Racial profiling verschafft keine Sicherheit

Der verengte Blick

Bürger- und Menschenrechte schaffen Sicherheit, nicht die Diskriminierung von Minderheiten.
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Die Befürworter von Sicherheitskonzepten, die auf Kontrollen nach zugeschriebener Herkunft, Nationalität oder Religion basieren, werfen den Kritikern vor, in einem realitätsblinden Moralismus die Korrelationen zwischen der Zugehörigkeit zu Minderheiten und bestimmten Verbrechen leugnen. Das kennt man etwa aus den Debatten über die Silvesternacht in Köln oder über den Drogenhandel in Berliner Parks und andere sogenannte Gefahrengebiete. Der einseitige und verengte Blick der Befürworter auf »Sicherheit« und »Gefahr« ignoriert die komplexen Ursachen von Kriminalität und die gravierenden Gefahren rassistischer Kontrollen für die Betroffenen. Im Falle von W. A. etwa führte die simple Frage, weshalb er als Schwarzer einer Personenkontrolle unterzogen werde, und seine Bitte, ihn aufgrund eines Herzproblems nicht zu berühren, dazu, dass er zu Boden gerissen und mit Pfefferspray angegriffen wurde- eine für ihn lebensgefährliche Situation. Das Beispiel zeigt, wie die Praxis des racial profiling das angreift, worauf die Sicherheit von Gesellschaften wirklich gründet, nämlich das Vertrauen ihrer Mitglieder in einander und in die staatlichen Institutionen.

Die Schweizer »Kollaborativen Forschungsgruppe Racial Profiling« führte Interviews mit 30 Angehörigen verschiedener Schweizer Minderheitengruppen durch – people of color, Jenischen, Sinti und Roma, Muslime, Menschen mit oder ohne Schweizer Pass, Flüchtlinge und Migranten mit unterschiedlichen Aufenthaltsstatus (auch Papierlose). Die Forschungsgruppe kam zu dem Zwischen­ergebnis, dass Polizeikontrollen, die von den Kontrollierten als diskriminierend erlebt werden, das Vertrauen in die Polizei schwächen. Zudem wird durch die Praxis der systematischen Verletzung des völker- und verfassungsrechtlichen Prinzips der Nichtdiskriminierung Rassismus legitimiert, während Misstrauen zwischen Mehrheitsbevölkerung und Minderheiten entsteht.

Wer das Vertrauen der Menschen verliert, die nicht so aussehen, wie sich viele den »typischen Schweizer« – oder Deutschen – vorstellen, unterminiert letztlich die soziale Kohäsion. Der Grad der Sicherheit in einer Gesellschaft hängt nicht von der Scheinsicherheit der Mehrheit auf Kosten von Minderheiten, sondern von der Sicherheit aller ab. Wer in Hinblick auf racial profiling auf dem Vorrang der Sicherheit beharrt, argumentiert doppelzüngig. Denn da, wo Freiheitsbeschränkungen überwiegend oder auch die Mehrheitsgesellschaft betreffen, ist diese weniger duldsam, als wenn bestimmte als fremd markierte Gruppen betroffen sind. Beispielsweise ist die Akzeptanz der Deutschen für Überwachungsmaßnahmen durch Geheimdienste weitaus niedriger als gegenüber Sicherheitskonzepten wie den polizeilichen »Gefahrengebieten«. Eine staatskritische Linke muss daher Menschen- und Bürgerrechte verteidigen, spätestens dann, wenn es darum geht, Sicherheit für alle einzufordern anstelle einer Scheinsicherheit der Mehrheit auf Kosten von Minderheiten.


Tarek Naguib forscht zum Antidiskriminierungsrecht und ist Mitbegründer der Schweizer Allianz gegen Racial Profiling. Er ist Jurist und lebt in Bern.