In den USA ist die öffentliche Infrastruktur oft in einem schlechten Zustand

Gefährliches Wasser

Die Infrastruktur in den USA ist in desolatem Zustand, wie das Beispiel der Wasserversorgung in der Stadt Flint zeigt. Präsident Trumps Infrastrukturplan dürfte daran wenig ändern.

Die Zahl ist beeindruckend. Eine Billion US-Dollar sollen in die nationale Infrastruktur investiert werden. Dies hatte Donald Trump im Wahlkampf versprochen und am Bedarf besteht kein Zweifel. Highways, Brücken und öffentlicher Nahverkehr sind oft in ­einem so schlechten Zustand, dass Kommentatoren Vergleiche mit Ländern der sogenannten Dritten Welt anstellen. Die American Society of Civil Engineers (ASCE) gab der Infrastruktur des Landes in ihrem jüngsten Jahresbericht schlechte Noten, sie hält bis 2025 Investitionen in Höhe von 4,6 Billionen Dollar für notwendig.

In der von Trump ausgerufenen »Woche der Infrastruktur« Anfang Juni wurde jedoch deutlich, dass die Regierung nur 200 Milliarden Dollar in einem Zeitraum von zehn Jahren ausgeben will. Dies soll den Anstoß geben für Investitionen von Kommunen und Unternehmen in Höhe von 800 Milliarden Dollar. Ein vager Plan, dessen Berechnungen auf fragwürdigen Annahmen beruhen.

Offensichtlich werden Unternehmen nur in profitable Infrastrukturprojekte investieren, also in der Regel nicht dort, wo die drängendsten Probleme zu lösen sind. Die Wasserversorgungsnetze etwa werden von der ASCE mit D bewertet, der zweitschlechtesten Note. »Der dringendste Bedarf besteht bei Dingen wie dem Wassersystem in Flint, Michigan«, urteilt Ron Klain, der unter Präsident ­Barack Obama an dessen Infrastrukturprogramm arbeitete. »Der Privatsektor will sich damit nicht befassen.«

Ein Skandal um die Wasserversorgung der 100 000 Einwohner zählenden Stadt Flint beschäftigte seit der Verhängung des medizinischen Notstands in der Stadt Ende 2015 die Medien. Über ein Jahr lang war das öffentliche Versorgungsnetz der Stadt mit blei­verseuchtem Wasser gespeist worden. Bewohnerinnen und Bewohner, die dieses Wasser täglich tranken, zur Essenzubereitung sowie zum Duschen und Wäschewaschen nutzten, klagten über Hautausschläge und Haarausfall. Lehrerinnen und Eltern berichteten von Konzentrations- und Lernschwäche bei Kindern. Inzwischen wird geschätzt, dass rund 12 000 von ihnen extrem erhöhten Bleiwerten ausgesetzt waren. Überdurchschnittlich häufig betroffen waren arme Afroamerikaner und Afroamerikanerinnen, die einen Großteil der Bevölkerung Flints ausmachen.

Oft werden gerade die Wohnorte ärmerer, nichtweißer Bevölkerungsgruppen schlechter mit Wasser versorgt; ähnliche Situationen sind etwa aus den selbsterrichteten Siedlungen und Sozialwohnungsblocks von Mexiko-Stadt und aus Gemeinden der kanadischen First Nations bekannt. Hinzu kommt, dass Gegenmaßnahmen wie der Kauf von Flaschenwasser oder der Einbau eines Wasserfilters in der Wohnung das Haushaltsbudget armer Familien erheblich belasten.

Die Bleibelastung im Trinkwasser von Flint ist eine direkte Folge von Deindustrialisierung und Austeritäts­politik. Dass es gerade jene Stadt unweit von Detroit traf, in der General Motors gegründet wurde, ist bezeichnend. Sukzessive Werksverkleinerungen und Entlassungen bei General Motors führten seit den achtziger Jahren zu Arbeitslosigkeit und Verarmung, die Einwohnerzahl von Flint sank. 2011 wurde die Kommune für zahlungsunfähig erklärt, die Landesregierung setzte einen Manager zur Verwaltung des Nothaushalts ein. Aus Kostengründen stellte dieser die Wasserversorgung um. Das Wasser wurde nun nicht mehr dem Lake Huron, sondern dem Flint River entnommen – ohne dessen korrosive Eigenschaften zu beachten. Da kein Korrosionsschutz installiert wurde, führte dies im veralteten Leitungsnetz der Stadt Flint nach Erkenntnis von Wissenschaftlern der Universität Virginia Tech zu stark erhöhten Bleiwerten im Trinkwasser. Proteste der Betroffenen wurden lange Zeit ignoriert, die Umweltbehörde von Michigan gab beschwichtigende Erklärungen heraus. Erst nachdem eine Studie des Forschungsteams um die Medizinerin Mona Hanna-Attisha von der Michigan State University im September 2015 erhöhte Bleiwerte im Blut von rund fünf Prozent aller untersuchten Kinder in Flint nachwies, wurde der medizinische Notstand ausgerufen und später die Wasserversorgung wieder auf den Lake Huron umgestellt.

