Ein Nachruf auf Silvia Bovenschen

Die Unzeitgemäße

Die Schriftstellerin Silvia Bovenschen ist Ende Oktober gestorben. Ihr Werk, bestehend aus Theorie, Essays und Literatur, zeugt von einem an der Kritischen Theorie geschulten Feminismus.

Silvia Bovenschen ist am 25. Oktober nach langer, schwerer Krankheit in Berlin gestorben. Sie war eine der denkwürdigsten deutschsprachigen Essayistinnen – und unter diesen eine der unzeitgemäßesten Autorinnen überhaupt. 1946 in Oberbayern geboren, studierte sie in Frankfurt am Main Literaturwissenschaft, Soziologie und Philosophie, war 68erin und dann Feministin, später Dozentin an der Universität und schließlich Schriftstellerin. Kurz vor ihrem Tod beendete sie einen letzten Roman, der 2018 unter dem Titel »Lug und Trug und Rat und Streben« posthum vom S. Fischer Verlag veröffentlicht werden wird.

Zuletzt hatte sie viel Lob für ihr Buch »Sarahs Gesetz« erfahren. Das bedachtsame Porträt ihrer mehr als 40 Jahre währenden Beziehung zur Berliner Malerin Sarah Schumann berichtete unter strikter Wahrung des Privaten kühl, aber zärtlich davon, wie zwei »gesellige Einzelgänger« zufällig zusammenfanden und zusammengeblieben sind, ohne zu einem »Wir« zu verschmelzen. Zugleich war die vornehme Schilderung des Liebens ein stilles Requiem auf die im Niedergang befindliche bürgerliche Gesellschaft. Verfasst waren die Er­innerungen »im Wissen von der Verwundbarkeit der Zivilisation«, in der Bovenschen aufgewachsen war: Sie war sich sicher, »dass meine Welt, mein Europa und all das daran, das ich liebte, vergangen ist, unwiederbringlich verloren«.

Silvia Bovenschen gehörte dem Feminismus an, ohne ihn zu repräsentieren, und kritisierte ihn, weil sie nicht an weiblichem Dazugehören, sondern an feministischer Analyse interessiert war.

An Silvia Bovenschen zu erinnern heißt, angesichts dieser pessimistischen Erkenntnis, die Geschichte der bundesdeutschen Frauenbewegung von einer singulären Erscheinung her aufzurufen. Sie gehörte dem Feminismus an, ohne ihn zu repräsentieren, und kritisierte ihn, weil sie nicht an weiblichem Dazu­gehören, sondern an feministischer Analyse interessiert war. Der Abstand resultierte schon daraus, dass sie an Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Herbert Marcuse, Walter Benjamin und Ernst Bloch geschult war, und dass ihr nebst Reflexion vor allem Stil und Eleganz als Tugenden galten. Damit übte sie fortwährenden Einspruch wider die »unausgesprochene Verabredung, dass weibliche Schönheit allenfalls in Hollywood noch sein dürfe«, was Zeit ihres Lebens sowohl in der Linken wie im von Bovenschen verspotteten »Vulgärfeminismus« Konsens ge­wesen ist.

Sie war einst Mitbegründerin des Frankfurter Weiberrats, einer der ersten feministischen Gruppierungen in der Bundesrepublik überhaupt, die den Genossen im November 1968 auf der SDS-Delegiertenkonferenz in Hannover mit dem legendären Kastrationsflugblatt einen gehörigen Schrecken einjagte. Was so mancher linke Herr noch zu Beginn des feministischen Aufbruchs von der Gleichberechtigung hielt, summiert eine exemplarische Szene in »Sarahs Gesetz«: Ein heute bekannter Schriftsteller mit APO-Hintergrund forderte Bovenschen Anfang der siebziger Jahre auf, das Studium abzubrechen – politisch wäre sie doch nützlicher, wenn sie die Belegschaft einer Autofabrik agitiere.

