Die Debatte über die inzwischen abgesagte Dokumenta-Performance »Auschwitz on the Beach«

Die ultimative Provokation

Während die Jüdische Gemeinde von Kassel gegen die Performance »Auschwitz on the Beach« auf der Documenta protestiert, verteidigt der zuständige Kurator Paul Preciado sie als Appell an das Gewissen.

»Auschwitz on the Beach« ist der ­Titel einer Performance, die diese ­Woche auf der Documenta in Kassel gezeigt werden soll*. Grundlage ist ein Gedicht des italienischen Philosophen Franco »Bifo« Berardi, das mit einem Soundtrack von Fabio Stefano Berardi und einer Bildinstal­lation von Dim Sampaio versehen ist. In dem von Franco Berardi verfassten Ankündigungstext heißt es, die Europäer errichteten auf ihrem Territorium Konzentrationslager für Geflüchtete und bezahlten die »Gauleiter« in der Türkei, Libyen und Ägypten dafür, die »Drecksarbeit« am Mittelmeer zu erledigen. Weiter schreibt Berardi, dass das Salzwasser des Mittelmeeres das – in den deutschen Vernichtungslagern eingesetzte – Zyklon B ersetzt habe.

Die abstruse Unterstellung, Europa baue Konzentrationslager, fand sich bereits in einem offenen Brief Berardis, in dem er vor einigen Monaten seinen Rückzug aus der »paneuropäischen Bewegung« DIEM 25 bekanntgab. Das Schreiben war auf dem Onlineportal »e-flux« veröffentlicht worden. In defätistischer Weise beschreibt Berardi dort Europa als antidemokratisch und militaristisch. Es sei an der Zeit, die Wahrheit zu akzeptieren, nämlich, dass Europa nichts anderes bedeute als Nationalismus, Kolonialismus, Kapitalismus und Faschismus.

Diese Aneinanderreihung, so geschichtslos wie infam, ebnet die Unterschiede zwischen dem, was diese Begriffe beschreiben, systematisch ein. »Kapitalismus« in seiner bürgerlich-demokratischen Form wird kurzerhand zu einem genauso großen Übel wie Faschismus erklärt. Ursache und Wirkung werden geschickt verdreht: Anstatt eine Kritik an der Migrationspolitik zu formulieren, die selbstverständlich auch Fluchtursachen thematisieren müsste, leisten Berardi und Sampaio den Flüchtlingen einen Bärendienst, indem sie deren Situation revisionistisch und einseitig zu einem neuen Holocaust umdeuten, anstatt die spezifische Situation zu analysieren. Es handelt sich hier nicht allein um einen geschmacklosen Ausrutscher, vielmehr zeugen die Aussagen von einer Haltung, der nicht an Erkenntnis und schon gar nicht an der Linderung des Leids von Flüchtlingen, sondern an Provokation gelegen ist.

Künstlerische Arbeiten mit zweifelhaftem Verweis auf die Shoah sind kein Novum, die siebte Ausgabe der Berlin-Biennale 2012 war gespickt mit solchen Anspielungen. Der verantwortliche Kurator Artur Żmijewski hatte bereits eine Videoarbeit inszeniert, in der er einem ehemaligen KZ-Häftling seine verblasste Häftlingsnummer neu tätowieren ließ. Die Künstlerin Yael Bartana unterbreitete auf jener Berlin Biennale den Vorschlag, die einst aus über drei Millionen Menschen bestehende, ausgelöschte jüdische Gemeine Polens wiederherzustellen, indem deren Nachkommen aus Israel nach Polen zurückkehren – was nicht nur die Existenz Israels gefährden würde, sondern auch den grassierenden Antisemitismus in Polen ignoriert.

»Auschwitz on the Beach« ist ein weiterer Tabubruch. Der für das Werk zuständige Kurator Paul B. Preciado versuchte zu beschwichtigen. Berardi habe keine direkte Analogie zwischen Konzentrationslagern und Lagern für Flüchtlinge hergestellt. Die Verwendung des Wortes Auschwitz solle vielmehr das Gewissen des Publikums wecken.

Längst gibt es in der Kunst einen Überbietungswettbewerb, der sich insbesondere durch den Imperativ verschärft, »politisch« zu sein. Doch in Anbetracht der Aussagen Berardis darf man getrost davon ausgehen, dass sie nicht nur Ausdruck einer gewollten Provokation sind. Es ist die einfachste Form der vermeintlichen Selbstkritik, als aus dem Westen stammende Person allein den Westen zu verdammen. Der Dialektik entkommen, klingt die Aussage gleich viel radikaler. Sich mitfühlend gebend, produziert zeitgenössische Kunst zu oft allein Selbsthass, schlechtes Gewissen und moralische Empörung und fungiert somit als kultureller Ablasshandel.

Gegen die angekündigte Performance regt sich Protest. Die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Kassel, Ilana Katz, bezeichnete die Inszenierung als geschmacklos und verletzend für die Überlebenden des Holocaust.

*Anmerkung: Die Perfomance wurde am Montag nach Redaktionsschluss abgesagt. Franco Berardi veröffentlichte am ein Statement auf Facebook dazu