Inzwischen laufen mehrere Gerichtsverfahren, unter anderem gegen den für die Wasserumstellung verantwortlichen Manager. Am 14. Juni wurde ­gegen ihn und vier weitere Regierungsvertreter aus Michigan Anklage wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung im Fall Robert Skidmore erhoben. Der 85jährige erlag 2015 der Legionärskrankheit, die er sich in Flint durch mit Legionellen kontaminiertes Wasser zugezogen hatte. Nach Presseberichten soll es mindestens zwölf Todesfälle ­gegeben haben. Die Folgen der Bleibelastung hingegen werden sich erst über einen längeren Zeitraum zeigen; das Schwermetall reichert sich vor allem in den Knochen an und wird von dort sukzessiv in die Blutbahn abgegeben.

Wohl um die Gemüter zu beruhigen, versprach Rick Snyder, der republikanische Gouverneur von Michigan, im Frühjahr 2016 öffentlichkeitswirksam, einen Monat lang Wasser aus Flint zu trinken, um so für dessen Unbedenklichkeit zu werben. Kurz danach besuchte auch Präsident Obama die Gemeinde und trank demonstrativ ein Glas gefiltertes Leitungswasser. Solche symbolischen Gesten sind auch aus Mexiko und anderen Ländern bekannt – es soll Vertrauen erwecken, wenn ein Regierungsvertreter sich beherzt dasselbe einverleibt wie das Wahlvolk.

In Mexiko ist Flaschenwasser unterdessen zur wichtigsten Form von Trinkwasser geworden; der Pro-Kopf-Verbrauch lag 2015 einem Bericht des Branchenverbands IBWA zufolge bei 244 Litern pro Jahr und damit weit über dem in den USA (138 Liter). In beiden Ländern dürfte der Verbrauch in urbanen Gebieten allerdings deutlich höher sein. In Flint wird der Bevölkerung weiterhin geraten, aus gesundheitlichen Gründen Wasserfilter zu verwenden oder Flaschenwasser zu trinken.

Während wegen Trumps geplanter Senkung der Umweltschutzstandards und der Schwächung der für deren Überwachung zuständigen Behörde EPA das Risiko gesundheitlicher Gefährdungen steigt, ist nicht ersichtlich, warum Unternehmen sich so teurer und wenig profitabler Projekte wie der ­Erneuerung der Wasserleitungen in Flint widmen sollten. Ein Gericht entschied im März, dass der Bundesstaat Michigan bis zu 97 Millionen Dollar in den Austausch von Bleileitungen in Flint investieren muss. Fraglich ist auch, ob sich der in Trumps Plan prognos­tizierte Anstoßeffekt überhaupt eintritt, den James K. Galbraith kürzlich im Guardian als biblisches »Wunder der Brotvermehrung in Form von Brücken und Straßen« verspottete, verwandele er doch 200 Milliarden Dollar binnen eines Jahrzehnts in eine Billion. Der Ökonom der University of Texas kritisiert, es könnten »nicht jeder Bundesstaat und jede Kommune Schulden zu vernünftigen Kosten aufnehmen, selbst wenn sie es wollten. Die bedürftigsten Städte (denken Sie an Flint)

sind die ärmsten, ältesten, schwärzesten.«
Überdies würde der vom US-Kongress noch nicht bewilligte Plan die Staatseinnahmen verringern, da Steuernachlässe als Anreiz für Investoren vorgesehen sind. Ein Großteil solcher geförderter Projekte würden sich zudem in privater Hand befinden. Anstelle einer bedarfsgerechten Planung fördert das Vorhaben selektive Investitionen in jene Bereiche, die eine gute Profitmarge versprechen – im Wirtschaftsjargon als cherry picking bezeichnet. Mit Mautgebühren belegte neue Highways und Brücken sind daher die wahrscheinlichsten Neubauprojekte. Die Pläne des Bauunternehmers Trump sollen den Bausektor fördern, der ­erratisch twitternde Patriarch denkt offenbar weniger an städtische Ver­sorgungsnetze als an den Bau von Grenzmauern und Ölpipelines. Die Verwirklichung seines Infrastrukturplans dürfte zu einer Vertiefung der sozialen Ungleichheit beitragen.