Doron Rabinovici, Schriftsteller und Historiker, im Gespräch über die Lage der Juden in Österreich, Antisemitismus und den Umgang mit der FPÖ

»Die FPÖler sind die Nachfolger der Vorgänger der Nazis«

Interview Von

Angesichts der bevorstehenden Nationalratswahl zeichnet sich eine ­Regierungsbeteiligung der FPÖ ab. Warum?
Das ist seit Jahrzehnten vorstellbar, weil es eine rechnerische Mehrheit für Schwarz-Blau gibt. Seit 1995 hat die Volkspartei (ÖVP) die Möglichkeit offen gelassen, mit der FPÖ zu koalieren. Die SPÖ lehnte seit 1986 eine Koalition mit der Haider-FPÖ ab. Seit dem Aufstieg des rechtsextremen Populismus, den wir in ganz Europa erleben, war die ­Sozialdemokratie nicht bereit, mit den Freiheitlichen zu koalieren.

2015 hat in der ÖVP eine Gruppe um Sebastian Kurz begonnen, Positionen des rechtsextremen Populismus zu übernehmen. Programmatisch geht sie noch vor der Wahl eine Koalition mit der FPÖ ein. Beide Parteien versuchen, einander im Rassismus zu überholen; trotzdem ist der Unterschied zwischen ihnen analytisch wichtig. Die FPÖ ist populistisch, um ihren Rechtsextremismus zu kaschieren. Die ÖVP ist populistisch, um Wähler zu angeln, die durch Koketterie mit dem Ressentiment ­gewinnbar sind. Was sich geändert hat, ist, dass seit 2015 auch die SPÖ nicht mehr klar gegen die FPÖ steht.

M05#41

Der jüdische Wiener Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici war 2000 maßgeblich an den Protesten gegen die erste schwarz-blaue Koalition beteiligt. Im August erschien sein Roman »Die Außerirdischen«.

Bild:
Von Dontworry, CC BY-SA 3.0

Was ändert eine FPÖ-Regierung für die Juden?
Im Jahr 2000 hat sie nicht viel für die Juden verändert. Was sich ändern wird, sind die Wahrhaftigkeit, mit der man Vergangenheitsfragen angeht, und die Liberalität dieses Landes. Aber das muss nicht unbedingt jeder einzelne jüdische Mensch spüren.

Wie sind die Positionen in jüdischen Kreisen zur FPÖ?
Die Position der Freiheitlichen selbst ist sehr klar. Sie verwenden die Ablehnung des Antisemitismus nur zur Legitimation des antimuslimischen Rassismus. Im Zentrum der FPÖ stehen Burschenschaften, in die kann ein »Nicht-Teutscher« nicht hinein, egal ob türkisch, japanisch oder jüdisch.

Damit machen sie in der deutschnationalen Tradition weiter, als ob es den Nationalsozialismus nie gegeben hätte, sie sind Nachfolger der Vorgänger der Nazis. Der FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache hat vor nicht allzu langer Zeit eine Karikatur gepostet, die an jene aus dem Stürmer erinnert.

In einem früheren Wahlkampf war die FPÖ nicht nur ­gegen den EU-Beitritt der Türkei, es gab auch ein Plakat gegen den EU-Beitritt Israels, obwohl der überhaupt nicht verhandelt wurde. Sie haben das Res­sentiment gegen die Juden immer im Repertoire, aber sie passen auf, es zurzeit nicht zu sehr zu bedienen, weil sie gegen den muslimischen Antisemitismus zu Felde ziehen – der ja durchaus ein Problem ist.

»Im Zentrum der FPÖ stehen Burschenschaften, in die kann ein ›Nicht-Teutscher‹ nicht hinein, egal ob türkisch, japanisch oder jüdisch.«

Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) steht bisher recht klar gegen die FPÖ. Im ersten Durchgang der Bundespräsidentenwahl 2016 und in der Stichwahl zwischen Norbert Hofer (FPÖ) und Alexander Van der Bellen (ehemals Die Grünen) war die Situation teilweise nicht geklärt, vor allem in den orthodoxeren, neu zugewanderten Kongre­gationen. Das hat sich aber schnell geändert. Nun haben sich viele Juden ­bereits damit abgefunden, dass die FPÖ an der nächsten Regierung beteiligt sein wird.

Ich persönlich halte Rot-Blau für schlimmer als Schwarz-Blau, denn bei Schwarz-Blau gäbe es eine sozialdemokratische Op­position gegen den rechtsextremen Populismus. Bei aller Kritik an der Sozi­aldemokratie, aber man kann die ÖVP nicht mit der CDU vergleichen. Sie wäre keine Opposition in diesem Sinne.

