Racial profiling ist zwar verpönt, aber dennoch alltäglich

In der Zange des Rechtsstaats

Gerichte entscheiden immer häufiger, dass anlasslose Polizei­kontrollen im europäischen Grenzgebiet gegen das Grundgesetz und EU-Recht verstoßen. Ein Ende des »racial profiling« ist jedoch nicht zu erwarten.

In der Schweiz unterstüzt die »Allianz gegen Racial Profiling« Aktivisten in Gerichtsprozessen. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist eine Klage aus Barcelona anhängig, vor deutschen Gerichten sind es gleich mehrere. Im April vergangen Jahres begrüßten antirassistische Organisationen ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Koblenz. Erstmals hatte sich ein deutsches Gericht ausführlich dazu geäußert, wann sogenannte verdachtsunabhängige Kontrollen der Bundespolizei in grenznahen Zügen und Bahnhöfen gegen das Verbot rassistischer Diskriminierung in Artikel drei des Grundgesetzes verstoßen. Die Quintessenz der Entscheidung: Rechtswidrig sind Befragungen, Ausweiskontrollen und ein Datenabgleich, wenn die Hautfarbe ein Kriterium für die Auswahl der kontrollierten Person ist.

Die Koblenzer Richter verwiesen ausdrücklich auf die stigmatisierende Wirkung solcher selektiven Kontrollen »auf Außenstehende, denen die Gründe für die singuläre Kontrolle in dem Zug nicht bekannt sind.« Dass solche Kontrollen auch bei den Betroffenen den Eindruck hervorrufen, herabgesetzt und ausgesondert zu werden, zeigen Schilderungen von Klägern und Klägerinnen, die bei den Prozessen aussagen. »Es ist diskriminierend, ausgrenzend und tut weh«, beschreibt der sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby seine Erfahrung mit Polizeikontrollen in der Bahn. Diaby ist einer von vielen, die sich der Kampagne »Stop Racial Profiling« der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland angeschlossen haben, die mit öffentlichkeitswirksamen berichtet und klagt.

Kontrollen, die in Gesetzen als Kontrollen »aus Gründen der Rasse« bezeichnet werden, finden weiter statt.

Auf den nicht mehr zu leugnenden Imageschaden reagieren Bundesregierung und Polizei abwiegelnd: »Racial profiling ist verboten und die Bundespolizei wendet racial profiling nicht an«, sagte der zuständige Abteilungsleiter im Bundesinnenministerium (BMI) in einer Anhörung des Menschenrechtsausschusses im Bundestag im Jahr 2015. Anfang desselben Jahres hatte das BMI die »Bestimmungen zur grenzpolizeilichen Aufgabenwahrnehmung«, kurz BRAS 120, erlassen. Grenzpolizeiliche Maßnahmen seien erstens freundlich und zuvorkommend vorzunehmen und zweitens so, dass sie nicht »aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft« diskriminieren. Weiter heißt es, maßgeblich für eine Kontrolle dürften nicht ausschließlich die äußeren Merkmale einer Person sein. Diese Formulierung hat das Urteil aus Koblenz konkretisiert. Das Gericht hat keinen Zweifel daran gelassen, dass phänotypische Merkmale kein Auswahlkriterium sein dürfen. Rassistische Kontrollen, die in Richtlinien, Gesetzen und Gerichtsurteile als Kontrollen »aus Gründen der Rasse« bezeichnet werden, finden derweil weiter statt. Daran haben weder das Koblenzer Urteil noch BRAS 120 etwas geändert. Die Polizisten streiten entweder ab, dass der Phänotyp der Kontrollierten entscheidungsleitend war, oder sie geben es ganz unverblümt zu, in dem Wissen, dass sie vor Gericht immer noch etwas anderes sagen können.

Juristen, wie Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte, meinen deshalb, bereits die Ermächtigungsgrundlage, die solche Kontrollen ermöglicht, sei rechtswidrig. Dem stimmt auch Polizeiforscher Martin Herrnkind von Amnesty International zu. Die Erfahrungen in Großbritannien, wo seit der Aufarbeitung rassistisch voreingenommener Polizeiermittlungen im Fall Stephen Lawrence antirassistische Trainings in der Polizei abgehalten werden, hätten gezeigt, dass Sensibilisierungsmaßnahmen und Antidiskriminierungsrichtlinien wenig nutzen, wenn die Gesetze Kontrollen erlauben, die allein im Ermessen der Polizisten liegen. Auch der rassistisch motivierte Mord an Stephen Lawrence wurde erst Jahre später aufgeklärt. Der Dunkelhäutige wurde 1993 an einer Bushaltestelle in London von mehreren Tätern erstochen. Im Gerichtsverfahren kamen die Verdächtigen glimpflich davon. Erst 1999 kam eine Untersuchung zu dem Schluss, dass es bei den Ermittlungen der Londoner Polizei institutionalisierten Rassismus gab.

