Small Talk mit Thomas Wüppesal über die »Remonstration« im Polizeidienst

»Es war eine Sahnepolizei«

Seit Februar testen Berliner Polizisten Taser als Waffen. Die Kritik daran ist groß. Kürzlich forderte der Polizeirechtler Michael Knape die Beamten zum Remonstrieren auf. Thomas Wüppesahl von der Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten hat mit der Jungle World über das öffentlich wenig bekannte Instrument der »Remonstration« gesprochen.
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Remonstrieren – was bedeutet das?
Ich hatte Latein in der Schule. Monstrare bedeutet zeigen. Demonstrare heißt etwas anzeigen. Remonstrieren bedeutet, etwas zurück anzuzeigen, in diesem Fall also einem Vorgesetzten. Ein Beamter sagt diesem im Fall einer Remonstration: Ich halte Ihre Anordnung für rechtswidrig. Der Vorgesetzte müsste dann zu seinem Vorgesetzten gehen, wenn er den ursprünglichen Befehl auf Hinweis seines Untergebenen nicht aus der Welt schaffen möchte. Hält der oberste Vorgesetzte den Befehl für angemessen, muss der ­remonstrierende Beamte diesen ausführen, ist aber von der persönlichen Haftung befreit.

Gibt es eine unabhängige Instanz, die die Rechtmäßigkeit einer Remonstration beurteilt?
Nein, da zählen die rechtlichen Einschätzungen der Vorgesetzten und im Notfall der Rechtsabteilung. Die letzte Instanz ist die jeweilige Polizeiführung.

Ist es da wahrscheinlich, dass Berliner Beamte wegen des Taser-Versuchs remonstrieren?
Dieses Beispiel zeigt bereits die Kuriosität des Ganzen. Da müssen diejenigen zum Remonstrieren aufge­fordert werden, die es eigentlich von sich aus machen müssten. Es remonstriert keiner, das gehört sich nicht, es ist nicht erwünscht. Jeder weiß das, denn es wird indirekt und informell so vermittelt. Wenn ein Polizeiwissenschaftler wie Herr Knape solche Äußerungen macht, ist das zu unterstützen. Aber es ist ein Ausdruck von Hilflosigkeit. Denn die Praktiker, die bereits mit dem Taser unterwegs sind, haben offensichtlich nicht remons­triert.

Haben Polizisten das früher häufiger getan?
Der Hamburger Kessel von 1986 wurde in einem Gerichtsurteil als mehr als 800facher polizeilicher Rechtsbruch bewertet. An Ort und Stelle hatte kein einziger Beamter remonstriert. Damals gab es immerhin Bestrebungen, eine Polizei zu schaffen, die zwar immer noch kritikwürdig gewesen wäre, aber zumindest zivilgesellschaftlich einigermaßen vernünftig. Im Vergleich zu heute war das eine Sahne­polizei. Dennoch hat damals niemand remonstriert.

Was erfahren Polizisten in ihrer Ausbildung über die Remonstration?
Inzwischen wird sie standardmäßig wieder erwähnt. Es gab auch Phasen, in denen sie einfach verschwiegen wurde. Die Remonstration ist ein wichtiges Ins­trument im Beamtenrecht. Es spielt in der Praxis ­allerdings keine Rolle.

Welche Rolle spielt der Korpsgeist?
Ich spreche lieber von der binnenkulturellen Deformation. Sie feiert immer noch fröhliche Urständ.

Hätte ein remonstrierender Beamter Konsequenzen zu befürchten?
Wer pro forma remonstriert, wird nicht disziplinarisch angegangen. Das wird informell geregelt. Solche Beamten werden aus ihren Gruppen entfernt, ihnen eilt der Ruf voraus, sie seien schlechte Kollegen. Erwähnt sei der Polizeigewerkschafter, der nach seinem Einsatz im Zuge der Proteste gegen Stuttgart 21 das Vorgehen gegen die Demonstranten heftig kritisierte. Das war eine indirekte Remonstration. Er hat danach nie wieder seinen Mund aufgemacht. Solche Querulanten werden informell ruhiggestellt