Einplatinenrechner sind beliebt und ermöglichen ­allerlei Basteleien

Technik, die begeistert

Einplatinenrechner wie Raspberry Pi und Arduino begeistern die Hacker-Szene. Die Minicomputer haben kein Gehäuse und können fast nichts – bis ein Tüftler sie mit anderen Geräten verbindet, programmiert und so zum Leben erweckt. Dann lässt sich mit ihnen allerlei Schabernack treiben.
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Als Apple vor 41 Jahren seinen ersten Computer auf den Markt brachte, war es ein Bausatz: Eine nackte Platine mit einer Reihe von aufgelöteten Chips. Um ihn zum Leben zu erwecken, mussten die Nerds von damals erst noch Gehäuse, Netzteil, Monitor und Tastatur kaufen oder selbst bauen. Vielleicht ist auch Nostalgie mit schuld daran, dass der Raspberry Pi so beliebt ist. Der Minicomputer kommt ebenfalls ohne Gehäuse daher und ist billig und klein genug, um fast überall eingebaut zu werden. Mit viel Tüftelei und Zubehör baut man damit kleine Server für den Hausgebrauch, etwa um Musik und Filme abspielen zu können. Raspberry Pis stecken in selbstgebauten Spielekonsolen und Wetterstationen oder dienen der Fernsteuerung selbstentworfener Roboter aus Legosteinen oder Fisher-Prize-Elementen.

Beim Tüfteln mit solchen Minicomputern geht es um mehr als ein futuristisches Update für die Modelleisenbahn im Hobbykeller. Anders als die PCs der neunziger Jahre sind heutige Laptops, Smartphones und Tablets reine Konsumprodukte. Sie sind nicht dafür gedacht, aufgeschraubt und erweitert zu werden. Ihre Anwender verstehen immer weniger, wie die Geräte eigentlich funktionieren, die sie den ganzen Tag benutzen. Das wollen die maker – so nennen sich die Bastler selbst – ändern. Auf der Basis von Rasp­berry Pi und ähnlichen Minicomputern bauen sie sich Tablets, Smartphones und Digitalkameras selbst. Wie das geht, erklären sie auf ihren Treffen, bei Stammtischen und sogenannten maker fairs. Auf diesen Messen zeigen sie ihre Kreationen: Eine wenige Zen­timeter große und voll funktionsfähige Kopie des ersten Apple Macintosh, komplette Arcade-Automaten nach dem Vorbild der achtziger Jahre oder ein intelligenter Wandspiegel, der ähnlich wie ein Tablet-Computer funktioniert und bei der Morgentoilette E-Mails, Nachrichten und aktuelle Termine anzeigt.

Kinder sollen lernen können, wie Computer, Programmieren und Digitialisierung eigentlich funktionieren.

Bei vielen maker-Projekten geht es um die Automatisierung der eigenen Umwelt. Mit Bewegungssensoren schalten Minicomputer automatisch das Licht in den verschiedenen Zimmern ein und aus andere sorgen dafür, dass bei einer Party mehrere Räume mit der gleichen Musik beschallt werden. Das Garagentor lässt sich per Sprachbefehl über ein Smartphone öffnen. Oft sind diese Projekte auch Ins­piration für die Industrie, die unter dem Stichwort »Smart Home« derzeit allerlei digitale Helfer anbietet, um das Haus zu automatisieren. Solche oft recht teuren Spielereien lassen sich mit solchen Kleincomputern zu einem Bruchteil des Preises  selbst bauen – Zeit und Spaß an der Tüftelei vorausgesetzt.

Wer einsteigen möchte, steht vor der Frage Raspberry Pi oder Arduino? Der Unterschied liegt im Verwendungszweck: Raspberry Pi ist ein kompletter kleiner PC, der sich ganz gut als Schreibtischrechner macht, wenn man ihn in ein Gehäuse einbaut und Maus und Tastatur anschließt. Darauf läuft dann ­Linux oder Windows. Platinen mit Arduino-Chip hingegen werden an bestehende Rechner angeschlossen. Sie eignen sich vor allem dazu, einfache Aufgaben zu zu automatisieren, etwa eine Lichtorgel oder einen Roboter zu steuern. Raspberry Pi und Arduino sind keine konkurrierenden Betriebssysteme wie etwa Apples iOS und Googles Android, sondern können sich gegenseitig gut ergänzen. Neben den beiden großen Marken gibt es noch zahlreiche andere Minicomputer, die aber den Nachteil haben, dass sie we­niger weit verbreitet sind. Für die beiden großen Sys­teme gibt es etliche Bücher, Online-Foren und zahlreiche Tutorialvideos auf Youtube.