In Deutschland bilden die Paragraphen 22 und 23 Bundespolizeigesetz das Problem. Sie erlauben verdachtsunabhängige Kontrollen mit Verweis auf das öffentliche Interesse an präventivem Schutz vor unerlaubter Einreise und damit zusammenhängenden Straftaten. Angesichts von Trefferquoten, die sich im Promillebereich bewegen, fällt das Argument der Verhinderung unerlaubter Einreise in sich zusammen, trotzdem konnte sich bisher kein deutsches Gericht dazu durchringen, diese Vorschriften als rechtswidrig einzustufen. Abhilfe kommt nun vielleicht vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH). Der entschied Ende Juni 2017 in einem Fall, in dem es gar nicht um racial profiling ging, dass verdachtsunabhängige Kontrollen in Grenznähe grundsätzlich gegen das Schengen-Abkommen verstoßen, wenn sie faktisch wie Grenzkontrollen wirken. Solche Kontrollen sind zwar möglich, sie müssen aber durch einen klaren rechtlichen Rahmen in ihren Intensität und Häufigkeit eingeschränkt seien.

Diese Voraussetzungen erfüllten, so der EuGH, weder Paragraph 22 noch 23 Bundespolizeigesetz. Nun müssen die nationalen Gerichte prüfen, ob andere Regelungen das Bundespolizeigesetz ausreichend konkretisieren. Sven Adam, der als Rechtsanwalt gemeinsam mit dem Verein »Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung« und der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland zahlreiche Klagen begleitet hat, ist optimistisch: »Da es keine verwaltungsinternen Konkretisierungen geben kann, die das grundrechtswidrige Selektieren begründen könnten – beispielsweise anhand der Hautfarbe –, hat der EuGH nun auch der polizeilichen Praxis des racial profiling endgültig die Grundlage entzogen.« Eine solch hoffnungsvolle Einschätzung kann freilich nur für grenznahe Kontrollen gelten. Doch kontrolliert wird auch anderswo: in Zügen und Bahnhöfen, in öffentlichen Parks und auf öffentlichen Plätzen. In Berlin erinnert deshalb seit kurzem die Kampagne »Ban Racial Profiling – Gefährliche Orte abschaffen« die Landesregierung aus SPD, Grünen und Linkspartei an das Diskriminierungsverbot. »Solange die Polizei nicht sicherstellen und beweisen kann, dass racial profiling in ihrer Arbeit keine Rolle spielt, muss die Politik ihr die Befugnis der verdachtsunabhängigen Kontrolle aus der Hand nehmen«, fordern zahlreiche Antidiskriminierungsorganisationen und Beratungsstellen, die sich in der Kampagne zusammengeschlossen haben.

Während die öffentliche und juristische Akzeptanz von racial profiling Kontrollen als Form präventiven Polizeihandelns endlich abnimmt, erhält die rassistische Sondererfassung in der polizeilichen Strafverfolgung weniger Aufmerksamkeit. Da sind zum einen die polizeilichen Ermittlungen bis zur Enttarnung des NSU im November 2011. In deren gesamtem Verlauf wurde den ermordeten Migranten und ihren Familien, wie auch den Opfern der Sprengstoffanschläge und ihren Nachbarn, Verbindungen zur organisierten Kriminalität oder ethnisierten Konflikten unterstellt. Während am 22. Juni 2017 der zweite NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages seinen Abschlussbericht vorlegte, steht die Umsetzung der Empfehlungen des UN-Antirassismusausschusses immer noch aus. Dieser hatte Deutschland schon im Jahr 2015 aufgefordert, gegen alle Beamten vorzugehen, die Betroffene und Angehörige diskriminiert hatten. Das ist bis heute nicht geschehen. Eine umfassende Aufarbeitung des Rassismus bei den Ermittlungen, wie sie die britische Macpherson-Kommission im Fall Stephen Lawrence betrieben hatte, steht für den NSU-Komplex weiter aus.
Der UN-Ausschuss hatte die Bundesregierung auch ermahnt, alle Vorschriften zu überprüfen, die zu racial profiling führen könnten. Während diese Aufgabe nun faktisch die Gerichte übernommen haben, versucht die Politik bereits ein weiteres Einfallstor für rassistische Profilerstellung zu öffnen.

Bundesjustizminister Heiko Maas sprach sich bei der Justizministerkonferenz Ende Juni für eine von Baden-Württemberg in den Bundesrat eingebrachte und von der Innenministerkonferenz unterstützte Gesetzesinitiative aus, die eine Erweiterung der DNA-Analyse im Strafverfahren vorsieht. Künftig soll auch die Erhebung von Angaben zu Haut und Haarfarbe sowie zur Herkunft zulässig sein.