Deutsche Linke solidarisieren sich mit den katalanischen Separatisten

Nicht mein Katalonien

Die katalanischen Nationalisten haben es geschafft, den Fokus von sozialen Fragen zur nationalen Befreiung zu verschieben.

Kämpfen die Katalanen für die Räterepublik, für die Enteignung von Kapital und Großgrundbesitz? Nein, sondern bloß für einen stinknormalen Staat mit Armee, Polizei und Geheimdienst, aber unter eigener Flagge. Sie betteln um die Aufnahme in NATO und EU und der linke Flügel der Querfront, die Candidatura d’Unitat Popular (CUP), peilt schon ein Groß-Katalonien an, eine »nationale und soziale Befreiung« aller »katalanischen Länder«. Gemeint sind die Region Valencia, die balearischen Inseln sowie Gebiete in Südfrankreich. Manche wollen sogar eine Ecke von Sardinien heimholen, weil die Insel einst zum Königreich von Aragon gehörte.

Eine Linke, die in Katalonien wahrnehmbar gegen den Separatismus protestiert, existiert nicht. Im Regionalparlament enthielten sich Podemos und Izquierda Unida bei der Abstimmung über das Referendum. Die Fraktionen der Linken wie der Grünen im Europaparlament unterstützen die Separatisten, indem sie die Schuld an der Eskalation ausschließlich der spanischen Regierung zuschieben und das Recht auf Selbstbestimmung betonen. Unterstützung kommt von diversen Publikationen der deutschen Linken. Die Interventionistische Linke (IL) beklagte zum Einheitsfeiertag am 3. Oktober auf ihrer Website die »scheinbare Einheit« Deutschlands und verklärte die nationale Geschlossenheit der Katalanen als »gelebten Municipalismus«.

Befürworter der Sezession bemühen ethnokulturellen Kitsch, Wohlstands­chauvinismus, Geschichtsklitterung und Verschwörungstheorie: Die Katalanen seien eine eigene Nation mit eigener Sprache, Kultur, Tradition und Geschichte, die mehr als 1 000 Jahre zurückreiche. Sie hätten einen weltoffenen Volkscharakter, modern und friedlich, deshalb haben sie den Stierkampf abgeschafft und formieren lieber Menschentürme. Selbst ihre Bourgeoisie sei geradezu libertär.

Als Bewegung des Bürgertums hat der katalanische Nationalismus aber schon immer auf den spanischen Binnenmarkt und den Repressionsapparat gesetzt. 1923 unterstützte die katalanische Bourgeoisie die Diktatur Primo de Riveras, 1931 attackierte die erste Autonomieregierung Anarchisten und Kommunisten gleichermaßen. 1937 zerschlugen die in Barcelona regierenden Linksrepublikaner (ERC), die heute wieder führend sind, im Bündnis mit Stalinisten und Sozialdemokraten die soziale Revolution, für die Anarchosyndikalisten und dissidente Marxisten kämpften. Zwei Jahre später rückten die Franco-Truppen ein. Die siegreichen Faschisten ermordeten in ganz Spanien etwa 150 000 Menschen, viele wurden in Lagern eingesperrt und gefoltert. Wer das gegenwärtige Vorgehen der Guardia Civil damit gleichsetzt, verharmlost den Faschismus.

Die Katalanen seien bessere Unternehmer, sie verstünden mehr von Wirtschaft, seien strebsam, sparsam und diszipliniert, weshalb sie Thomas Urban in der Süddeutschen Zeitung als »Schwaben« (6. Oktober) und Rainer Hank in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als »Preußen« Spaniens (8. Oktober) bezeichneten. Folgt man Raul Zelik, könnte man meinen, Zentralspanier seien hingegen keine guten Kapitalisten, die Profite ordentlich durch Ausbeutung von Lohnarbeit erwirtschaften. Auf seinem Blog schreibt er am 10. Oktober: „Das ökonomische Modell der zentralspanischen Eliten war immer extraktiv (und nicht produktiv) ausgerichtet: Es beruhte auf der Ausbeutung von Kolonien, auf Großgrundbesitz und zuletzt auf Immobilienspekulation. Akkumulation durch Landnahme würden Marxisten sagen.“

Nach Angaben des Statistischen Amtes der Europäischen Union stand Katalonien, was die Wertschöpfung pro Kopf betrifft, im Jahr 2015 unter den spanischen Regionen erst an vierter Stelle, hinter Madrid, Navarra und dem Baskenland. Das katalanische Kapital ist stark exportorientiert. Die wichtigsten Zweige sind Chemie, Pharmazie, Autobau und Tourismus, nicht gerade Musterbeispiele ökologischer Nachhaltigkeit. In Katalonien wie in ganz Spanien ist die Erwerbslosigkeit hoch, Deregulierung und Prekarisierung sind weit fortgeschritten und die katalanischen Polizisten, die Mossos, verteilt keine Rosen, wenn sie in Barcelona Menschen aus ihren Wohnungen räumen. Kata­lonien ist obendrein die am höchsten verschuldete Region Spaniens.

Katalanische Nationalisten gerieren sich als Kämpfer gegen eine unnachgiebige imperiale Macht. So behauptet die Abgeordnete Carme Porta (ERC), Spanien verweigere seit zehn Jahren den Dialog – Zelik erhöht auf 20 Jahre, der Schriftsteller Albert Sánchez Piñol klagt, die Katalanen würden vom Zentralstaat unterdrückt, alle ihre Vorschläge und Bitten blieben stets unerhört. Das sind Hirngespinste.