Die Videos erklären die einzelnen Schritte und Grundlagen, zeigen aber auch allerlei verspielte Projekte: Da wird ein Raspberry Pi in ein altes Gameboy-Gehäuse eingebaut, dem bei der Gelegenheit gleich noch ein Farbdisplay verpasst wird. Der maker Grant Gibson baut ein altes Spielzeugtelefon für Kleinkinder zu einem Smartphone um, das ähnlich wie die Alexa-Box das Wetter oder das Kinoprogramm ausgeben kann – allerdings über eine antiquierte Wählscheibe statt per Sprachsteuerung. Der britische Hobbyflieger Dave Akerman wiederum schickt einen eigenen Wetterballon in den Himmel, der Daten und Livebilder aus einer Höhe von 40 Kilometern liefert.

Die maker-Szene vermittelt ihren Mitgliedern das Gefühl, dass die Entwicklung von Elektronikprodukten nicht nur etwas für Ingenieure und Informatiker ist und man elektronisches Spielzeug mit relativ wenig Wissen, Geld und Aufwand durchaus auch selbst bauen kann. Ein solcher maker ist der Kölner Unternehmer Stephan Noller. Bunte LEDs zum Blinken zu bringen, reicht ihm schon,um sich zu begeistern. Vor einigen Jahren verpasste er dem Weihnachtsbaum in seinem Vorgarten einen Twitter-Account. Wer ihm auf Twitter eine Nachricht schickte, konnte den Baum zum Leuchten und Blinken bringen. Nur die Nachbarn wunderten sich, dass der Baum immer wieder an und aus geht und hörten ­interessiert zu, als Noller ihnen das Prinzip dahinter erklärte.

Danach spielte er an einigen weiteren maker-Projekten herum, bis ihm die Idee kam, dass derlei Tüftelei doch eigentlich die perfekte Methode sei, Kindern digitale Technik nahezubringen. Dazu mussten aber erst die Einstiegshürden gesenkt werden. Für Raspberry Pi und Arduino-Boards benötigt man meist noch viel Zubehör, Kabel und Sensoren, um ein Projekt zu verwirklichen. Die Dokumentation ist in großen Teilen auf Englisch und wer die Minicomputer programmieren will, muss zunächst eine komplexe Entwicklungsumgebung auf seinem PC installieren und erlernen. Das sind schlechte Voraussetzung, um einem großen Publikum digitale Technik näherzubringen. Damit nicht nur diejenigen mit solchen Rechnern basteln, die sowieso schon Vorwissen haben, entwickelte Noller gemeinsam mit Freunden und Bekannten einen eigenen Minicomputer, den er nach der griechischen Muse der Wissenschaft benannt hat: Calliope wendet sich an Kinder im Grundschulalter.

Vorbereitungen und Programmierkenntnisse sind nicht nötig, die Platine enthält ab Werk bereits zahlreiche Sensoren und in der Schachtel liegt alles, was Kinder benötigen, um sofort loszulegen. Besonders wichtig war ihm dabei, Calliope so zu gestaltet, dass auch Mädchen spielerisch und unkompliziert Spaß an den klassischen Jungs-Themen Technik und Informatik haben.

Ebenso wichtig ist Noller die Bildungsgerechtigkeit. Möglichst alle Kinder sollen lernen können, wie Computer, Programmieren und Digitialisierung funktionieren. Und das möglichst früh, damit sie schon ein Gefühl dafür haben, was eigentlich im Smartphone vor sich geht, wenn in der Schulklasse die ersten Whatsapp-Gruppen angelegt werden. Stiftungen und Vereine können das allenfalls punktuell leisten, weshalb Noller versucht, das Bildungssystem zu hacken und sich an Schulbehörden wendet – mit Erfolg und mittlerweile auch mit Unterstützung des Wirtschaftsministeriums. Die Calliope gGmbH begleitet derzeit die flächendeckende Einführung in den Grundschulen des Saarlandes und verhandelt oder beginnt gerade Pilotprojekte in mehr als der Hälfte der Bundesländer. Dabei kommt sie auch den Lehrern entgegen: Auf dem Minirechner sind mehrere Programme vor­installiert, die sich ohne größere Vorbereitung fächerübergreifend im Unterricht einsetzen lassen. Dass die Minicomputer für Kinder konzipiert sind, heißt aber nicht, dass nicht auch Erwachsene viel Spaß damit haben und in der nächsten Weihnachtssaison den Baum zum Blinken bringen können. Wie bei einem Brettspiel, bei dem »9–99 Jahre« auf der Schachtel steht.