Das Feindbild des Linksextremismus im Wahlkampf

Konsens gegen links

Mit wahlkämpferischer Hetze gegen das verblassende Gespenst des Linksextremismus heißen die »Volksparteien« die politischen Vertreter der neuen völkischen Bewegung im Bundestag willkommen.

Wenn »das Volk« rechts steht, steht der (Volks-)Feind logischerweise links – das zeigte sich bereits vor Beginn des Wahlkampfs, als sich kaum jemand bei der SPD oder den Grünen ernsthaft für Rot-Rot-Grün als zumindest theoretische Option für einen Kanzler Martin Schulz stark machte. Gleichzeitig begannen sich die üblichen Verdächtigen unter den Konservativen lautstark zu einem identitären Nationalbewusstsein zu bekennen, etwa der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) mit seiner touretteartig vorgetragenen Forderung nach einer Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen oder Innenminister Thomas de Maizière (CDU) mit dem Wiederaufwärmen der leidigen Leitkulturdebatte. Letzterer gab sich dann auch alle Mühe, mit dem juristisch fragwürdigen Verbot von linksunten.indymedia.org »klare Kante« gegen die Volksfeinde vom linken Rand zu zeigen.

Auch bei der SPD gab es starke ­Abgrenzungsbedürfnisse nach links: Nach den Ausschreitungen beim ­G20-Gipfel beeilte sich Kanzlerkandidat Martin Schulz, den Demonstranten »Züge von Terrorismus« zu attestieren, während Justizminister Heiko Maas sie im rechten Jargon »asoziale Schwerstkriminelle« nannte und die Idee eines »Rock gegen links«-Konzerts wohlwollend diskutierte. Ganz im Sinne von FDP-Coverboy Christian Lindner, der postwendend befand: »Der Linksextremismus wurde zu lange verharmlost.«

Nun werden zwar bei den Rechts­extremen immer wieder Schusswaffenverstecke ausgehoben, während man bei der den Betreibern von linksunten.indymedia.org geltenden Razzia ge­rade mal »Messer, Schlagstöcke, Rohre und Zwillen« sicherstellte. Und die Zahl rechtsextrem motivierter Straftaten im vergangenen Jahr war erneut mehr als doppelt so hoch wie diejenige, die dem linken Lager zugeordnet wird. Aber mit einer AfD im Nacken, die den Umfragen zufolge mit einem zwei­stelligen Ergebnis in den Bundestag einziehen könnte, darf es in diesem Land abseits des am Oberlandesgericht München zur winzigen Gruppe deklarierten NSU-Netzwerks keine Nazis geben – nur »besorgte Bürger«, deren Wählerstimmen zurückerobert werden müssen. Da langsam die Erkenntnis durchsickert, dass es wenig bringt, Alexander Gauland, Björn Höcke & Co. nach jedem ihrer rassistischen Ausfälle Nähe zum Nationalsozialismus vorzuwerfen – weil deren Wähler diesbezüglich offensichtlich keine Berührungsängste haben –, versucht man einigermaßen hilflos, ihnen die Themen wegzunehmen. Hilflos ist dies deshalb, weil mit einer konsequent wirtschaftsliberalen Kanzlerin wie Angela Merkel eine Obergrenze für Flüchtlinge ebenso wenig zu haben ist wie eine hetero­sexuelle Renormierung der Gesellschaft, die Schließung der Grenzen oder die Abschaffung des Euro. Was von den klassischen AfD-Themen übrig bleibt, um sich deren Wählern anzudienen, ist ­Repression gegen Linke – ein allerdings geradezu absurdes Unterfangen, schaut man sich den realen Zustand der linken Szene an.

 

Harmlose Linke

Während ein paar Altkommunisten weiter auf den vorhergesagten Untergang des Kapitalismus warten wie die Zeugen Jehovas auf das jüngste Gericht, sich über alles reale Engagement mit Haupt- und Nebenwiderspruch­gebrabbel erheben und sich über die kleine Frischzellenkur freuen, die ­ihnen Didier Eribons vermeintliche Entdeckung eines vernachlässigten ­Proletariats verschafft hat, versucht sich der Großteil der Szene hauptsächlich an einem richtigen Leben im falschen. Globale Perspektiven finden sich nur fragmentarisch, zumeist definiert man sich über Einzelthemen, von denen ­einige gesellschaftliche Relevanz haben, andere zu bizarren Heilsideen werden. Positiv wären unter anderem zu nennen: Flüchtlingshilfe, Antifaschismus oder der Einsatz für sexuelle Freiheitsrechte. Negativ: der inzwischen in dritter ­Generation weitgehend folgenlose Versuch einer Umerziehung über Sprache, Veganismuswahn, Tierrechtsgedöns und so weiter.

Viele der in ideologischer Kleinstkäfighaltung ersonnenen Projekte wurden und werden durch die verschiedenen Merkel-Regierungen seit 2005 unter liberalen Vorzeichen absorbiert, weil sie ent­weder letztlich niemandem wehtun oder sogar neue Geschäftsfelder ­erschließen.

