Die Ausstellung »Denken in Extremen« in der Berliner Akademie der Künste widmet sich Brecht und Benjamin

Sie wollen nur spielen

Die Akademie der Künste in Berlin zeigt unter dem Titel »Denken in Extremen« eine Ausstellung über Walter Benjamin und Bertolt Brecht.

Der Schachautomat funktioniere leider zurzeit nicht, lautete die Auskunft bei der Eröffnung der Ausstellung »Benjamin und Brecht. Denken in Extremen«. Man könnte das durchaus als Symptom für den Zustand der Gegenwart nehmen. Der historische Materialismus hat schon länger keine Partie mehr gewonnen. Er ist nicht besiegt oder widerlegt, aber funktionsuntüchtig. Und der Kapitalismus hat nicht gewonnen, nur überlebt. Zu welchem Preis, kann man inzwischen tagtäglich sehen. Das Elend breitet sich aus, und das Staunen darüber, dass die Dinge, die wir erleben, im 21. Jahrhundert »noch« möglich sind, ist kein philosophisches, so wäre mit Walter Benjamin zu konstatieren.

Der Schachautomat ist in der Berliner Akademie der Künste zu sehen. Er simuliert eine Partie, die Walter Benjamin und Bertolt Brecht 1934 im dänischen Svendborg spielten und die in Teilen fotografisch dokumentiert wurde. Nach Aussage der Künstler Adam Broomberg und Oliver Chanarin stelle sich so »unausweichlich eine Melancholie ein, die den Betrachter wünschen lässt, er könne die Geschichte neu schreiben«. Mit dem Computerspiel erinnern die Künstler an den berühmten Schachautomaten des Baron von Kempelen, der sein Publikum mit der angeblich klugen Maschine an der Nase herumgeführt hatte: Im Inneren der Apparatur verbarg sich ein kleinwüchsiger Mensch, der die Partie spielte. Von Walter Benjamin wird Kempelens Mensch-Maschine in seinen Thesen zur Geschichte als Allegorie des Verhältnisses von Marxismus und Theologie herangezogen: »Gewinnen soll immer die Puppe, die man ›historischen Materialismus‹ nennt. Sie kann es ohne weiteres mit jedem aufnehmen, wenn sie die Theologie in ihren Dienst nimmt, die heute bekanntlich klein und hässlich ist und sich ohnehin nicht darf blicken lassen.«

Der Betrachter steht im zweiten Raum der Ausstellung »Benjamin und Brecht. Denken in Extremen«, in dem auch zeitgenössische Kunstwerke zum Thema präsentiert werden. Die Relevanz der dort präsentierten Werke ist recht unterschiedlich. Von Alexander Kluge gibt es ein paar Videos in bekannter Manier mit aktuellem Material vom G20-Gipfel in Hamburg und Bildern vom gleichzeitig stattfindenden Staatsakt »Alle Menschen werden Brüder« in der Elbphilharmonie. Frack und Abendkleid hier, bewaffnete Spezialeinheiten dort. »Steuerungsengel im Dickicht des 21. Jahrhunderts« nennt Kluge Benjamin und Brecht – und man hofft, dass wenigstens er weiß, was damit gemeint sein soll. Zoe Beloffs »Parade of the Old New« zeigt Donald und Ivanka Trump als Schweine mit Perücken. Der Bezug zum Thema der Ausstellung erschließt sich nicht auf Anhieb. Die Begründung liefert ein Text, der ­erklärt, es handele sich bei dieser Arbeit um »eingreifendes Denken« in der Tradition von Benjamin und Brecht.

Es ist mehr als fraglich, inwieweit solche künstlerischen Kommentare einer Ausstellung über Benjamin und Brecht dienlich sind. Das aber führt zur nächsten, noch schwerer zu beantwortenden Frage: inwieweit eine solche Ausstellung überhaupt in der Lage ist, sich den beiden und ihrem so deklarierten »Denken in Extremen« zu nähern. Im ersten Raum dokumentiert eine Texttafel die Chronologie der Freundschaft von Benjamin und Brecht, die sich 1924 kennenlernten und ab 1929 bis zum Tod Benjamins 1940 einen engen Austausch pflegten. »Die Freundschaft Benjamin–Brecht ist einzig­artig, weil in ihr der größte lebende deutsche Dichter mit dem bedeutendsten Kritiker der Zeit zusammenkam. Und es spricht für beide, dass sie dies wussten«, urteilte Hannah Arendt. Die Freundschaft der beiden Männer wurde aber auch kritisch beäugt; so ist von Theodor W. Adorno der Ausspruch überliefert, dass Benjamin unter dem Einfluss Brechts nur »dumme Dinge« treibe.

