Beatrix Langners Band »Die 7 größten Irrtümer über Frauen, die denken«

Hinter der Honigmaske

Beatrix Langner schreibt eine Kultur- und Machtgeschichte der Misogynie.

»Um Frauen von der Macht des Denkens fernzuhalten, genügte es aber noch lange nicht, die Vernunft ungleich auf zwei Geschlechter zu ver­teilen. Zunächst mussten die Frauen in einer langwierigen ontologischen Operation (…) gespalten werden in die geistige und die leibliche Frau, femina und mulier, Göttin und Gattin. Zweitens musste ›die Natur‹ erfunden werden, damit sich an dem denkfernen Ort vaginaler Geburtsschlünde das mythische Frauenreich gründen ließ. Aus dem simplen Vorwand, Frauen verlören ihre natürliche Weiblichkeit, sobald sie sich mit Angelegenheiten der Politik und Wissenschaften befassen, flochten Dichter und Denker schließlich die lieblichen Blumenfesseln ritterlicher Galanterie, mit denen sie die Gefängnisse ihrer Herzdamen schmückten. Und endlich brachten die Entdeckung des modernen Sexuallebens und die politische Frauenemanzipation im 20. Jahrhundert die Krise einer Männlichkeit zum Vorschein, deren erek­tile Potenz die physiologischen Grenzen des Wachstums nur noch mittels kultureller Penisverlängerung überwinden konnte. Die Träume der ­geteilten Vernunft sind zum Albtraum eines verzweifelt überforderten Geschlechts geworden, das ­seiner Herrschaft nicht mehr froh wird.«

Solange Frauen entschlossen seien, die bessere Hälfte der Menschheit zu stellen, folgert Langner, stehe »es um den weiblichen Machtanspruch wohl eher schlecht. Denn politische Macht fragt nicht nach Geschlecht und Moral.«

Man darf bezweifeln, dass die ­Dialektik von Herr und Knechtin jemals besser formuliert wurde. Nicht nur merkt man Beatrix Langner an, dass sie sich mit den romantischen Wirklichkeitskonstruktionen des 19. Jahrhunderts auskennt, sondern auch mit der geselligeren, weniger idiosynkratischen Periode, die der Romantik vorausging. Sie verfügt über jene souveräne und erfrischend amoralische Ironie, die von den Deutschen schon im 18. Jahrhundert als Mangel an Herzensgüte und Empfindsamkeit bemäkelt wurde; einen frivolen Witz, den nicht nur der in der Frauenfrage von Langner ver­teidigte Denis Diderot besaß, sondern eine ganze Riege an femmes d’esprit und femmes savantes wie ­Marie de Gournay, Margaret Cavendish, Lady Mary Montagu oder Théroigne de Méricourt, ehe Tugend und Empfindsamkeit Domäne wie Bürde auch emanzipierter Frauen wurden und sich ein »Literaturpapst« noch vor einem Jahrzehnt, ohne von geistreichen Mänaden zerrissen zu werden, die Frechheit erlauben durfte, Ilse Aichinger und Ingeborg Bachmann als »scheue und schüchterne Österreicherinnen« abzuwerten, die »verwirrt und hilfsbedürftig durchs Leben gehen und stets Ausschau halten nach männlichem Schutz«.

Bereits der Titel des Buches – »Die 7 größten Irrtümer über Frauen, die denken« – ist ein Schabernack, ein Spiel mit biblischer Zahlensymbolik, aber mehr noch: eine Persiflage des Signalwerts der jüngeren Pamphlet- und Faktencheckliteratur. Beatrix Langner hätte »die 7 größten Irrtümer über Frauen, die denken« auch auf 1 000 erhöhen können. Das genaue Gegenteil von gebrauchsfertigen ­Argumentblöcken und Overheadfolien fürs feministische Referat stellt ihre Kultur- und Machtgeschichte der Misogynie und des frauenfeindlichem Antiintellektualismus zur Verfügung, ein kunstvoll angelegtes ­Labyrinth, aus dem Selberdenken den einzigen Ausweg bietet.

