauenfiguren der Serie, andere Vorstellungen als Tommy. Polly ist die einzige Figur in »Peaky Blinders«, die es wirklich mit ihm aufnehmen kann. Während des Kriegs hat sie die Geschäfte geführt und ist sich bewusst, dass sie das jederzeit wieder tun könnte – wahrscheinlich sogar besser als ihr Neffe Tommy. Ada hat keine Lust, nach den Regeln ihres Bruders zu spielen, und versucht, sich der Familie zu entziehen. Lizzie gehört nicht zu den Shelbys, sie arbeitet für die Familie als Prostituierte, bis Tommy sie als Sekretärin einstellt. Die drei Frauen verbindet das Wissen um ihre Fähigkeiten und der Wunsch danach, diese selbstbestimmt einsetzen zu können. Sie wollen Alternativen zu Tommys Plänen und Prinzipien finden und ihrem Umfeld anbieten, bleiben aber abhängig von dessen Entscheidungen. Womit sie emanzipierter sind als so manch andere Frauenfigur in Historienfilmen und -serien. Die drei sind weder Opfer noch Heldinnen, sie werden als komplexe Persönlichkeiten gezeichnet, die sich im Rahmen der Möglichkeiten für ihre Interessen einsetzen.

Helden gibt es in »Peaky Blinders« ohnehin keine. Es fehlt die gute Sache, das hehre Ziel, für das gekämpft werden könnte. Und unschuldig ist in dieser Welt eh niemand, nicht einmal die als märchenhafte Figur eingeführte Grace, die die Hoffnung auf ein besseres Leben verkörpert. Und Tommy hat seine Tapferkeitsmedaillen aus dem Krieg in den Kanal geworfen, weil er weiß, dass jemand mit seiner Herkunft nie ein Held sein kann. Emanzipation von den Fesseln des Geschlecht und der Herkunft ist nicht nur für die Frauen, sondern auch für den Boss Tommy bloß ein fernes Ziel. Die Peaky Blinders werden sich trotzdem weiter durchschlagen und versuchen, diesem Ziel näherzukommen – die BBC hat bereits zwei weitere Staffeln der Serie angekündigt.