In Indonesien sind Islamisten und religiöse Konservative auf dem Vormarsch

Schlag auf Schlag

Terroranschläge, Auspeitschungen von Homosexuellen, Verurteilung wegen Gotteslästerung – in Indonesien gewinnen Islamisten und religiöse Konservative an Einfluss.

Die Selbstmordattentäter trugen keine Westen, sie benutzten Schnellkochtöpfe für ihre Bomben. Drei Polizisten wurden getötet und Dutzende Passanten verletzt, als sie die Sprengsätze Ende Mai mitten in der indonesischen Hauptstadt Jakarta an einer Bushaltestelle in Kampung Melayu zur Explosion brachten. Zu dem Anschlag bekannt sich der »Islamische Staat« (IS). Indonesische Polizisten und Soldaten sind seit Jahren das Ziel der Angriffe lokaler und international operierender jihadistischer Gruppen. Die Bewohnerinnen und Bewohner Jakartas reagierten mit Gelassenheit und kreierten im Netz den Hashtag »Kami tidak takut« (Wir haben keine Angst).

Verschiedene gleichgeschlechtliche sexuelle Praktiken werden in Aceh mit Haftstrafen oder Stockhieben geahndet.

In Indonesien operieren nach wie vor islamistische Terrorgruppen wie die dem IS nahestehende Jamaah Ansharut Daulah, die auch in sozialen Netzwerken zu Anschlägen aufrufen. Bereits zwei Tage nach dem Anschlag in Kampung Melayu konnte die Polizei drei Verdächtige in Bandung in der Nachbarprovinz Westjava festnehmen. Diese gilt neben Zentralsulawesi als Hochburg der Islamisten. Auch ultrakonservative islamische Gruppen sind in diesem Teil Indonesiens sehr aktiv, sie üben einen starken

Einfluss auf die gegenwär­tige Politik Indonesiens und vor allem auf das Wahlverhalten aus.
Bereits Ende Februar hatte ein Attentäter eine Bombe in einem Park in Bandung gezündet. Niemand starb bei der Explosion, der Täter wurde von Polizisten erschossen. Im Januar 2016 wurden vier Menschen in einem be­lebten Café im Zentrum Jakartas getötet, auch vier der Attentäter starben. Überdies haben sich Hunderte Indonesier dem IS im Irak und in Syrien angeschlossen. Dass viele von ihnen nun zurückkehren, könnte zu noch mehr Anschlägen führen. Anfang Mai trat das Verbot von Hizb al-Tahrir in Kraft, einer islamistischen Massenorganisation, die die Errichtung eines Kalifats anstrebt, sich aber vom IS abgrenzt und bisher nicht an Bombenanschlägen ­beteiligt war. Sie verurteilte den Anschlag in Kampung Melayu.

Jahrzehntelang galt Indonesien als Land eines toleranten und pluralistischen Islam. Angesichts der jüngsten Gewalttaten und des Erstarkens von militanten und konservativen muslimischen Gruppen in dem 13 000 Inseln umfassenden Archipel kommen jedoch berechtigte Zweifel an dieser Einschätzung auf. Etwa 87 Prozent der Indonesier und Indonesierinnen sind Muslime, doch der Islam ist nicht Staatsreligion, die Ausübung von anderen Religionen ist gestattet. Anerkannte religiöse Minderheiten wie Christen, Hindus und Buddhisten haben weitgehend dieselben politischen und sozialen Rechte wie Muslime, die allerdings im Alltag tendenziell bevorzugt wurden. Atheismus gilt dagegen als Verstoß ­gegen die Staatsdoktrin »Pancasila« (Fünf Prinzipien).

Gegenüber Minderheiten wie LGBTQI zeigten sich führende muslimische Kleriker zwar nicht offen, aber solange diese nicht öffentlich ihre Rechte einforderten, galt zumeist die Devise ­»leben und leben lassen«. Homosexualität ist in Indonesien nicht illegal, ­außer in der Provinz Aceh, die 2014 diverse auf der Sharia basierende Ver­ordnungen einführte. So wurden neben dem Glücksspiel, dem Konsum von ­Alkohol und außerehelichem Sex auch verschiedene gleichgeschlechtliche ­sexuelle Praktiken unter Strafe gestellt. Sie werden mit Haftstrafen oder Stockhieben geahndet; wer wohlhabend genug ist, kann sich jedoch mit Gold freikaufen. Proteste gegen die damit einhergehende Benachteiligung von Armen verhallten ungehört. Mehr als 200 Männer und Frauen wurden seit 2015 ­wegen Glücksspiel und Ehebruch in Aceh öffentlich ausgepeitscht, die öffentliche Bestrafung Schwuler stellt jedoch ein Novum dar.