Von Mythologie bis Science-Fiction, von der Steinzeit bis zur digitalen ­Revolution, von der griechischen Gottheit Gaia bis zu Conchita Wurst spannt sich der Bogen von Langners Studien zu den männlichen, aber auch weiblichen Projektionen der Mannfrau, der Göttin, der Muse, der Femme fatale, der frigiden Frau, der Rabenmutter, der Apologetin einer ganzheitlichen Intelligenz sowie der Frau als der letzten Rettung der Welt. Das 230 Seiten umfassende Buch scheint wirklich kein Ideologem auszulassen im Pandämonium männlicher Frauenbilder, die von Frauen affirmiert, unterminiert und überwunden wurden. In jeder Epoche usurpierten diese – gegen alle Hindernisse – die intellektuellen Domänen. Dass man von ihnen kaum oder nichts weiß, hat strukturelle Gründe. Sei es die als Ketzerin verbrannte Klerikerin Marguerite Porète, die sich in ihrem »Spiegel der einfachen Seelen« (1285) gegen »die grassierende Keuschheits- und Erleuchtungssucht« auflehnte, sei es die Frühhumanistin Christine de ­Pizan, die mit dem »Buch von der Stadt der Frauen« (1405) einen Katalog berühmter Frauen aus Geschichte und Mythologie erstellte, oder die Chemikerin Rosalind Elsie Franklin, die 1953 die Doppelhelixstruktur der DNS entdeckte, welche Watson und Crick dann als ihre Entdeckung ausgaben – Autorinnen, Wissenschaftlerinnen, Politikerinnen wurden von der männlichen Ordnung nicht bloß ignoriert und verdrängt, sondern mit Vorsatz aus der Geschichte getilgt. Am harmlosesten nimmt sich da noch die Methode Plinius’ des Älteren aus, der die hellenistische Autorin einer verschollenen Alexander-Biographie namens Nikobule in ­einen Nikobulos umgenderte.

Neben unzähligen anderen Mythen wird jedoch auch der vom ­allmählichen Self-Empowerment eines »schwachen Geschlechts« gestürzt, das sich aus der Vormundschaft der Männer zu deren Augenhöhe hocharbeitet, um es ihnen als gleichberechtigte Partnerinnen zu zeigen. Die Power der Frau war von Anfang an da und musste mit dem gesamten Waffenarsenal männlicher Barbarei, physischer und institutioneller Gewalt, geknebelt werden. Der Geschlechterkampf wird als Krieg gezeichnet, der umso erbarmungsloser geführt wird, je mehr sich das geistige Patriarchat der Potenz seiner Konkurrentinnen bewusst ist.

Doch weder lässt sich Beatrix Langner zu einer ahistorischen Verdammung der intellektuellen Platzhirsche hinreißen, noch heroisiert sie die ­Pionierinnen der Selbstermächtigung, noch schont sie den mythologisierenden Feminismus eines matriarchalen goldenen Zeitalters oder ­einen Differenzfeminismus, der die Frau als das bessere Menschen­material vorstellt. Das mag einigen sauer aufstoßen. Nur zu gut weiß die Autorin, dass die moralische Stilisierung der Frau zur besseren Variante der menschlichen Spezies die fieseste Fessel ihrer Freiheit ist und die angeblich höheren Tugenden alles, was darunter liegt, dann als ­Untugend erscheinen lassen. Der ungebetene Heiligenschein auf dem Madonnenhaupt verrutscht notwendigerweise und gibt die Trägerin als Hure zu erkennen, als welche männliche Projektionsmacht sie von ­Anfang an begehrt und verachtet.

Natürlich kneift die Autorin auch nicht vor der heiklen Frage der Komplizenschaft der Frauen mit ihrer Unterdrückung und weiß dabei ­Pierre Bourdieu und sein Konzept der symbolischen Herrschaft als eine ­Lösung vorzuschlagen, die darin bestehe, »dass der Beherrschte dazu tendiert, sich selbst gegenüber den herrschenden Standpunkt einzunehmen«. Dass sich Frauen hinter ihrer oktroyierten Subalternität versteckten und ihre Biologisierung durch die Männer hinnahmen, hatte schon Marie Luise Enckendorff-­Simmel, die vergessene Soziologin und Ehefrau Georg Simmels, ­moniert, und damit, wie Langner schreibt, »gleich zwei Klischees der Frauengeschichtsschreibung« verworfen: »den Mythos der Madonnenfrau und das Schreckensbild männlicher Tyrannei«. Oder Hedwig Dohm, die auf jeden Fall wiederzuentdeckende Doyenne des deutschen Feminismus, die sich Nietzsches Aphorismus »Der Mann macht sich das Bild des Weibes und das Weib bildet sich nach diesem Bilde« als selbstkritische Hypothese ihres emanzipatorischen Programms zunutze machen konnte.