Auf die Nachricht vom Tod seines Freundes reagierte Brecht mit einem Gedicht. Sein Poem »Zum Freitod des Flüchtlings W. B.« schließt mit folgenden Zeilen: »So liegt die Zukunft in Finsternis, und die guten Kräfte / Sind schwach. All das sahst du / Als du den quälbaren Leib zerstörtest.« Für Benjamin selbst war seine von Adorno und auch Gershom Scholem nicht unbedingt freudig begrüßte Freundschaft mit Brecht eine spannungsvolle Erfahrung. Einige wenige Beziehungen ermöglichten ihm, so schreibt er an Gretel Karplus, einen seinem ursprünglichen Sein entgegengesetzten Pol zu behaupten, was immer den mehr oder minder heftigen Protest der ihm am nächsten Stehenden herausgefordert habe. Doch, so fährt er fort, in »solchem Falle kann ich wenig tun, als das Vertrauen meiner Freunde dafür erbitten, dass diese Bindungen, deren Gefahren auf der Hand liegen, ihre Fruchtbarkeit zu erkennen werden geben. Gerade dir ist es ja keineswegs undeutlich, dass mein Leben so gut wie mein Denken sich in extremen Positionen bewegt.«

Der zweite Raum der Ausstellung beherbergt neben den künstlerischen Arbeiten Exponate, die das Verhältnis von Benjamin und Brecht erhellen sollen. Gezeigt werden Brechts Schachbrett und eine handschriftliche Fassung von Benjamins Kunstwerk-Aufsatz, notiert auf Papier mit rotem Stern – wobei es sich um das Emblem des italienischen Mineralwasserproduzenten San Pellegrino handelt. Daneben sind Notizen zu dem 1930 / 31 geplanten, aber nie realisierten Zeitschriftenprojekt Krise und Kritik zu finden, außerdem restaurierte

Filmaufnahmen von Brechts Theaterstücken, die Benjamin mit regem Interesse und einigen Texten zum epischen Theater begleitete. Es geht um Marx, Freud, Stalin, Baudelaire, den Begriff der Aura, Fernöst­liches, das Vorhaben, »Heidegger zu zertrümmern«, und um vieles mehr. Doch es fehlt der Auseinandersetzung der Zusammenhang. Auf den Grund der historischen Erfahrung der beiden in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts Geborenen – Stichworte: Ende der bürgerlichen Epoche, Erster Weltkrieg, Revolution und Konterrevolution, Faschismus und Nationalsozialismus, Flucht und Exil – gelangt die Ausstellung nicht. Mit ihrem umfassenden Vermittlungs- und Begleitprogramm – szenische Führungen, Lesungen, Vorträge, Theater und Konzert, dazu eine ­Publikation bei Suhrkamp und eine Graphic Novel – bereitet sie vor allem der akademischen Benjamin- und Brecht-Forschung eine Öffentlichkeit: Die Kritische Gesamtaus­gabe Benjamins soll 2018 abgeschlossen sein; von Brecht erscheint demnächst ein weiterer Notizenband, für das kommende Jahr ist eine neue Brecht-Biographie angekündigt, für das Jahr darauf eine über Benjamin.

Als Unsterbliche in den Kanon der Kultur einzugehen, kann die subtilste Form des Abtötens des Gehalts sein, das wussten Benjamin und Brecht sehr gut. So stellt sich angesichts der Archivierung und Musealisierung auch die Frage, wie es sich gegenwärtig mit der schwachen messianischen Kraft verhält, an der die Vergangenheit Anteil hat, wie es in Benjamins »Über den Begriff der Geschichte« heißt. Und wie man die Überlieferung dem Konformismus entwindet, der sie zu überwältigen droht. Denn die Aufgabe, der Benjamin und Brecht verpflichtet waren, ist noch ungelöst.

 

»Benjamin und Brecht. Denken in Extremen«. Akademie der Künste, Berlin. Bis 28. Januar 2018