Als die Frauenbewegung in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre in opponierende Fraktionen zerfiel, gehörte Bovenschen zu jener, welche die Vorstellung einer weiblichen Gegenkultur strikt ablehnte und stattdessen an Kritik, Theorie und Kunst als wesentlicher Maßstab für das Handeln festhielt. Sie stand für eine vornehme Ablehnung von Identitätspolitik und Gruppendenken – nebst der Formen, die das emanzipatorische Projekt mittlerweile in der Analyse wie im Erscheinungsbild mehrheitlich angenommen hatte. Ihre um 1976/1977 erschienenen Beiträge wiesen radikal in eine andere Richtung. Viel diskutiert wurden damals zwei Aufsätze: einer über die Genese des Hexenbilds, das die Neue Frauenbewegung affirmativ aufgriff, ein anderer zur Frage, ob es etwas wie eine weibliche Ästhetik gebe. Letzterer war dabei konzipiert als Beitrag für eine zukünftige »Kampagne gegen die Larmoyanz«, die auf ein Fühlen und Denken als Opfer drängte, und mokierte sich zudem bei­läufig über das »Niveau traditioneller Kunstfeindlichkeit in der Linken«. Gemeinsam mit Marianne Schuller interviewte Bovenschen im Juli 1977 Herbert Marcuse zum Thema »Weiblichkeitsbilder«. Die beiden Literaturwissenschaftlerinnen forderten den damals fast 80jährigen Philo­sophen, der sich zunehmend an der Frauenemanzipation interessiert ­gezeigt hatte, heraus, und stellten seine These vom revolutionären weib­lichen Kollektivsubjekt auf den Prüfstand.

Bovenschen begann in dieser Zeit zudem, für die Schwarze Botin zu schreiben. In der dezidiert unsolidarischen West-Berliner Zeitschrift wurden die Irrungen der Frauenbewegung unnachgiebig mit Polemik und Satire überzogen. Die Autorinnen um Gabriele Goettle und Brigitte Classen verweigerten sich schroff der Vermählung von Gefühl und Gemeinschaft, die ihnen als Denkfaulheit galt, und torpedierten beständig die Behauptungen der anderen Lager. In der Schwarzen Botin wurden zudem regelmäßig Sarah Schumanns Collagen gedruckt, die häufig Bovenschen zeigten: an der Schreibmaschine sitzend, rauchend, lesend, denkend. Sie stand in jener Zeit häufig Modell für die Arbeiten ihrer Freundin, über deren Porträts sie später einmal urteilen würde, dass sie »die Geheimschrift, die eine ­Person für eine andere auszeichnet«, ins Bild setzten: Schumanns Arbeiten teilten den Anspruch, vom Intimen nichts preiszugeben.

Als 1979 Bovenschens Dissertation »Die imaginierte Weiblichkeit« bei Suhrkamp erschien, war dies die erste in der Bundesrepublik entstandene feministische Arbeit, die das Feuilleton in Begeisterung versetzte. Sich auf Adorno und Horkheimer berufend, analysierte sie die Diskrepanz zwischen literarischen Weiblichkeitsbildern und Autorinnenschaft. Es sollte die Studie bleiben, mit der Bovenschen Zeit ihres Lebens assoziiert werden würde.

Gemeinsam mit dem Hexen- wie dem Ästhetikaufsatz vermittelt diese Arbeit noch Jahrzehnte später einen exemplarischen Eindruck von den Qualitäten einer an der Kritischen Theorie orientierten Geschlechterforschung.
Ihre Tätigkeit als Universitätsdozentin konnte sie nach zwei Jahrzehnten nicht mehr fortsetzen, verbeamtet werden durfte sie qua Gesetz aufgrund ihrer Erkrankung an Multipler Sklerose nicht. In Frankfurt entstand noch »Über-Empfindlichkeit«, ihre kaleidoskopische Arbeit über die Idiosynkrasie, in der sie sich wieder ausführlicher mit Adorno befasste. 2003 zog sie endgültig zu Sarah Schumann nach Berlin und begann, Romane zu schreiben. Dort entstand auch der viel beachtete Essayband »Älter werden«.

Das Gender-Paradigma, das unterdessen an den Hochschulen dominant geworden war, beäugte sie kritisch. Über die Aporien der Gender Studies war sie schlichtweg entsetzt. Als die Emma-Redakteurin Chantal Louis sie im August 2017 als eine der Letzten interviewte, gab Bovenschen unmissverständlich zu verstehen, wie wütend sie über den akademisch-aktivistischen Enthusiasmus für ­repressive Kleiderordnungen war, namentlich die islamische Vollverschleierung, und über die komplementäre Denunziation substanzieller Kritik hieran als »rechts«. Es war ihr unzeitgemäßes Beharren darauf, dass manche bürgerlichen Errungenschaften nicht zur Disposition stehen, und dass feministische Kritik einst deutlich weiter, also zu mehr in der Lage war. Silvia Bovenschens ­Lebenswerk wird daran erinnern.