Mit DNA-Analysen will die Polizei künftig auch Haut-, Haar und Augenfarbe feststellen

Verdächtiges Erbgut

Die jüngst legalisierten Massengentests sind ein Einfallstor für ­institutionellen Rassimus in der Polizeiarbeit. Für sicherheitspolitische Hardliner bilden sie erst den Anfang einer langen Wunschliste.

Im Juni, kurz vor Ende der Legislaturperiode, winkte der Bundestag die Gesetzesnovelle »zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens« durch. Neben dem Bundestrojaner erlaubt das Gesetz Ermittlungen auf der Grundlage sogenannter Beinahetreffer bei DNA-Reihenuntersuchungen, was auch als familial searching bezeichnet wird. Während die um Datenschutz besorgte Öffentlichkeit zu Recht feststellte, dass hier im Schnellverfahren geschickt verpackt den Strafverfolgungsbehörden ermöglicht wurde, Smartphones und Laptops auszuspähen, blieb eine Debatte über die ebenso folgenschwere Reform zu erweiterten DNA-Analysemethoden weitgehend aus. Dabei haben die neue, auch über das familial searching hinausgehende Untersuchungsmethoden schwerwiegende datenschutzrechtliche Auswirkungen und bergen erhebliches Diskriminierungspotential.

Die Analyse sogenannter biogeographischen Herkunftsmarker rekurriert auf eine fragwürdige Vermischung von Zuschreibungen.

Mit den Beinahetreffern sind DNA-Muster gemeint, die bei sogenannten molekulargenetischen Reihenunter­suchungen – auch als »Massengentests« bezeichnet – erhoben werden, aber nur zum Teil mit dem Muster einer an einem Tatort gefundenen DNA übereinstimmen. Die Ermittler schließen daraus, dass der Probengeber mit der gesuchten Person verwandt sein könnte. Das neue Gesetz erlaubt es dann, in der Verwandschaft des Probengebers zu ermitteln. Allerdings können nicht nur Verwandte der gesuchten Person, sondern aus statistischen Gründen auch viele weitere Personen solche DNA-Ähnlichkeiten aufweisen. Das Verfahren wirkt diskriminierend, weil Ähnlichkeiten in den DNA-Mustern bei einigen Gruppen aus historischen, kulturellen und weiteren Gründen häufiger auftreten können als bei anderen. Mit dem Verfahren werden darüber hinaus bisherige Standards des Datenschutzes ausgehebelt und es wird gegen Personen ermittelt, die noch nicht einmal die Möglichkeit hatten, einer Probenabgabe und DNA-Analyse zu­zustimmen oder nicht. Die Teilnahme am Massengentest selbst ist formal freiwillig, geschieht aber faktisch unter enormem sozialem Druck.

Barbara Dembrowski, Referentin beim hessischen Datenschutzbeauftragten, kritisierte bereits 2011 im ­Interview mit dem Verein »Gen-ethisches Netzwerk« die »freiwillige« ­Probenabgabe als eine faktische Aushebelung der Unschuldsvermutung: »Das Verfahren kehrt also die Beweislast um – die unschuldige Person muss ihre Unschuld beweisen, nicht die Strafverfolgungsbehörden die Schuld.« Während dies zuvor nur für Proben­geber galt, ist nun auch eine Vielzahl von mit ihnen verwandten Personen betroffen. Wie eine Ermittlung konkret ablaufen wird und ob auch die Verwandten zur »freiwilligen« Speichelprobe aufgefordert oder ob gegen sie ermittelt werden wird, um einen Anfangsverdacht zu begründen, der sie zu einer Speichelprobe verpflichten könnte, ist im Gesetz nicht geregelt. Lutz Roewer, leitender forensischer Genetiker an der Berliner Charité, lehnte die Ermittlung aufgrund solcher Beinahetreffer schon 2013 in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit als »biologisch motivierte Rasterfahndung« ab. Der Deutsche Rechtsanwaltsverein kritisiert, dass bei einer DNA-Reihenuntersuchung die Teilnehmenden kaum die Tragweite ihrer Einwilligung in die Verwertung der Daten gegen eigene Verwandte einschätzen können.

