Der mutmaßliche Attentäter von Charlottesville in den USA war Sympathisant der neonazistischen Gruppe »Vanguard America«

Im Bann Bannons

James Alex Fields Jr., der mutmaßliche Attentäter von Charlottesville, war Sympathisant von Vanguard America. Die neonazistische Gruppe wittert ein jüdisch-bolschewistisches Komplott zur Umerziehung der USA.

»Fags go home, you have no testosterone«, rief James Alex Fields Jr. voller Inbrunst. Mit ihm hatten sich am 12. August etwa 1 000 weitere US-amerikanische Rechtsextreme in Charlottesville zusammengefunden, um gegen den geplanten Abriss einer Statue des Südstaatengenerals Robert E. Lee zu demons­trieren (Jungle World 33/2017). Das Gedenken an den Kampf für die Sklaverei zu verteidigen, war, wie homophobe Parolen gegen »Schwuchteln« (fags) und antisemitische Slogans belegen, nicht ihr einziges Anliegen. Es galt ihnen aber als geeigneter Anlass für die »Vereinigung der Rechten« – »Unite the Right« war das Motto der Demonstration.

Der Entscheidung des Stadtrates von Charlottesville, der öffentlichen Huldigung Lees ein Ende zu setzen, war im Jahr 2015 ein rassistisch motiviertes Massaker in Charleston (South Carolina) vorangegangen. Der damals 21 Jahre alte Dylann Roof hatte neun schwarze Kirchgänger in der Absicht ermordet, einen »Rassenkrieg« zu entfachen. Dass Roof zuvor mit der Flagge der Konföderierten posiert hatte, verstärkte im ganzen Land die Kritik an der Präsenz der Symbole der rassistischen Separa­tisten im öffentlichen Raum. Die Rechtsextremen reagierten mit Gegenmobilisierungen. In Charlottesville, wo 80 Prozent der Wähler 2016 für Hillary Clinton gestimmt hatten, marschierten sie teils bewaffnet wie eine feindliche Armee ein.
James Alex Fields Jr. hatte seiner Mutter noch mitgeteilt, dass er an einer Alt-Right-Kundgebung teilnehme. Auf seiner Facebook-Seite hatte er zuvor Hitler-Fotos, Hakenkreuze, das Konterfei des syrischen Diktators Bashar al-Assad und Pepe the Frog, ein populäres Meme der Alt-Right, gepostet.

Nicht alle Anhänger der Alt-Right sind Neonazis, im rechten Milieu ist umstritten, was unter einer »alternativen Rechten« zu verstehen ist. Der Wortschöpfer, der Paläokonservative Paul Gottfried, forderte eine Rückbe­sinnung auf den traditionellen US-amerikanischen Konservatismus – in strikter Abgrenzung zum Neokonser­vatismus. Richard Spencer, der 2010 das Online-Magazin Alternative Right gründete, ist ein Neofaschist. Als er im November 2016 in Washington gastierte und seine Rede mit »Hail Victory« (Sieg Heil) beendete, reckten viele seiner Jünger den Arm zum Hitlergruß. Steve Bannon, früher Chefredakteur von Breitbart News, trug ebenfalls zur Popularisierung des Begriffs bei und wurde Chefstratege Donald Trumps. Bannons Zögling Milo Yiannopoulos, von 2015 bis Februar dieses Jahres führender Mitarbeiter bei Breitbart, möchte die Alt-Right von Neonazis oder, wie er sie nennt, stormfags, abgrenzen.

Was tatsächlich inhaltliche Differenz und was nur taktische Abgrenzung ist, bleibt häufig unklar. Dem Aufruf, in Charlottesville die rechtsextremen Gruppen zu vereinen, folgten unter anderem Richard Spencer und David Duke, der wohl populärste US-Neonazi und einst führendes Mitglied des Ku-Klux-Klans. Als ideologisches Bindeglied kann neben der paranoiden Angst vor Migration der mehr oder weniger offen antisemitische »Antiglobalismus« gesehen werden. Während bei Breitbart antisemitische Ideologeme eher in subtiler Form verbreitet werden, kannten die meisten Rechtsextremen in Charlottesville keine Hemmungen. Die dominierenden Schlachtrufe waren »Blood and Soil« (Blut und Boden) sowie »Jews will not replace us« (Die Juden werden uns nicht ersetzen), der sich auf die Verschwörungstheorie bezieht, der zufolge Juden, allen voran der Milliardär George Soros, die Verdrängung der Weißen vorantreiben und finanzieren.