Bereits in den sechziger Jahren ließ die Repression des franquistischen ­Regimes gegen katalanische Nationalisten nach. Die Bourgeoisie durfte sich organisieren, etwa im Cercle d’Econo­mia, während streikende Arbeiter bis zum letzten Atemzug Francos Knast, Folter und Mord riskierten. Faschisten wie Manuel Fraga Iribarne, späterer Gründer und Vorsitzende der Alianza Popular, dem Vorgänger des Partido Popular (PP), verhandelten mit Jordi Pujol, einem katalanischen Banker und Katholiken, über die Zukunft. Pujol ­regierte mit seiner Partei (CDC), einer Art CSU, die Region von 1980 bis 2003. Auch während seiner Amtszeit gab es Korruptionsaffären. Die »13 FAQs zu Katalonien, Republik und Unabhängigkeit« auf Zeliks Blog hinterlassen hingegen den Eindruck, Korruption, wie das dort behauptete Verteilen von Steuereinnahmen aus Katalonien »nach Gutdünken unter Geschäftspartnern«, sei ein ausschließlich kastilisches Laster.
Die spanische Verfassung von 1978 lässt Zelik nicht gelten; sie sei entstanden, als das Land noch eine faschistische Diktatur war. Dabei haben Vertreter der Kommunistischen Partei und der katalanischen Nationalisten daran mitgearbeitet. In Barcelona war die autonome Regierung, die Generalidad, bereits wiedererstanden, Sozialisten und Kommunisten waren an ihr beteiligt. Richtig ist, dass es einen Kompromiss mit Faschisten und dem Militär gab, keiner verlor seine Stellung, niemand wurde für Verbrechen bestraft. Aber die Verfassung, die die Bevölkerung per Referendum annahm, ist liberal und legt einen föderalen Aufbau fest. Spanien wurde in 17 Autonome Gemeinschaften gegliedert, die seitdem ihre Kompetenzen und Finanzmittel ­stetig ausweiten. Dabei nutzten die katalanischen Nationalisten den Umstand, dass die großen gesamtspanischen Parteien, PSOE und PP, öfter keine Mehrheit bekamen und im Parlament in Madrid auf ihre Stimmen angewiesen waren. Dieses Erpressungspoten­tial ist durch das Aufkommen von Podemos und Ciudadanos geschwunden.

1996 handelte der jetzt als besonders reaktionär und kompromisslos geschmähte PP eine Steuerreform mit Pujol aus, fünf Jahre später gewährte der PP einen Nachschlag. Dass der Ausgleichsfonds für ärmere Regionen verkleinert wurde, war den Katalanen egal. Ihr Lamento, man füttere als Nettozahler die ärmeren Regionen durch, erinnert an slowenische und kroatische Nationalisten, an Flamen und die Lega Nord oder das Getöse der bayerischen CSU gegen den Länderfinanzausgleich. Bei der Reform des Autonomiestatuts von 2006 verliefen die Fronten nicht zwischen Zentrale und Region, sondern kreuz und quer zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien in den Parlamenten von Madrid und Barcelona. Am Ende scheiterte die Reform am Verfassungsgericht, das einer Klage der PP folgte. Zentraler Streitpunkt war das Geld. Die katalanische Seite forderte die Steuerhoheit und damit mehr Geld. Dazu sollten der Begriff Nation und das Recht auf Selbstbestimmung im Statut festgeschrieben werden. Damit hätte man eine Abspaltung legitimieren können. Außerdem wollte die Regionalregierung die Zweisprachigkeit zur Pflicht für alle erheben. Die katalanischen Nationalisten werden nie zufrieden sein, denn sie wollen keine bessere föderale Struktur, sondern die Unabhängigkeit. Insofern ist die Konfrontation, die sie verschuldet haben, unvermeidlich, aber ihre Folgen sind unabsehbar. Anders als im übrigen Europa hatten rechtspopulistische und neofaschistische Bewegungen in Spanien bislang keine Chance. Wiewohl es Rassismus und Attacken auf Migranten und Minderheiten gibt, tobt keine Pegida durch die Straßen, bei Wahlen verlieren Faschisten regelmäßig haushoch. Soziale Konflikte wurden als solche ausgetragen, mit Generalstreiks oder den Besetzungen der Indignados. Podemos leitete bereits Druck ab, weg von selbstorganisierten Kämpfen zum Parlamentsbetrieb. Die katalanischen Nationalisten haben es geschafft, den Fokus zu verschieben, von sozialen Fragen zur nationalen Befreiung.

Katalonien betört auch hierzulande einen Teil der Linken, der im identitären Sumpf steckt, sich nach der Volksgemeinschaft sehnt und keine Lehren daraus gezogen hat, dass nationale Befreiungsbewegungen, selbst solche mit sozialistischem Anspruch, zu Diktaturen führten, die um einen Platz in der kapitalistischen Weltordnung kämpfen. Vergessen ist die Mahnung Rosa Luxemburgs, die Zerschlagung bestehender Staaten in nationale Einheiten und Kleinstaaten sei reaktionär und führe nicht in eine staaten- und klassenlose Zukunft.