Mit der »Muhammad Ali Trophy« soll das Profiboxen neu erfunden werden

Boxen im Superlativ

Mit der sogenannten Muhammad-Ali-Trophäe will das schwächelnde Boxbusiness wieder in die mediale Offensive kommen.

Um deutlich zu machen, was die größte Auszeichnung ist, die man im ­Profiboxen erheischen kann, bedient sich die neu gegründete Comosa AG am liebsten der Versalien: Es geht um »the GREATEST prize in boxing«. Und natürlich heißt so ein Ding dann »Muhammad Ali Trophy«.

Weil so wohlklingende Titel wie »Weltmeister« im Boxen schon ­lange nicht mehr den Ruf haben, den ihre Träger und ihre Vermarkter gerne hätten, wird demnächst die World Boxing Super Series (WBSS) abge­halten, die diese Trophäe vergibt. Mit einem Ausscheidungsturnier in zwei Gewichtsklassen, Cruiser- und Supermittelgewicht, und dem aus­gelobten Pokal, der den Namen des wohl berühmtesten Boxers des 20. Jahrhunderts trägt, will das zuletzt schwächelnde Boxbusiness wieder in die mediale Offensive kommen. »Boxen ist derzeit völlig unterbe­wertet, weil der Sport schlecht organisiert ist«, sagte der Leiter des Vermarkters MP & Silva, Jochen Lösch, der FAZ. »Das soll jetzt geändert werden.« MP & Silva soll die WBSS in den kommenden drei Jahren an mit möglichst großer Reichweite noch besser zahlende Fernsehanstalten in aller Welt verkaufen – vor allem der lukrative US-Markt soll erschlossen werden.

Es geht um nicht weniger als dies: Die gesamte Buchstabensuppe der Verbände hinter sich zu lassen und das Profiboxen neu zu erfinden.

Organisiert wird dieses Turnier vom deutschen Promoter Karl-Robin »Kalle« Sauerland und seinem Schweizer Kollegen Richard Schaefer. Ihr Budget für die Preisgelder beträgt zunächst 50 Millionen US-Dollar. Vertreten sind tatsächlich die besten Boxer – fast zumindest: Im Cruiser­gewicht treten etwa die amtierenden Weltmeister der vier großen Ver­bände IBF, WBA, WBC und WBO an; es fehlt allerdings Denis Lebedew aus Russland, ehemaliger Weltmeister und immer noch einer der besten Kämpfer in dieser Kategorie. Im Supermittelgewicht fehlen die Titel­träger Gilberto Ramirez aus Mexiko (WBO) und James DeGale aus Großbritannien (IBF) – auch das eine Schwächung des Turniers, das doch die »Besten der Besten« versammeln will und sich deswegen auch sehr darum bemüht, die verfeindeten Weltverbände ins Boot zu holen.
In den kommenden Jahren sollen auch Boxer anderer Gewichtsklassen die Chance erhalten, eine Muham­mad-Ali-Trophäe in ihre Schrankwand zu stellen. Es geht also um nicht weniger als dies: die gesamte Buchstabensuppe der Verbände hinter sich zu lassen und das Profiboxen neu zu erfinden.

Aus dem hochkorrupten Business wieder eine sehenswerte sportliche Veranstaltung zu machen, ist ein ambitioniertes Unterfangen. Zuletzt ist das Muhammad Ali gelungen, als er 1964 gegen Sonny Liston Weltmeister wurde und damit die Mafia-Herrschaft über das Profiboxen beendete.

Die Erlaubnis, den Namen der verstorbenen Boxlegende zu verwenden, wurde, wie es heißt, für mehrere Millionen Dollar der Tochter Laila Ali abgekauft. Muhammad Alis guten Ruf wollen nun die bei WBSS versammelten Geschäftsleute okkupieren. »Comoso ist stolz, die enge ­Kooperation mit der Familie des größten Boxers aller Zeiten anzeigen zu dürfen«, sagt Kalle Sauerland, Sohn von Wilfried Sauerland, der einst mit Henry Maske das Boxen in Deutschland zu einer profitablen Angelegenheit  machte. Und Kalle legt noch eine Schippe drauf. »Wir sind erfreut, sein Vermächtnis mit diesem Turnier zu ehren.« Ob es wirklich Alis Vermächtnis ist, dieser speziell für dieses Turnier gegründeten Aktiengesellschaft üppige Fernsehgelder zu verschaffen, ist zumindest für Comosa nicht strittig. Da hält man das Turnier, so steht es in einer Pressemitteilung, »für eine passende Erinnerung daran, was Muhammad Ali für den Boxsport in und außerhalb des Rings geleistet hat«.
Seine Nachfolger stehen ab September jedenfalls im Ring. Geplant sind Kämpfe in New York, Las Vegas, London und Berlin – allesamt Städte, die boxhistorisch bedeutend sind; in London ist sogar an das Wembley-Stadion als Austragungsstätte gedacht. Und was die Fernsehdarbietung angeht, so geht das Gerücht, dass in den USA der Kabelsender »Showtime Networks« die Rechte erhalten soll. Bestätigt ist es noch nicht. Richard Schaefer sagte vor wenigen Tagen: »Es wird bald eine Mitteilung geben, offensichtlich wird es im US-Fernsehen übertragen werden, aber ich bin gerade nicht so frei, mitzuteilen, wer es sein wird.«
Zu sehen bekommen die Zuschauer in den Hallen, Stadien und mutmaßlich im Pay-TV insgesamt 14 Kämpfe, was auch bedeutet: 14 Kampfnächte – in jeder Gewichtsklasse vier Viertelfinale, zwei Halbfinale und ein Finale. Ganz neu ist die Idee eines solchen Turniers nicht. Kalle Sauerland selbst hatte 2009 das »Super-Six-Turnier« ins Leben gerufen. Auch da traten die damals besten Supermittelgewichtler der Welt an, auch da gab es Ausscheidungskämpfe in verschiedenen Städten, und sogar die Preisgeldsumme von 50 Millionen Dollar hatte man damals aufgetrieben – was, da es es nur um sechs und nicht um zweimal acht Boxer ging, relativ mehr Börse war. Trotzdem war das ambitionierte Turnier, an dem Boxer wie Arthur Abraham, Jermain Taylor, Carl Froch oder der spätere Sieger Andre Ward teilnahmen, gescheitert. Vor allem, weil es statt der versprochenen neuen Übersichtlichkeit noch mehr Chaos produzierte: Das Turnier war nämlich nicht darauf eingestellt, dass Boxer kurzfristig absagen könnten, groß angekündigte Kampfabende fielen deshalb aus. Nun, versprechen die Organisatoren, stünde Ersatz zur Verfügung: »Die Boxer auf der Reserveliste werden Boxer sein, die es nicht ganz ins Turnier gebracht haben oder die in früheren Kämpfen trotz Niederlage sich gut präsentiert hatten.«

