Nedjib Sidi Moussa: »La fabrique du musulman«

Wie Muslime gemacht werden

Ein französischer Essay kritisiert die Konfessionalisierung der sozialen Frage.

Bereits das Cover des Buchs ist programmatisch. Es zeigt das Piktogramm eines Menschen, der sich von den Wurzeln löst, die ihn am Boden festhalten. Der Titel des im Verlag Éditions Libertalia in Paris erschienen Essays von Nedjib Sidi Moussa lautet »La fabrique du musulman«, was man am besten mit »Die Muslimfabrik« übersetzen kann. Es ist ein »Essay über die Konfessionalisierung und Rassifizierung der sozialen Frage«. Der 1982 in Valenciennes geborene Politologe stammt aus einer algerischen Familie, die, wie er schreibt, »aus Unabhängigkeitskämpfern ohne Unabhängigkeit« besteht und »aus von ihrer Revolution enttäuschten Revolutionären«. »Wurzeln« sind in seinen Augen nunmal keine politischen Kate­gorien, sondern Konstrukte, die die Individuen von der Emanzipation abhalten, seien sie solche der Herkunft, der Religion oder einer fetischisierten postkolonialen Identität.

Wie kommt es, so die Ausgangsfrage des Autors, dass in der öffentlichen Debatte die spektakuläre Figur des »Muslims« die des Arabers und des migrantischen Arbeiters ersetzt hat? Das liege, so die Schlüsselthese des Essays, an der »Auflösung der alten Arbeiterbewegung«, dem »Zusammenbruch der Institutionen, die ganze Generationen von Arbeitern – jeder Herkunft und Konfession – angeleitet haben«. Begleitet wurde diese Entwicklung von einer wachsenden Anzahl auch linker Zeitgenossen, die stets »den konfusesten oder reaktionärsten Thesen« besondere Beachtung geschenkt hätten. Die »Verbreitung religiösen, sektiererischen, identitären oder verschwörungs­ideologischen Geredes« habe allerdings nur Elend produziert und von Anfang an dazu beigetragen, »den Klassenkampf immer mehr zu verteufeln«.

Auf 147 Seiten beschreibt der Autor, wie seit ungefähr 15 Jahren konfuse und reaktionäre Thesen in Teilen der radikalen Linken aufgegriffen wurden. Dabei besitze doch gerade die Linke die Fähigkeit, »Debatten eine Zielrichtung zu geben« und »Zusammenschlüsse zu fördern«, um »den Kampf aller gegen alle auf ethnokulturellen Grundlagen zu verhindern«.

Brillant ist der Zustand der französischen Linken wahrlich nicht. In libertären, antifaschistischen und antirassistischen Milieus wird die Religionskritik unter dem Banner des Kampfs gegen die sogenannte Islamophobie immer stärker aufgegeben und lieber dem Obskurantismus gefrönt. Bündnisse mit Islamisten sind keine Seltenheit mehr. Ein wahres Highlight in dieser Hinsicht war die Kundgebung gegen »Islamophobie« nach dem Massaker in der Redaktion von Charlie Hebdo, auf der ein großes Transparent mit der Aufschrift »Touche pas à mon prophète« (Fass meinen Propheten nicht an) präsentiert wurde. In solch prophetophilen Anwandlungen erschöpft sich die Verwirrung keineswegs. In linken Milieus wird plötzlich über »Rassen« geredet, was bislang den Rechtsextremen vorbehalten war. An Universitäten finden Versammlungen statt, aus denen »Weiße« ausgeschlossen sind. Dies geschieht im Namen einer obskuren non-mixité, die einer reaktionären Rassenkunde zu entstammen scheint, während in »postkolonialen«, pardon, mittlerweile »dekolonialen« Zusammenhängen gegen »Mischehen« polemisiert wird.

Sein besonderes Augenmerk richtet der Autor auf die Netzwerke und Organisationen pseudo­linker Provenienz, die solche reaktionären Ideologien ausarbeiten und verbreiten. In Frankreich ist dies vor allem die Partei der Indigenen der Republik (PIR) mit ihrer medial präsenten Sprecherin Houria Bouteldja. Es ist ein kleiner, aber laut­starker Verein, dessen steile Thesen in linken Zeitschriften, Verlagen und Organisationen ein positives Echo finden. Das Ziel dieser vorwiegend aus Akademikern bestehenden Gruppe, eine politische Kampfansage an die Linke, formulierte Bouteldja in einem Interview mit der Zeitschrift Vacarme im April vergangenen Jahres mit bemerkenswerter Offenheit: »Die Themen, die wir anschneiden, spalten die Linke, was eines unserer Ziele ist: das politische Feld neu zusammenzusetzen, ausgehend von der Rassen- und der antiimperialistischen Frage.«
Wobei die kongeniale Vermischung von »Rasse«, Dekolonialismus und Antiimperialismus ­Sadri Khiari vom PIR zufolge ein »weltweites politisches Feld« strukturiert, rund um »den Zusammenstoß zwischen der weißen Macht und der indigenen politischen Kraft«.

Angesichts dieser ideologischen Verwirrung beharrt der Autor darauf, das Ziel seines Essays sei es, »die Emanzipation aller Ausgebeuteten zu ­unterstützen«. Die revolutionäre Theorie sei weniger neu zu erfinden als vielmehr wiederaufzu­finden, indem man sich beispielsweise auf Avantgardegruppen aus einem Jahrhundert bezieht, in dem nicht alles zu verwerfen war; etwa »Socialisme ou Barbarie«, »Noir et Rouge« oder die Situationistische Internationale.

 

Nedjib Sidi Moussa: La fabrique du musulman. Éditions Libertalia, Paris 2017, 147 Seiten