Ein besonderer Kandidat
Während die antisemitischen Schriften des baden-württembergischen Landtagsabgeordneten der »Alternative für Deutschland« (AfD), Wolfgang Gedeon, für große mediale Aufregung sorgten, ist die AfD-Parteimitgliedschaft des ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann bislang kaum zur Sprache gekommen. Der 68jährige war wegen seiner als »Tätervolk«-Rede bekanntgewordenen Ansprache 2003 aus der Bundestagsfraktion von CDU und CSU und 2004 auch aus der CDU ausgeschlossen worden.
2003 hatte der damalige Bundestagsabgeordnete Hohmann in seinem Wahlkreis Fulda zum deutschen Nationalfeiertag eine revisionistische Rede unter dem Titel »Gerechtigkeit für Deutschland« gehalten. In seinen Ausführungen legte der ehemalige Kriminaloberrat seine Sicht auf die Deutschen und die Shoah dar. So beklagte er, dass »die Schuld von Vorfahren an diesem Menschheitsverbrechen« fast zu einer »neuen Selbstdefinition der Deutschen geführt« habe. Denn »trotz der allseitigen Beteuerungen, dass es Kollektivschuld nicht gebe, trotz nuancierter Wortneuschöpfungen wie ›Kollektivverantwortung‹ oder ›Kollektivscham‹: Im Kern bleibt der Vorwurf: die Deutschen sind das ›Tätervolk‹.« Schuld an dieser Sichtweise habe »die zur Zeit in Deutschland dominierende politische Klasse und Wissenschaft mit allen Kräften«. Diese beharrten Hohmann zufolge fast neurotisch auf der deutschen Schuld.
In seinen weiteren Ausführungen bezog sich Hohmann auf den US-amerikanischen Automobilfabrikanten und Antisemiten Henry Ford und brachte die Juden in Verbindung mit dem Begriff »Tätervolk«. Weil sich angeblich viele Juden an der Russischen Revolution beteiligt hätten, könne man mit »einer gewissen Berechtigung« im Hinblick auf die Millionen Toten dieser ersten Revolutionsphase »nach der ›Täterschaft‹ der Juden fragen«, leitete er seine Thesen ein und kam zunächst zu dem Schluss: »Daher könnte man Juden mit einiger Berechtigung als ›Tätervolk‹ bezeichnen.« Um am Ende seiner Rede diese Feststellung im Konjunktiv wieder zu relativieren: Man könne weder die Deutschen noch die Juden als Tätervolk bezeichnen. »Mit vollem Recht aber kann man sagen: Die Gottlosen mit ihren gottlosen Ideologien, sie waren das Tätervolk des letzten, blutigen Jahrhunderts.«
Der Historiker Ulrich Herbert analysierte damals: »Was er macht, ist eine Entlastungsargumentation.« Wolfang Benz, der damalige Leiter des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung, meinte: »Das ist Goebbels pur, das kann man nicht anders sagen.« Die rund 120 Zuhörer der Rede, zumeist Mitglieder des Neuhofer CDU-Ortsverbands, waren hingegen durch die Äußerungen ihres Bundestagsabgeordneten keineswegs irritiert. Erst die Veröffentlichung eines kritischen Artikels auf dem Internetportal Hagalil – nachdem die Rede vom Ortsverband ins Internet gestellt worden war – sorgte für eine öffentliche Auseinandersetzung, in deren Rahmen Hohmann von der CDU-Bundesvorsitzenden Angela Merkel zunächst nur gemaßregelt und wenig später dann aus der Bundestagsfraktion und der Partei ausgeschlossen wurde.
Bis zum Ende der Legislaturperiode 2005 saß Hohmann als fraktionsloser Abgeordneter im Bundestag. Bei der
Bundestagswahl in jenem Jahr trat er als parteiloser Direktkandidat an, verlor zwar gegen den CDU-Kandidaten Michael Brand, der 39,1 Prozent der Stimmen erhielt, erreichte mit fast 40 000 Stimmen aber immerhin einen Anteil von 21,5 Prozent. Am Wahlabend kündigte er an, seine politische Karriere zu beenden.
2012 sagte Hohmann in einem Interview mit der rechten Publizistin Eva Herman, »eine gewisse Steuerung von interessierter Seite« stehe hinter der Kritik an ihm und seiner damaligen Rede. Zwar habe er keine Belege für diese Behauptung, es sei jedoch offensichtlich, dass »einflussreiche Juden dunkle Kapitel jüdischer Geschichte lieber im Dunkeln belassen« wollen.
Anfang 2016 tauchte Hohmann wieder auf – bei den Kommunalwahlen in Hessen zog der ehemalige Bundeswehrsoldat als Parteiloser auf Listenplatz 1 der AfD in den Fuldaer Kreistag ein. Er erhielt von allen 81 gewählten Mandatsträgern die meisten Einzelstimmen. Im Frühjahr 2016 wurde Hohmann auch Mitglied der AfD – nun kandidiert er für die äußerst rechte Partei bei der Bundestagswahl. »Gott, Familie, Vaterland« steht als Motto auf seiner Website.
Bei der ersten, wegen eines Formfehlers für ungültig erklärten Listennominierung der hessischen AfD im November 2016 war Hohmann noch auf den vierten Listenplatz gewählt worden. Nun tritt er auf Platz 6 der AfDLandesliste an und ist in Fulda Direktkandidat für den Bundestag. In seiner neuen Partei ist Hohmann – im Gegensatz zu Gedeon – durchaus wohlgelitten. Der AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen sagte dem Berliner Tagesspiegel, man habe Hohmann 2003 »beträchtliches Unrecht angetan«, und behauptete: »Wenn wir den leisesten Verdacht hätten, dass Herr Hohmann antisemitische Positionen verträte, dann wäre er für unsere Partei kein möglicher Exponent.« Meuthen war als Fraktionsvorsitzender der baden-württembergischen AfD die treibende Kraft beim versuchten Ausschluss Gedeons gewesen, der schließlich selbst auf seine Fraktionsmitgliedschaft verzichtete, bis heute aber AfD-Mitglied ist.
Hohmann selbst äußerte bereits im Jahr 2004 in der österreichischen rechtsextremen Monatszeitschrift Die Aula, er könne sich »sehr gut vorstellen«, dass »eine klar konservative, patriotische, christliche Partei rechts neben der Union« für Deutschland mehr als nur »von Vorteil sein könnte«. Ein gutes Jahrzehnt später ist die AfD genau die Partei, vom der er damals geträumt haben dürfte. Hohmann ist wieder viel unterwegs. So hält er für die AfD Vorträge, beispielsweise in der »hessischen Wetterau, in Starnberg, im Odenwald/Main-Kinzig, Westthüringen, Ebersberg und Eding«, wie die antifaschistische Initiative »Stadt, Land, Volk« der Jungle World berichtete. Die örtlichen Antifaschisten schätzen die Rolle von Hohmann als populäres Zugpferd für die AfD gerade in der Region Kassel als sehr wichtig ein.
Armin Pfahl-Traughber, Mitglied des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus des Deutschen Bundestages, konstatierte in einem Artikel auf dem Portal Hagalil mit Blick auf Hohmann, die AfD habe »nicht nur mit Wolfgang Gedeon in Baden-Württemberg ein Antisemitismusproblem«.