Biplab Basu, Menschenrechtler, im Gespräch über rassistische Polizeikontrollen in Berlin und den Protest dagegen

»Sonderbefugnisse müssen abgeschafft werden«

Biplab Basu arbeitet bei ­Reach Out, einer Beratungsstelle für Opfer rechter, ­rassistischer und antisemi­tischer Gewalt in Berlin. Er ist Mitbegründer der »Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt«. Die Kampagne »Ban Racial Profiling: Gefährliche Orte abschaffen« wurde im Juni von KOP und weiteren Gruppen initiiert.
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Der Berliner Senat hat kürzlich eine Liste sogenannter kriminalitäts­belasteter Orte veröffentlicht. Die Kampagne »Ban Racial Profiling« fordert die Abschaffungdieses Sonderstatus. Können Sie den Hintergrund erklären?
Seit 1992 hat die Berliner Polizei die Möglichkeit, bestimmte Gebiete als gefährlich beziehungsweise »kriminalitätsbelastet« zu definieren. An diesen Orten dürfen Polizeibeamte dann ohne konkreten Straftatverdacht Personen anhalten, deren Identität feststellen und sie durchsuchen – allein weil sie sich dort aufhalten (Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin, ASOG, Anm. d. Red.). Als Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt kritisieren wir diese Sonderbefugnisse der Polizei schon seit langem, denn uns erreichen immer wieder Berichte von people of colour und anderen sichtbaren Minderheiten, die an »kriminalitätsbelasteten Orten« racial profiling der Berliner Polizei ­erleben. Die Abschaffung der Sonderbefugnisse wäre ein erster Schritt zur Bekämpfung dieser rassistischen Polizeipraxis.

»Wenn der Senat racial profiling tatsächlich unterbinden will, muss er konkrete Maßnahmen treffen.«

Welche Auswirkungen hat diese Praxis für Betroffene?
Viele denken, es gehe nur eine harm­lose Passkontrolle, aber das stimmt nicht. Zum einen eskalieren die Kontrollen häufig, weil die Menschen nicht verstehen, warum sie kontrolliert werden, und die Polizeimaßnahmen in Frage stellen. Dann kann es zu gewaltsamen Festnahmen, Misshandlungen und Übergriffen kommen. Zudem ist eine Kontrolle in der Öffentlichkeit so demütigend und erniedrigend, dass betroffene Menschen lange unter den psychischen Folgen leiden. Sie stellen sich immer wieder die Frage: »Was habe ich gemacht, dass ich in der Öffentlichkeit meine Schuhe ausziehen musste? Warum musste ich meinen Ausweis zeigen?«

Lange haben deutsche Politiker die Existenz von racial profiling geleugnet. Jetzt hat der rot-rot-grüne Senat in Berlin sich immerhin vorgenommen, dagegen vorzugehen. Ist das schon als Erfolg zu werten?
Ja, das ist ein Erfolg, den ich begrüße. Nur denke ich, dass eine verbale Verurteilung nicht ausreicht. Auch eine Bekanntgabe von zehn Orten geht nicht weit genug. Wenn der Senat racial profiling tatsächlich unterbinden will, muss er konkrete Maßnahmen treffen. Und eine erste Maßnahme wäre die Abschaffung der Sonderbefugnisse. Solange die Polizei nicht sicher­stellen und beweisen kann, dass racial profiling in ihrer Arbeit keine Rolle spielt, muss die Politik ihr die Befugnis zu verdachtsunabhängigen Kontrollen aus der Hand nehmen.

Beim Thema rassistischer Kontrollen der Bundespolizei in Zügen gab es mittlerweile einige juristische Erfolge. Wie wirkt sich das auf die polizeiliche Praxis aus?
Gerichtsurteile – insbesondere der obersten Gerichte – helfen natürlich Menschen, und die Polizei muss dadurch ihre Praxis ändern. Aber das reicht nicht aus. Langfristig muss es darum gehen, der Polizei ihre Sonderbefugnisse wegzunehmen. Das bedeutet nicht, dass racial profiling sofort aufhört, aber das ist der erste Schritt. Ich befürchte jedoch, dass die Bundesregierung, solange es geht, Widerstand leisten wird.

Die Kampagne wurde von verschiedenen lokalen antirassistischen Gruppen initiiert. Wie ist es zu einem Bündnis gekommen und wie sieht die Zusammenarbeit aus?
Die Organisationen, die das Bündnis initiiert haben, arbeiten schon seit ­längerem zusammen – zu verschiedenen Gelegenheiten und Anlässen. Es war wichtig, dass wir die Kampagne nicht nur als »Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt« (KOP) starten, weil das den falschen Eindruck erweckt hätte, dass nur wir gegen rassistische Diskriminierung bei der Polizei kämpfen. Es gibt viele Gruppen, die sich mit diesem Thema beschäftigen, und jede hat eigene Schwerpunkte und Möglichkeiten und auch eigene Vorstellungen, wie man gegen racial profiling vorgehen kann. Das wollten wir in diesem Bündnis abbilden.

Wie ist die Situation in anderen Bundesländern?
In fast allen Bundesländern gibt es vergleichbare Regelungen. Die Bezeichnungen sind unterschiedlich, manche Länder haben sogenannte Gefahren­gebiete, aber unabhängig davon, wie die Orte genannt werden, haben alle gemeinsam, dass die Polizeibeamten dort  mit entsprechenden Sonderbefugnissen ausgestattet sind. In allen Ländern haben Polizeibeamte an bestimmten Orten die Befugnis, Menschen anlass- und verdachtsunabhängig zu kontrollieren. Wir hoffen, dass Initiativen und Organisationen an anderen Orten ­unsere Kampagne in ihren jeweiligen Bundesländern aufgreifen und sich auch dort gegen die Sonderinstrumente der Polizei wenden.

Was sind die nächsten Schritte?
Im Rahmen einer Postkartenaktion sammeln wir Unterschriften, die wir dem Abgeordnetenhaus übergeben werden, um zu zeigen, wie viele Menschen die Sonderbefugnisse der Polizei falsch finden. Außerdem werden wir ein Rechtsgutachten zur Verfassungswidrigkeit der polizeilichen Sonder­befugnisse präsentieren. Daneben planen wir Aktionen an den »kriminalitätsbelasteten Orten« – wie wir auch in der Vergangenheit beispielsweise im Görlitzer Park in Kreuzberg schon Kundgebungen gemacht haben. Wir werden dort Menschen informieren, was es mit den »kriminalitätsbelasteten Orten« auf sich hat und was sie tun können, wenn sie von der Polizei kontrolliert werden oder rassistische Polizeikontrollen beobachten.