Im Sinne Erdoğans
Mit einem Lächeln betritt Dilay Banu Büyükavci den Raum und winkt dem Besucher zu. Danach legen beide zur Begrüßung ihre Hände auf die Glasscheibe, die das Zimmer in zwei Bereiche trennt. Denn Büyükavci ist seit 28 Monaten in der Justizvollzugsanstalt München inhaftiert. Die promovierte Ärztin wird beschuldigt, die 1972 gegründete Kommunistische Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch (TKP/ML) unterstützt zu haben. Außer ihr wurden neun Männer verhaftet. Alle zehn sitzen seit über zwei Jahren in Untersuchungshaft. Unter ihnen ist auch Büyükavcis Lebensgefährte Sinan Aydın, der ebenfalls Arzt ist. Den Angeklagten wird die Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach Paragraph 129b des Strafgesetzbuchs vorgeworfen.
Büyükavci erinnert sich noch sehr gut an den 25. April 2015, als sie von einem Einsatzkommando der Polizei in einem Nürnberger Café verhaftet wurde. »Noch überraschter als ich waren meine Gesprächspartner. Es waren Wissenschaftler, mit denen ich schon lange zusammenarbeite«, erinnert sich die Medizinerin im Gespräch mit der Jungle World. Als Mitglied der Gesellschaft für türkischsprachige Psychotherapie und psychosoziale Betreuung nahm sie regelmäßig an Tagungen und Konferenzen in Deutschland und der Türkei teil. In Nürnberg hatte sie selbst einen Kongress unter dem Motto »Psychologische Aspekte zur Integration von Kulturen« organisiert und dafür viel Anerkennung erhalten. Als sie verhaftet wurde, plante sie mit Kollegen gerade einen Folgekongress, der wegen ihrer Inhaftierung nicht stattfinden konnte. »Ich war gut integriert und bekam viel Lob. Jetzt soll ich eine Terroristin sein«, sagt Büyükavci. Doch nicht alle haben sich von ihr distanziert. Im Gegenteil, einige ihrer Arbeitskolleginnen im Nürnberger Klinikum wurden nach der Verhaftung selbst tätig.
»Ich habe Banu als eine wunderbare Frau und sehr angenehme Kollegin kennengelernt« berichtet die Ärztin Susanne Kaiser der Jungle World. Als Büyükavci plötzlich verschwunden war, sei sie verwundert gewesen. Dann bekam sie von einem Kollegen den Tipp, den Namen ihrer Kollegin im Internet zu googeln. »Da habe ich dann gelesen, dass sie unter der Beschuldigung verhaftet wurde, Mitglied einer terroristischen Organisation zu sein. Ich habe sofort gesagt: Banu und Terrorismus, das passt nicht zusammen«, so schildert Kaiser ihre erste Reaktion.
Mit einem kleinen Kreis weiterer Kolleginnen begann Kaiser, sich für die Freilassung Büyükavcis einzusetzen. Sie schrieben an verschiedene Landes- und Bundespolitiker, auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erhielt einen Brief. Die meisten Adressaten reagierten jedoch nicht. Lediglich der Bund der Steuerzahler habe mit einem freundlichen Brief geantwortet, erinnert sich eine weitere Kollegin, die mit Susanne Kaiser die Solidaritätsarbeit organisiert und ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Den Bund der Steuerzahler hatte die Gruppe angeschrieben, um auf die Kosten des Großprozesses hinzuweisen.
Büyükavcis Verteidiger Yunus Ziyal verweist darauf, dass seiner Mandantin nur legale Aktivitäten wie das Sammeln von Spenden zur Last gelegt werden. Doch im Rahmen des Verfahrens würden diese Hilfstätigkeiten als Unterstützung einer ausländischen terroristischen Organisation bewertet. Dass die TKP/ML in Deutschland legal ist, spielt dabei keine Rolle. Ziyal forderte vor einigen Wochen die Entlassung seiner Mandantin aus der Untersuchungshaft mit der Begründung, dass sie sofort wieder an ihre Arbeitsstelle zurückkehren könne und ein Haus besitze, also bestens in die Gesellschaft integriert sei.
Ziyal weist auch darauf hin, dass allen Verstimmungen in den deutsch-türkischen Beziehungen zum Trotz die Justizkooperation beider Länder in diesem Fall reibungslos funktioniere. »Die angeblichen Ermittlungsergebnisse der türkischen Behörden zu den Bezugstaten und zur Struktur der Organisation, die im Rahmen der polizeilich-justitiellen Zusammenarbeit an die Bundesanwaltschaft übermittelt wurden, sind eine der wichtigsten Grundlagen der Anklage«, sagt der Jurist der Jungle World. Dabei stützten sich die türkischen Behörden auch auf geheimdienstliche Quellen, beispielsweise auf V-Leute in linken migrantischen Organisationen in Deutschland. Spitzeleinsätze in der Gülen-Bewegung führten zu einem kurzzeitigen Medienaufschrei. In München landeten die Spitzelberichte in den Prozessakten.