Kürzlich gab es einen Skandal um zwei Facebook-Seiten. Die eine schien aufgrund rassistischer und antisemitischer Inhalte aus dem FPÖ-Umfeld gegen den ÖVP-Kandidaten Sebastian Kurz betrieben zu werden, die andere von rechten ÖVP-Anhängern für ihn. Tatsächlich wurden sie aber vom ehemaligen SPÖ-Berater Tal Silberstein betrieben, in dessen Team auch ein ehemaliger Berater der ÖVP war. Silberstein wurde Mitte August wegen anderer Vorwürfe in Israel verhaftet, die SPÖ hat sich von ihm getrennt. Nun wird ihr eine Schmutzkampagne vorgeworfen, über tatsächliche Hintergründe ist jedoch wenig bekannt. Wie ordnen Sie das ein?
Das ist ein Sinn- und Sittenbild Österreichs. Wir wissen nicht woher und ­wohin, jede Seite glaubt von der anderen, dass sie es gewesen sei. Keiner ­recherchiert, aber alle sind empört. Es ist dieses Hintenherum. Vor allen Fragen zu diesem Fall fällt mir ein Adorno-Zitat ein: »Antisemitismus ist das ­Gerücht über die Juden«, mit Tal Silberstein in der Rolle des Juden.

Seit einigen Jahren versucht ein Teil der FPÖ, sich proisraelischzu positionieren. Wie reagieren Juden in ­Österreich darauf?
Die IKG hat den Besuch einer inoffiziellen Delegation aus Israel bei der FPÖ kritisiert und ein Treffen verweigert. Aber die Interessen des souveränen Staates Israel sind vielleicht tatsächlich etwas andere als die der jüdischen ­Diaspora. Rafael Eitan, einer der Gäste der FPÖ, war beim Geheimdienst und musste mit viel schlimmeren Verbrechern als rechtsextremen Populisten Kontakt aufnehmen. Solche Dinge sind Nebenwirkungen der Vor­teile eines ­jüdischen Staates für Juden. Es gab auch in Budapest eine gewisse Entfremdung zwischen Benjamin Netanyahu und den ungarisch-jüdischen Gemeinden, als sich der israelische Ministerpräsident kürzlich mit Victor Orbán so gut verstanden hat.
Die Strategie der FPÖ jedenfalls, sich so von ihrer Vergangenheit reinzu­waschen, funktioniert bisher nicht. Zudem gibt es in der FPÖ einen Streit über diese Israel-Strategie, den man ­daran erkennt, dass Strache in Yad Vashem statt einer Kippa die Mütze seiner ­Burschenschaft trug. Das war damals ein Zeichen an die Deutschnationalen, aber es wurde auch von den Juden verstanden.

Die Zahl der antisemitischen Vor­fälle in Österreich steigt, Sicherheits­vorkehrungen bei jüdischen Institutionen sind hoch. Wie sieht die ­Gefahr aus, gegen die man sich da schützt?
Wir können nicht so tun, als ob diese ­Sicherheitsvorkehrungen erst seit 2010 oder 2015 notwendig wären, ich ging schon als Kind an Sicherheitsleuten vorbei. Der Rest der Gesellschaft wundert sich seit ein paar Jahren, aber wir Juden sind damit aufgewachsen. Ich möchte das nicht herunterspielen, die Situation hat sich verschärft. Es gibt muslimischen Antisemitismus, auch in Communitys der Migration. Man hört, wie sich muslimische Jugendliche als yahud beschimpfen, das gab es früher nicht.

Gibt es im Programm der Rechten auch Positives?
Nein. Zum Beispiel: Was soll es bringen, unterschiedslos islamische Kindergärten zu schließen? Das, glaube ich, lässt auch sensiblere jüdische Menschen, die nicht links sind, hellhörig werden. Wer sagt, wenn heute islamische Kindergärten geschlossen werden, dass morgen nicht die orthodoxeren jüdischen dran sind? Ähnliches gilt für die Debatte um das Schächten, die Beschneidung oder das Kopftuch. Für so etwas gibt es bei uns ein Gespür.

Ist unter den Juden Angst zu spüren?
Es gibt sowohl Ängste vor Veränderungen durch die Wahl, vor dem Antisemitismus der Mehrheitsgesellschaft, als auch Ängste vor den Flüchtlingen aus muslimischen Ländern. Die Traumata, die die verschiedenen jüdischen Gruppen bewegen, sind dieselben.

Die Frage ist, wie wir mit diesen Ängsten umgehen, ob man deswegen in Pauschalisierung verfällt. In der ­Gemeinde gibt es etwa die Gruppe »Shalom Aleikum«. Das sind Menschen, die bisher nicht sehr politisch waren. Sie setzen sich dafür ein, dass Flüchtlinge so behandelt werden, wie sie gewollt hätten, dass ihre Vorfahren auf der Flucht behandelt worden wären. Sie sind nicht naiv, sie wissen, dass auch unter Flüchtlingen Vorurteile gegen sie, gegen Frauen vorherrschen, aber das heißt nicht, dass sie den Ängsten nachgeben. Sie treten den Menschen je einzeln als Menschen gegenüber. Das ist ein positives Zeichen. Wenn jemand sich ein Bein bricht, dann muss ich ihn schienen und frage nicht vorher, wie er zu Homosexualität oder Juden steht, sondern helfe, wenn ich kann. Wenn ich dann darauf komme, dass er politisch fragwürdig ist, dann kann ich mit ihm noch immer darüber verhandeln. Integration bedeutet nicht nur ein Dach über dem Kopf. Sie bedeutet auch politische Auseinandersetzung.