Im März waren Angehörige einer »Bürgerwehr« in die Unterkunft zweier junger schwuler Männer eingedrungen, hatten die beiden halbnackt auf die Straße gezerrt und malträtiert, dies gefilmt und über soziale Medien weiterverbreitet. Wer hinter dieser »Bürgerwehr« steckt, blieb unklar, und keiner der Beteiligten wurde wegen der begangenen Straftaten belangt. Gut zwei ­Monate später verurteilte ein Gericht die beiden schwulen Männer dann zu jeweils 85 Stockhieben. Das erforderliche Kilogramm Gold für den Freikauf konnten die beiden nicht aufbringen und 100 Monate im Gefängnis lehnten sie ab. Über 1 000 Schaulustige fanden sich am 23. Mai vor der Hauptmoschee in Banda Aceh ein, um der öffentlichen Folter beizuwohnen. Augenzeugenberichten zufolge feuerten einige Schaulustige die mit Masken verhüllten Vollstreckungsbeamten an, härter zuzuschlagen. Die Anwesenheit von Kindern bei der Auspeitschung war offiziell ­verboten, allerdings wurden Mütter angehalten, ihre Kinder zu Hause von den Strafen zu unterrichten. Amnesty International und andere internationale Menschenrechtsorganisationen ­protestierten gegen die Kriminalisierung von gleichgeschlechtlichen Paaren sowie die grausamen Bestrafungsformen und forderten ein Recht auf Privatsphäre.

Die Zahl der Überfälle und Drangsalierungen von LGBTQI und Angriffe auf ihre Rückzugsorte in den vergangenen Monaten ist auch außerhalb der Provinz Aceh erheblich gestiegen. Einen Tag vor den Auspeitschungen in Aceh stürmten Polizisten in Jakarta eine bekannte Schwulensauna und nahmen 141 Männer fest. Bilder von den halbnackten Festgenommenen kursierten im Fernsehen und in den sozialen Medien. Ihnen wurde eine ­Anklage nach dem Antipornographiegesetz angedroht. Dieses national geltende und höchst kontroverse Gesetz erlaubt es, alles zu kriminalisieren, was sexuelle Erregung auslösen kann. Es wurde in der Vergangenheit gegen diverse Künstler und Journalisten angewendet.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass nun einer der lautstärksten Wortführer der Islamisten, Mohammed Rizieq Shihab (auch bekannt als Habib Rizieq), selbst wegen Besitz und Verbreitung von anzüglichen Fotos einer mit ihm nicht verheirateten Frau von der Polizei gesucht wird. Als Anführer der Front der Verteidiger des Islam (FPI) hatte Rizieq sich eifrig für die Einführung des Antipornographiegesetzes eingesetzt. Zudem war er maßgeblich an den Schmähkampagnen gegen Jakartas ehemaligen Provinzgouverneur ­Basuki Tjahaja Purnama, genannt Ahok, beteiligt, die diesen nicht nur die Wiederwahl, sondern auch seine Freiheit kosteten, da er wegen Gotteslästerung zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde.

In seinen Ansprachen hat Rizieq wiederholt die Pancasila verunglimpft und war deshalb von seinen Gegnern bei der Polizei angezeigt worden. Um sich der Strafverfolgung zu entziehen, hat sich Rizieq nun nach Saudi-Arabien abgesetzt. Das Justizministerium hat seinen Reisepass für ungültig erklärt, doch es gibt zwischen Saudi-Arabien und Indonesien kein Auslieferungsabkommen. Wichtiger als ein Verfahren gegen Rizieq wäre jedoch eine Debatte über das Erstarken des Islamismus und die immer schärfere Verfolgung von sexuellen Vorlieben und Handlungen.