Auch James Alex Fields Jr. ist ein Neonazi. Er marschierte bei der Gruppe Vanguard America, die in der Vergangenheit der Alt-Right angehörte, aber immer mehr zum offenen Neonazismus tendiert. In einem im Februar veröffentlichten Manifest erklärt sie die Bekämpfung des »internationalen Judentums« zur obersten Priorität. Jüdischer Einfluss sei der Hauptgrund für den kläglichen Zustand der »arischen Nation«. Im April nahm die Gruppe an einer neonazistischen Kundgebung in Kentucky teil – organisiert von der Nationalist Front, die als Dachverband der US-amerikanischen Neonazis gilt. Doch auch zur Alt-Right bestehen intensive Kontakte. Im Juni nahm Vanguard America an einer Kundgebung mit Richard Spencer und der rassistischen Gruppe »Identity Evropa« teil.

Vanguard America wurde 2005 von dem Holocaust-Leugner Kevin Alfred Strom und weiteren früheren Mitgliedern der National Alliance gegründet. Deren Gründer William Luther Pierce wiederum hatte einen Putsch weißer Nationalisten gegen die angebliche jüdisch unterwanderte US-Regierung vorantreiben wollen. Das National Vanguard Magazine wurde schnell zu einem wichtigen Medium ultranationalistischer und antisemitischer Propaganda. Zudem vertrat Pierce die Ansicht, dass sich mittels Euthanasie und »Rassenkrieg« in Europa und Nordamerika die »weiße Rasse« durchsetzen solle. Als Antizionist hatte Pierce auch geopolitische Visionen: So kaufte er während des Yom-Kippur-Kriegs 1973 Aktien von McDonnell Douglas und agitierte auf der Aktionärsversammlung dafür, sämtliche Militärgeschäfte mit Israel einzustellen.

Die Tyrannei des »Globalismus«, so die Propaganda der Neonazis, zwinge Familie, Tradition und Natur in die Knie. Nicht der freie Markt sei die Ursache des Übels, schuld seien internationale Bündnisse, vorangetrieben von einer Bande »wurzelloser Juden«, die Profit über Frieden stellten. Es gelte, eine neue Generation weißer Amerikaner heranzuzüchten, die bald schon die US-Ökonomie umkrempeln würden, um ein »weißes Amerika« zu errichten. Auf den Flyern, die Mitglieder von Vanguard America verteilten, wurde der »internationale Jude« durch zwei Symbole gekennzeichnet: den Davidstern sowie Hammer und Sichel.

In Charlottesville wusste man den Hauptfeind leicht auszumachen. So galten Juden einigen Teilnehmern als »Kinder Satans«, anderen als Hintermänner der US-Medien. »Die jüdisch-zionistische Sache«, so David Duke, sei die tragende Kraft des US-amerikanischen politischen Systems. Duke sagte, man werde Trumps Wahlkampfversprechen – die Rückeroberung Amerikas – endlich einlösen. Als Trumps erste Reaktion auf das Attentat in Charlottesville Neonazis und Gegendemonstranten auf eine Stufe stellte, bedankte Duke sich auf Twitter beim US-Präsidenten. Andrew Anglin, der Gründer der neonazistischen Website Daily Stormer, stellte fest: »Er hat uns nicht angegriffen«, das sei »wirklich gut«.

Auf Trumps Distanzierung von rechtsextremen Gruppen am Montag vergangener Woche folgte tags darauf eine erneute Relativierung, die beide Seiten gleichsetzte und überdies das offizielle Anliegen der Rechtsextremen, den Erhalt der Statue Lees, explizit unterstützte. Dass Bannon am ­Freitag voriger Woche das Weiße Haus verlassen musste, könnte wiederum als Zeichen der Mäßigung gewertet werden. Die Kritik aus der republikanischen Partei an Trumps ambivalenter Haltung war schärfer geworden, und der Druck gewachsen, Bannon zu entlassen, dem sowohl der neue Stabschef John F. Kelly, als auch der Nationale Sicherheitsberater H. R. McMaster einen schlechten Einfluss auf Trump zuschreiben. Gehen musste Bannon allerdings offenbar nicht wegen politscher Differenzen mit dem Präsidenten, sondern weil er mit seinen Äußerungen in unautorisierten Interviews zu weit gegangen war.