Italien will NGOs strenger kontrollieren, Libyen bedroht sie

Gegen die Humanität

Während die italienische Regierung NGOs an einen umstrittenen »Verhaltenskodex« für Einsätze zur Seenotrettung binden will, geht die libysche Küstenwache rabiat gegen Retter vor. Zahlreiche NGOs haben ihre Missionen vorerst ausgesetzt.

Italienische Kommentatoren sahen sich in ihrer Totalitarismustheorie bestätigt, als das von europäischen Rechtsextremen gecharterte Schiff »C-Star« vergangenen Freitag nach einem Motorausfall jegliche Hilfe der Besatzung des Schiffs der Regensburger Organisation Sea-Eye ablehnte. Beiden Seiten wird vorgeworfen, im Namen ihrer »ideologischen Überzeugungen« die Seenotrettung im Mittelmeer zu instrumentalisieren. Während die Identitären auf ihrer Mission »Defend Europe« den Seeweg nach Europa für Flüchtlinge blockieren wollen, um eine »kulturelle Kontamination« zu verhindern, wurde den deutschen NGOs unterstellt, sie agierten infolge postnazistischer Schuldgefühle in antieuropäischem Interesse.

Die Behauptung des sizilianischen Staatsanwalts Carmelo Zuccaro, es gebe eine direkte Kooperation der NGOs mit libyschen »Schleppern«, bezeichnete sein Kollege Ambrogio Cartosio, der die Ermittlungen gegen die Crew des beschlagnahmten Schiffes der NGO »Jugend rettet« leitet, jedoch als unwahr. Obwohl inzwischen gegen drei Besatzungsmitglieder wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung ermittelt wird, ist Cartosio überzeugt, dass sie allein aus »humanitären Motiven« gehandelt hätten.

Gegen diese Humanität hat sich eine Einheitsfront von der Lega Nord über die Fünf-Sterne-Bewegung bis zur Demokratischen Partei gebildet. Aus der verbliebenen Linken sind vereinzelt personalisierte Attacken gegen Innenminister Marco Minniti und moralische Empörung über das Ausmaß an Entsolidarisierung zu hören. Mehr aber auch nicht. Eine politische Bewegung gegen die italienisch-europäische Abschottungspolitik gibt es nicht.

Der Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz, Gualtiero Bassetti, predigte vergangene Woche, die Aufrufe des Papstes zur Aufnahme von Flüchtlingen seien ernst zu nehmen, auch wenn es der Verantwortung gegenüber den Aufnehmenden bedürfe. Der Chefredakteur der katholischen Tageszeitung Avvenire, Marco Tarquinio, drohte sogar seiner migrationskritischen Leserschaft mit dem Jüngsten Gericht, indem er sie daran erinnerte, dass sich »viele vor Gott und der Menschheit schämen werden für das, was sie bösartig gesagt, versucht, gemacht oder unterlassen haben«. Von Anfang an hatte die Zeitung den vom Innenministerium vorgelegten Verhaltenskodex für NGOs abgelehnt. Vor allem kritisierte sie die Bestimmungen, wonach bewaffnete Beamte jederzeit an Bord gelassen und Gerettete nicht an größere Schiffe übergeben werden dürften.

Die diesbezüglich von SOS Méditerranée ausgehandelten Zugeständnisse seitens des Innenministeriums sind schon wieder Makulatur, nachdem am Wochenende das Rettungsboot der spanischen NGO »Proactiva open arms« beschossen wurde, womit die libysche Küstenwache ihrer Drohung Nachdruck verliehen hat, alle NGOs zu attackieren, die in der eigenmächtig ausgedehnten libyschen Hoheitszone intervenieren. Die Organisationen Ärzte ohne Grenzen, Save the Children und Sea-Eye haben wegen der neuen Bedrohungslage ihre Rettungsmissionen vorerst ausgesetzt. »Wenn die NGOs nicht näher an die lybische Küster heranfahren dürfen, werden weniger Schiffe vor Ort sein, um Menschen vor dem Ertrinken zu retten. Wer nicht ertrinkt, wird nach Lybien zurückgebracht«, sagte Loris De Filippi, Vorsitzender von Ärzte ohne Grenzen in Italien, im Interview mit il manifesto.

Nun übernimmt eine von italienischen Militäreinheiten unterstützte, von der EU finanzierte und in unkontrollierbare Fraktionen zersplitterte libysche Küstenwache die Blockade der zentralen Mittelmeerroute. Ihre Aufgabe besteht darin, die Abfahrt von »Schlepperbooten« zu verhindern und Schiffbrüchige, wenn sie überhaupt noch gerettet werden, in libysche Lager zurückzubringen. Die »Identitären« können also mit ihrem maroden Kutter nach Hause schippern: Ihre Mission ist erfüllt.