Die Post-Punk-Band Tics

Das Leben ist immer noch kein Picknick

Die Kölner Post-Punk-Band Tics veröffentlicht ein Debütalbum, in dem Jahrzehnte linker Debatten stecken.

Tics sind die »unwillkürliche, regelmäßig oder unregelmäßig wiederkehrende Kontraktion einzelner Muskeln«, erklärt Wikipedia. »Kopfnicken, Fauststrecken, Augenzwinkern, Arschkratzen« – das Infosheet zum Debüt der gleichnamigen Band weiß eine Menge solcher Zuckungen zu benennen, die zugleich die Ästhetik des Albums treffend zusammenfassen. Unwillkürliches Stirnrunzeln angesichts des Zustands der Welt, wiederkehrendes Fauststrecken und Zähneblecken gegen die Dummheit: »Knowledge is a cultural force«, behauptet im Song »Gloria« ein Computersprachprogramm. Siri? Und weiter: »Species appropriate, oh yeah«.

Gegen die Dummheit hilft kontrolliertes Rumhampeln, Grimassenschneiden, auf den Punkt gespielte Songs, kaum einer länger als zwei Minuten, in die der ganze Müll der Welt eingedrungen ist. Wer spricht? Egal, irgendwer schreit auf den Hörer ein, skandiert Zeitungsüberschriften und alltägliche Phrasen: »Social Service War Zone Jet Set«. Auch am Mikrophon: Elton John und Donald Trump: »Punch him in the face.« Fremde und bandeigene Stimmen kommentieren sich gegenseitig, die Welt und den ganzen Rest. Arschkratzen, weitergehen, nächster Song.

»Who fears for nation and economy and purity at home«, diese Menschen, die machen einem das Leben zur Hölle, all die Antisemiten, Rassisten und Homophoben da draußen, denen der Track »Walks Like a Duck« gewidmet ist, den Jasagern, Brandstiftern und miesen Mitläufern: »Won’t stop to call them what they are: apple shiners, arsonists, lousy tag-alongs.« »Knowledge is a cultural force« – das Wissen der Tics ist ein abgeklärtes Wissen, das 30 Jahre Punk, Hardcore und Post-Punk in sich trägt und in der Gegenwart endet, mit enormer Wut und Kraft. Denn die Tics sind wütend, müssen aber niemandem etwas beweisen, keine politischen Parolen brüllen. Sie bieten ausreichend musikalische Fallen für die Hörerinnen und Hörer, Löcher in den atemlosen Songs. Bass und Schlagzeug sind nach vorne gemischt, setzen sich immer wieder Richtung Funk in Bewegung, der aber über die eigenen Post-Punk-Füße stolpert, stolpern will, denn tanzen soll man hierzu auch nicht können. Dazwischen ab und an ein Saxophon und ein Klavier, die kleine Akzente setzen, aber unaufdringlich wieder verschwinden. Genauso wichtig wie die Musik: Mehrere Jahrzehnte linken Diskurses stecken in dem Album. Themen werden nur angerissen, keine Erklärungen geliefert, das wäre zu billig. Stattdessen: hier Alltagsabgründe und dort Critical Whiteness, hier Religionswahn und dort besorgte Bürger. Alles Mist.

Das klingt auf Platte weniger verkopft als auf Papier, denn mit »This Ain’t No Picnic« zitieren die Tics ihre wohl zentrale musikalische Referenz: The Minutemen. Deren Debüt »The Punch Line« brachte es auf 18 Songs in 15 Minuten, eine Viertelstunde, in der alles Wichtige gesagt war; die Tics spielen 14 Songs in 25 Minuten. Das Leben sei kein Picknick, bekommt der Minutemen-Protagonist zu hören, der erwidert: »Our land isn’t free, so I’ll work my youth away, in the place of a machine, I refuse to be a slave.« Die Enge des Alltags, die Ambivalenz von Arbeit und Freizeit: Auch die Protagonisten der Tics-Songs wollen raus, das Leben als Sklaven hinter sich lassen, raus aus der Misere des Alltags, die aber immer dableibt, so sehr man auch rennt. Da hilft auch keine Musik, sie macht es aber immerhin für den Moment erträglicher, kanalisiert die Wut und rüttelt den Kopf zurecht, bevor er wieder gegen die Wand schlägt.

 

 

Tics: s/t (Beau Travail/X-Mist)