Beim Parteitag der britischen Labour-Partei gibt sich Jeremy Corbyn selbstsicher

Im Schatten des magischen Geldbaums

Auf dem Parteitag der britischen Labour-Partei zeigte sich ihr Vorsitzender Jeremy Corbyn regierungsbereit. Diskutiert wurde neben Themen wie sozialer Gerechtigkeit und EU-Austritt auch der Umgang mit Antisemitismus in der Partei.

»Ich stimme der Idee, dass ›Holocaustleugner‹ als Kriminelle behandelt werden sollten, nicht zu«, sagte der israelisch-US-amerikanische Autor Miko Peled auf einer Veranstaltung zum Thema »Redefreiheit und Israel« während des diesjährigen Parteitags der Labour-Partei vergangene Woche in Brighton. Peled fügte hinzu, dass es »keine Grenzen für Diskussionen« geben und Redefreiheit für alles und jeden gelten solle. »Israel sollte nicht die Autorität haben, darüber zu entscheiden, wer ein Rassist oder Antisemit ist oder nicht.«

Peled ist kein Parteimitglied, war aber Teilnehmer einer Veranstaltung der Jewish Voice for Labour, einer Gruppe von Labour-Mitgliedern, die sich von dem schon länger etablierten Jewish Labour Movement in der Partei nicht repräsentiert fühlen. Das Jewish Labour Movement hatte auf dem Parteitag eine neue innerparteiliche Richtlinie zur Wahl stellen lassen, die strengere Regeln und Strafen für antisemitische Vorfälle in der Partei vorsieht. Diese neue Regelung, persönlich unterstützt vom Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn sowie vom nationalen Parteikomitee, wurde mit 96 Prozent der Stimmen angenommen.

Ken Loach behauptete, Corbyn sei nur deswegen Antisemitismus vorgeworfen worden, weil er ein langjähriger Unterstützer eines palästinensischen Staates sei.

Der Jewish Voice for Labour zufolge hätte die neue Richtlinie aber den Effekt, »Gedankenverbrechen« zu sanktionieren. In der Diskussion über ihre umstrittene Veranstaltung kamen weitere, auch ehemalige Parteimitglieder zu Wort, die sich in der Vergangenheit antisemitisch geäußert hatten. Der Vorsitzende der Gewerkschaft Unite, Len McCluskey, sagte, er persönlich sei nie Zeuge von Antisemitismus in der Partei gewesen.

Der Antisemitismusvorwurf sei daher nur »Gefühlsmusik« gewesen, die Corbyn schaden sollte. Der bekannter Filmregisseur Ken Loach, ein Anhänger Corbyns, stimmte dem zu: Corbyn sei nur deswegen Antisemitismus vorgeworfen worden, weil er ein langjähriger Unterstützer eines palästinensischen Staates sei. Loach stellte sich auf die Seite Peleds. »Ich glaube, Geschichte ist da, um von uns allen diskutiert zu werden.« Ein Beispiel hatte er schnell zur Hand: Die Gründung des Staates Israel, »basierend auf ethnischer Säuberung«, so Loach, sei dazu da, »um von uns allen diskutiert zu werden«. Man solle daher nicht versuchen, »dies durch falsche Anschuldigungen von Antisemitismus zu untergraben«.

Auch Ken Livingstone, dessen Parteimitgliedschaft nach antisemitischen Äußerungen suspendiert wurde, kommentierte die neue Debatte in einer Radiosendung. Das Ausmaß an Antisemitismus in der Partei werde völlig übertrieben: »Einige Leute haben beleidigende Aussagen getroffen; das heißt nicht, dass sie von Natur aus antisemitisch sind und Juden hassen.«

 

Die Labour-Partei steht geschlossen hinter Corbyn

Corbyn betonte, Antisemitismus habe in der Labour-Partei keinen Platz. Das Jewish Labour Movement machte deutlich, dass es vollkommen in Ordnung sei, Kritik an der israelischen Regierung und illegalen Siedlungen zu üben, dass es aber notwendig sei, Diskriminierung von ethnischen Minderheiten in der Partei zu kontrollieren. Leah Levane dagegen betonte, das Jewish Labour Movement spreche nicht für alle Juden in der Partei. Sie ist Abgeordnete für den Bezirk Hastings and Rye und ihre lokale Parteigruppe schlug eine alternative Änderung vor, die Antizionismus als legitimen politischen Diskurs darstellt, der nicht als Beweis von Judenhass gesehen werden sollte. Sie zog diesen Vorschlag allerdings zurück, um »nicht als Spalterin gesehen zu werden«.

Die Antisemitismuskontroverse überschattete den Parteitag, der ansonsten eine Feier der Erfolge der vergangenen Monaten war, allerdings nur für kurze Zeit. Während es auf dem Parteitag im vergangenen Jahr fast zu einer Spaltung gekommen war, da viele Mitglieder nicht mit ihrem neuen Vorsitzenden Corbyn einverstanden waren, steht die Partei nun wesentlich geschlossener hinter ihm. Corbyns Parteitagsansprache fand nicht nur Zuspruch unter seinen Genossinnen und Genossen, sondern wurde auch in der Zeitung Guardian als »seine bisher beste« gelobt.

Hauptthema in seiner Ansprache war der Einsatz für mehr soziale Gerechtigkeit. Er versprach die Einführung von Mietkontrollen, die Abschaffung von Studiengebühren, die Verstaatlichung von öffentlichen Versorgungsunternehmen sowie die Anhebung des Steuersatzes für große Unternehmen und Menschen mit Großvermögen unter einer Labour-Regierung. Mit all diesen Punkten trifft Corbyn den Nerv der jungen Generation.

Corbyns Vorstellung von Sozialismus ist von Hugo Chavez Venezuela geprägt. Das wurde auch während des Parteitags deutlich. Nicht nur nahmen Vertreter der venezolanischen Regierung an der Konferenz teil, Corbyn weigerte sich auch, den venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro wegen seines autoritären Führungsstils zu verurteilen.
In Hinblick auf den britischen EU-Ausstieg beschreibt Corbyn seine Partei als diejenige, die den Willen der Bevölkerung vollstrecken werde, aber auf eine sozial gerechte Weise, die Großbritannien zugleich wirtschaftlich zugute komme. Das Land soll in einer Übergangsphase Teil des Binnenmarktes und der Zollunion bleiben.

In seiner Rede stellte Corbyn seine Partei als regierungsbereit dar und hob die Unzulänglichkeiten der Konservativen Partei hervor. Diese sei nur deshalb noch an der Regierung, weil sie finanziell unterstützt werde. »Die Tories haben aber eine Sache, die wir nicht haben«, so Corbyn, »sie haben den magischen Geldbaum gefunden, der nötig ist, damit Theresa May weiter regieren kann.« Was oder wer genau dieser Baum sein soll, blieb unklar. Labour bestimme hingegen seit der Wahl die politische Tagesordnung und entscheide die Diskussionen über die Zukunft des Landes für sich, so der Labour-Vorsitzende. Ziel sei es nun, die »konservative Geldmaschine« zu übertrumpfen. Den konservativen Medien gegenüber, denen von ihren »Steuerparadiesbesitzern« befohlen werde, Labour schlecht zu machen, zeigte er sich kampfbereit.
Insgesamt wurde deutlich, dass Corbyn sich wesentlich sicherer fühlt, nicht nur in seinem Amt als Parteivorsitzender, sondern auch als Herausforderer der regierenden Konservativen.