Mit einem Bein in der EU

So nah und doch so fern

Wer sich in den chaotischen Verkehr auf den Straßen Albaniens traut, könnte das Gefühl bekommen, dass das kleine Land längst offizielles Mitglied der Europäischen Union sei. Denn zumindest die Nummernschilder lassen keinen Zweifel aufkommen, dass sich das Land bereits als Teil des europäischen Staatenbunds und nicht mehr als Balkan-Außenseiter ansieht. Die 2011 eingeführten Autokennzeichen entsprechen der EU-Norm, am linken Rand ein azurblaues Kästchen, auf dem der albanische doppelköpfige Adler thront. Nur ein kleines Detail fehlt noch: Statt des EU-Sternenkranzes prangt auf der rechten Seite bislang nur ein leerer weißer Kreis. Die nötigen Aufkleber werden aber bestimmt schon irgendwo gebunkert. Auch wenn die Beitrittsverhandlungen noch nicht einmal offiziell begonnen haben, wird in der albanischen Öffentlichkeit bereits selbstbewusst mit der EU-Symbolik hantiert. Vor dem Parlamentsgebäude wehen zwei riesige Fahnen, die albanische und die europäische.

Auch sonst sind EU-Banner ein normaler Teil des Straßenbildes, neben Nato-Fahnen, die zeigen sollen, dass man ja bereits einem anderen großen Staatenbündnis des Westens angehört, sowie vereinzelten US-Flaggen, die deutlich machen, dass man sich hier auch gerne mal gen Westen verneigt. Der Euro wird ebenfalls vielerorts als Zahlungsmittel akzeptiert, wobei dies angesichts des miserablen Kurses, den man dabei angerechnet bekommt, möglicherweise auch einfach nur ökonomischem Interesse entspringt. Die Stimmung ist jedoch eindeutig: Es ist keine Frage, ob das Land in den erhabenen Kreis aufgenommen wird, sondern nur, wann. Und so lange warten, bis die Mühlen der europäischen Bürokratie in Brüssel fertig gemahlen haben, will man offensichtlich nicht. Stattdessen schafft man lieber an Ort und Stelle gleich mal ein paar Tatsachen und spricht leichte Drohungen aus, sollten die unilateralen Vorbereitungen ins Leere laufen. »Der Balkan könnte durchdrehen«, und das wäre ein »Albtraum« für die EU, warnte der albanische Ministerpräsident Edi Rama im April die westlichen Nachbarn.