Überhaupt scheint die Autorin am beispiellosen Witz der Hedwig Dohm Maß genommen zu haben. Mit ihrer polemischen Typologie der »Antifeministen« hatte Dohm 1902 die nach wie vor von Männern gehaltene und von vielen Frauen beargwöhnte Bastion von Sarkasmus und beißender Ironie im Sturm genommen. ­Beatrix Langner steht ihr in nichts nach, und wo andere Autorinnen moralische Haltungen oder Thesen proklamieren, weiß sie den Widerspruch zwischen schlechter Literatur von Frauen und der Notwendigkeit der affirmative action mit Dialektik aufzulösen: »Schlecht zu schreiben war jedenfalls nie ein männliches Privileg.«  So wird mit graziler Pointe ein schwerer Diskurskrampf gelockert.

Die Dichte an Gedanken, Fakten, Anekdoten und Allegorien ist überwältigend. Dass die sieben Kapitel an dieser Materialfülle nicht bersten, verdankt sich der ungemein eleganten stilistischen Jonglierkunst, mit der die Autorin ihre Inhalte in Bewegung hält. Man könnte, wenn man wollte, beargwöhnen, dass die vielen Fakten die Hypothesen, die sie ­untermauern, eher zumauern, doch handelt es sich hier keineswegs um Renommierliteratur. Der unterhaltsame Duktus ist nie gefällig, Leicht­füßigkeit verbündet sich mit Tiefgang, und nie ist der Witz nur bloßes Ornament. Große Essaykunst ist das, deren Fluss die Gedanken an den akademischen Aquarien der Sekundär­literatur vorbeispült und den Weg zu den Originalen zeigt, deren Taten und Werke sie behandelt.

Doch lädt solch eine Tour de Force durch Epochen und Kulturen nicht zu einer Enthistorisierung von männlicher Herrschaft und weiblicher Marginalisierung ein? Wie umgeht Langner die Falle, dieses Verhältnis als metageschichtliche Konstante festzuschreiben? Das gelingt ihr, ­indem sie eben nicht allein eine Ideengeschichte skizziert, sondern die ­materiellen Bedingungen – so gut das eben auf so engem Textraum geht – stets mitreflektiert. Und die Geschichte der patriarchalen Macht nicht nur als die Geschichte direkter vertikaler Unterdrückung, sondern auch kaskadenhaft abgestufter Arrangements zwischen Unterdrückern und Unterdrückten erinnert, was sie, worüber der distanziert-ironische Duktus leicht hinwegtäuschen könnte, zu mitunter radikalen Forderungen für Gegenwart und ­Zukunft führt. Hierin nimmt sie Anleihen beim Zyniker Machiavelli, den sie nach ihrer Polemik gegen die neuere pseudofeministische Erbauungsliteratur mit folgenden Worten zitiert: »Ihr werdet sehen, dass alle, die zu großem Reichtum und großer Macht gelangten, durch Gewalt oder Trug dazu gelangt sind. Was sie aber durch Gewalt und Hinterlist an sich gerissen haben, beschönigen sie mit falschen Bezeichnungen wie Eroberung oder Gewinn, um die Verworfenheit des Erwerbs zu verbergen. Wer aus Trägheit oder Dummheit diese Mittel meidet, schleppt sich in ewiger Knechtschaft und Armut dahin. Treue Knechte bleiben immer Knechte und ehrliche Leute immer arm.«

Solange Frauen entschlossen seien, die bessere Hälfte der Menschheit zu stellen, folgert Langner, stehe »es um den weiblichen Machtanspruch wohl eher schlecht. Denn politische Macht fragt nicht nach Geschlecht und Moral.« Bleibt der Wille zur Macht männlich codiert, wird diese weiter von Männern usurpiert bleiben. Um Gleichheit zu erreichen, muss zunächst die Moral des freiwilligen Machtverzichts überwunden werden, wollen Frauen sich nicht, so lautet eine von Beatrix Langners seltenen Maximen, mit dem »verheißenen Land der Milchschaumbäder, Honigmasken und Topquoten« bescheiden.
Allein Langners äußerst gelungene Verzahnung von Form und Inhalt könnte vielen Frauen als Brevier zur Reconquista ihrer geistigen und stilistischen Souveränität dienen. Männern übrigens auch.

 

Beatrix Langner: Die 7 größten ­Irrtümer über Frauen, die denken. Matthes & Seitz, Berlin 2017, 236 Seiten, 22 Euro