Sicherheitspolitiker haben für die neue Legislaturperiode bereits fleißig weitere Forderungen vorbereitet: Zu­gelassen werden sollen neben den Beinahetreffern ein sogenanntes forensic DNA phenotyping, also die Analyse von DNA-Markern für die wahrscheinliche Haut-, Haar- und Augenfarbe, die Bestimmung des ungefähren Alters sowie der »biogeographischen Herkunft«. All diese Analysemethoden wirken in mehrerer Hinsicht letztlich rassistisch. Das zeigt sich insbesondere in der deutschen Debatte über erweiterte DNA-Analysemethoden, die nicht etwa wegen schwer aufzuklärender Straftaten aufkam, sondern ausschließlich bei Delikten, bei denen Geflüchtete oder people of color als tatverdächtig galten. Ein Anlass für die nun auf den Weg gebrachten Novelle war der Mord an Maria L. in Freiburg im Oktober vergangenen Jahres. Damals behauptete eine obskure Gruppierung mit dem Namen »Bund gegen Anpassung« in einer Flugblattaussendung an mehrere Tausend Freiburger Haushalte, dass die Justiz den Täter »wegen seiner Rasse« decke, und forderte die DNA-Analyse, um dessen »Rasse« zu ermitteln.

Obwohl schließlich ein afghanischer Geflüchteter auf Grundlage bisher schon legaler forensischer Verfahren als Tatverdächtiger ermittelt wurde, forderten der Freiburger Polizeipräsident Bernhard Rotzinger und der baden-württembergische Justizminister Guido Wolf (CDU) ein Gesetz zur erweiterte DNA-Analyse. »Das Recht darf den Bezug zum technischen Fortschritt und zum Rechtsempfinden der Bürger nicht verlieren«, sagte Wolf der Stuttgarter Zeitung.

Mit Unterstützung des grünen Koalitionspartners lancierte Wolf schließlich eine Bundesratsinitiative für die erweiterte DNA-Analyse von Haut-, Haar- und Augenfarbe sowie des Alters. Der bayerische Justizminister Winfried Bausback (CSU) integrierte in einen eigenen Novellierungsvorschlag auch noch die Forderung nach der Analyse biogeographischer Herkunftsmarker. Inzwischen haben sich Bundesjustizminis­ter Heiko Maas (SPD) und Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU), aber auch die AfD in ihrem Wahlprogramm allesamt für das forensic ­phenotyping ausgesprochen.
Der Nimbus der DNA-Analyse als einer neutralen und zudem äußerst genauen Technologie eint die Befürworter. Ideologische Unterstützung erhalten sie in unzähligen Polizeiserien wie »CSI« oder »Tatort«, wo physische Eigenschaften, die kontinentale Herkunft und manchmal sogar Phantombilder aus einer DNA-Spur herausgelesen werden. Diese Technologie ist jedoch keineswegs so genau, wie es die erwähnten Fernsehserien suggerieren, und wird es vermutlich auch nie sein. Befürworter weisen Bedenken oft pauschal als »überzogene political correctness« und als »Täterschutz« zurück.

Formuliert wird Kritik sowohl von einer interdisziplinären Arbeitsgruppe um die beiden Freiburger Professorinnen Veronika Lipphardt und Anna Lipphardt als auch in einem durch das Gen-ethische Netzwerk initiierten und von 25 zivilgesellschaftlichen Organisationen unterzeichnete Statement. Sie verweisen auf die überschätzte Aussagekraft der DNA-Analyse und auf diskriminierende Wirkungen, die teils in der Technologie selbst begründet liegen und teils wegen der zu erwartenden Art ihrer Anwendung zu befürchten sind. Die Analyse sogenannter biogeographischer Herkunftsmarker etwa rekurriert auf eine fragwürdige Vermischung von Zuschreibungen von »Ethnizität« und geographischer Herkunft. Bei der Suche nach phänotypischen Merkmalen kommt hinzu, dass das Analyseprofil einer Person mit den wahrscheinlichen Merkmalen »helle Haut, hellbraune Haare, blaue Augen und mitteleuropäische Herkunft« höchst selten als Ermittlungshinweis deutbar sein wird, während Minoritätenmerkmale schon allein wegen ihrer realtiven Seltenheit per se als brauchbar erscheinen werden. Zu befürchten ist, dass solche Ermittlungen in ein genetisches racial profiling münden und »ethnisch« definierte Gruppen oder people of color mit spezifischen, auf sie zugeschnittenen Massengenests konfrontiert werden.

Darüber hinaus gibt es sicherheitstechnische Hardliner, denen selbst ­diese Gesetzesvorhaben noch nicht weit genug gehen. Ginge es nach dem Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschel, würden in Zukunft ausnahmslos alle DNA-Daten aller sich in Deutschland aufhaltenden Menschen erfasst, egal ob es sich dabei um Bürger, Touristen oder Geflüchtete handelt. Und auch das bisher technisch nicht mögliche Ablesen eines Phantombildes aus der DNA erhält derzeit mit dem EU-Verbundprojekt »Visible Attributes Through Genomics (VISAGE) Consortium« unter deutscher Beteiligung eine umfangreiche Forschungsförderung.