Dass ein solches Verfahren ein Misslingen verhindert, kann eigentlich so recht niemand glauben. Die Weltmeistertitel im Boxen werden ja von WBSS nicht tangiert, und wenn ein Boxer bei diesem Turnier seinen Marktwert steigert, etwa indem er den Titelträger des konkurrierenden Verbandes deutlich schlägt, meldeten sich ja Verband und Promoter mit ihrem Verwertungsinteresse zurück – also organisieren die selbst einen ­lukrativen Titelkampf mit teuer verkauften Fernsehrechten. Was also bestenfalls gelingen kann, ist eine Frischzellenkur für das schwächelnde Boxbusiness.

Zurückgehende Einschaltquoten, niedrigere Attraktivität als die vergleichsweise neue Konkurrenz des MMA, das mit der Ultimate Fighting Championship (UFC) inzwischen eine Geldmaschine installiert hat, und die den Boxsport bis zur Unkenntlichkeit verzerrende Verbändekonkurrenz – all das zwingt die Promoter dazu, nach neuen Wegen Ausschau zu halten. Die UFC konnte erst jüngst für vier Milliarden US-Dollar die Fernsehrechte an ein Konsortium unter Führung der amerikanischen Agentur WME-IMG verkaufen. Von solchen Summen sind die Boxverbände und die Promoter weit entfernt.
Auch der angekündigte »Megafight« zwischen dem US-amerikanischen Boxstar Floyd Mayweather und dem irischen UFC-Star Conor McGregor gehört in die Reihe der Versuche, das Boxen wieder groß zu machen. Am 26. August sollen die zwei sich in Las Vegas einen Boxkampf liefern – und bis es zu dem sportlich eher fragwürdigen Event kommt, machen die zwei eine Art Pressekonferenz-Welttournee. In Toronto, Houston, New York und London werden Mayweather und McGregor noch auftreten, um sich gegenseitig anzubrüllen. Zum Auftakt, der ersten dieser angeblichen Pressekonferenzen, waren 11 000 Zuschauer ins Staples Center nach Los Angeles gekommen.

Im Mittelpunkt der Krise des Profiboxens stehen die USA. Das Schwergewicht, über 100 Jahre lang die wichtigste und alles dominierende Gewichtsklasse, hat schon lange ­keinen US-Star mehr hervorgebracht. Zwar gibt es mit Deontay Wilder ­derzeit einen US-amerikanischen WBC-Titelträger, aber Stars wie Evander Holyfield oder Mike Tyson fehlen. Die jahrelange Dominanz der Klitschkos hat das ihrige getan, um die höchste Gewichtsklasse als Langweilertreffen erscheinen zu lassen.
Hinzu kommt, dass niedrigere Gewichtsklassen, in denen aktiver und athletischer geboxt wird, aufgeholt haben. Das hat, wie Sportsoziologen versichern, vor allem gesellschaftliche Gründe. Im Profiboxen hat sich immer der soziale Aufstieg großer Bevölkerungsgruppen ausgedrückt: Am Anfang irische Einwanderer, dann Juden, Polen, Italiener, und über ­einen sehr langen Zeitraum waren es die Afroamerikaner, die den Sport dominierten. Zuletzt kamen Hispanics auf, oft in niedrigeren Gewichtsklassen.

Muhammad Ali hat die gesellschaftliche und politische Bedeutung des Boxens repräsentiert wie kein anderer. Dass das Vermächtnis des »Größten« nicht das ist, um ihre Fernsehrechte bangenden Promotern zu einer Größe zu verhelfen, die sich lediglich in Finanzsummen ausdrückt – das wird sich ziemlich sicher im Ring zeigen.