Diese extrem grobe und – ja doch – polemische Charakterisierung der ­linken Szene hierzulande sollte ausreichen, um noch dem letzten CSU-Hinterbänkler deutlich zu machen, dass von ihr in absehbarer Zeit keinerlei Gefahr ausgehen wird. Im Gegenteil: Viele der in ideologischer Kleinstkäfighaltung ersonnenen Projekte wurden und werden durch die verschiedenen Merkel-Regierungen seit 2005 unter liberalen Vorzeichen absorbiert, weil sie ent­weder letztlich niemandem wehtun oder sogar neue Geschäftsfelder ­erschließen. Die Ehe für alle ist da, der Veganismus hat einen neuen Wachstumsmarkt in der Lebensmittelproduktion begründet und das Binnen-I hat selbst in Unternehmenspublikationen Einzug gehalten, ohne deren patriarchale Struktur zu verändern. Auch das ökologisch tönende Engagement gegen den motorisierten Individualverkehr wird wohl nicht etwa zu günsti­geren Bahnpreisen führen, sondern zu einer Abwrackprämie für Dieselautos und einer die Konjunktur anheizenden Massenproduktion von E-Mobilen mit nicht unbedingt besserer CO2-Bilanz, die dann auch bald wieder subventioniert abgewrackt werden.

Dass dieses Konzept der passgenauen Transformation ursprünglich linker Ansätze in neue Wirtschaftsstrategien (eigentlich mal Kernkompetenz der Grünen) von der großen Koalition unter Merkel so reibungslos praktiziert wird, macht klar, dass die Abgrenzung nach links keine grundsätzliche ist. Wo linke Themen als wirtschaftlicher Innovationspool dienen oder neue Konsumbedürfnisse schaffen, stehen sie außerhalb jeder Kritik. Und wo sich die Linke antikapitalistisch gebärdet, ist sie weit­gehend ungefährlich, auch wenn sie zuletzt beim G20-Gipfel dankens­werterweise noch mal jene Gewaltbilder produzierte, die man brauchte, um den Kampf gegen Linksextremismus zurück auf die Tagesordnung zu setzen. Eigentliches Ziel der Attacken ist allerdings wohl ein anderes linkes Projekt: die Antifa.

Noch vor kurzem war die Parteienlandschaft bis hinein in gemäßigte CDU-Kreise klammheimlich froh über das antifaschistische Agieren der Linken. Immerhin schaden die Bilder von brennenden Flüchtlingsunterkünften oder Naziaufmärschen dem »Ansehen Deutschlands in der Welt« und damit potentiell auch der deutschen Wirtschaft. Zudem brauchte es kaum staatliche Gelder, um dieses Engagement zu fördern – die Antifa war günstig und erzeugte mit ihrer Bereitschaft, breite zivilgesellschaftliche Bündnisse aufzubauen, zuverlässig positive Imagekampagnen für eine vorgeblich weltoffene Republik.

 

Polternde Provinzrassisten markieren einen Trend

Wenn nun trotzdem die Trommel gegen Linke gerührt wird, ist das einzig dem absehbaren Erfolg der AfD bei der Bundestagswahl geschuldet. Nicht weil man denkt, dass man diesen Erfolg noch verhindern könnte, sondern weil damit zum ersten Mal seit den Grünen eine langsam angewachsene »Volksbewegung« tatsächlich ins Ziel kommt. Und wenn es nicht gegen sie geht, muss es eben mit ihnen gehen. Zwar wird eine Annäherung unter einer Kanzlerin Merkel kaum möglich sein, doch das weitere Verfahren ist vor­gezeichnet: Lässt sich das Problem AfD nicht aussitzen, werden deren Ideen und Motive von allen Parteien partiell integriert, um entweder die AfD früher oder später obsolet zu machen oder sie – wie seinerzeit die Grünen – dahingehend zu domestizieren, dass sie ihre Kernanliegen in eine konjunkturell nützliche Form übersetzt – sofern das denn möglich ist.

Dieser Prozess einer Rehabilitierung nationalistischer Perspektiven hat längst begonnen und nicht einmal vor der Linkspartei haltgemacht, die sich mit der Berufung der nationaltümelnden Sahra Wagenknecht zur Spitzenkandidatin ein passendes Hintertürchen öffnete. Obwohl weder bei der Linken noch bei den Grünen (die für so etwas ihren Boris Palmer haben) davon auszugehen ist, dass die vielfache Vernetzung ihrer Basis mit der Antifa ohne Identitätskrise zu lösen wäre, hat auch bei ihnen die Vorstellung verfangen, die AfD verträte nicht nur die Prozentzahl an Menschen, von denen sie am Ende gewählt wird, sondern eine »schweigende Mehrheit«, also »das Volk«.

So erklärt sich, dass das seit zwölf Jahren schwelende Schimärenprojekt Rot-Rot-Grün noch vor dem eigentlichen Wahlkampf stillschweigend beerdigt wurde und dass sich nun niemand findet, um das dumpfe Gekeile nach links vor dem sicheren Einzug von Rechts­extremen in den Bundestag wenigstens zu skandalisieren. Im Gegenteil: Polternde Provinzrassisten haben einen Trend markiert, die Medien haben ihn bis hinein ins sogenannte Kanzlerduell sensationsgeil gepusht, und nun besinnen sich alle zu Recht so betitelten Volksparteien auf ihren jeweiligen rechten Rand. Bei diesem Trend perspektivisch mithalten zu können, ist ihnen unterm Strich wichtiger als direkte Machtoptionen. Schließlich ist man gekommen, um zu bleiben – auf den ­Sesseln des Bundestags, ganz egal, wohin die Reise geht.

Letztlich ist es also nur eine Frage parteipolitischer Nachhaltigkeit, liebe Linke. Gar nicht böse gemeint.