Small Talk mit Mike Samuel Delberg über den Plan, eine zerstörte Berliner Synagoge wiederaufzubauen

Längst überfällig

Bei den mehrtägigen Novemberpogromen von 1938 wurden zahlreiche Synagogen zerstört. Am 79. Jahrestag fragte Raed Saleh, der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, in ­einem Gastbeitrag in der »FAZ«, warum man diese Synagogen nicht wieder aufbaue. Saleh brachte den Wiederaufbau der Synagoge am Fraenkelufer in Kreuzberg ins Gespräch. Über das Vorhaben sprach die Jungle World mit Mike Samuel Delberg, einem der jüngsten Mitglieder der Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.
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STDer Vorsitzende der Berliner SPD-Fraktion hat vorgeschlagen, die Synagoge am Fraenkelufer in Kreuzberg wiederaufzubauen. Auf Facebook haben Sie geschrieben: »Wer Schlösser aufbaut, soll auch Synagogen aufbauen.« Was würde ein Wiederaufbau historischer Synagogen für Sie und Ihre Gemeinde bedeuten?
Es geht um eine sehr interessante Symbolik. In Berlin lebt die Nos­talgie derzeit auf: Man baut Schlösser auf und renoviert alte, geschichtsträchtige Gebäude. Dinge, die man aber nicht renovieren kann, sind Dinge, die zerstört wurden. Dazu gehören die Synagogen. Zur Berliner Geschichte gehört, dass Juden Teil der Gesellschaft und Synagogen Teil des Stadtbildes waren. Es wäre spannend, nicht nur ein neues jüdisches Stadtbild aufzubauen, sondern auch das vergangene ein Stück weit zurückzuholen. Man wird durch eine solche Synagoge an die guten und schlechten Teile der Geschichte erinnert. Meistens sind jüdische Gebäude heutzutage im Hinterhof versteckt. Eine Synagoge, die vorne an der Straße sichtbar steht, die ein Teil der alten Geschichte ist, aber auch der neuen Geschichte wird, könnte dem Judentum zu ein bisschen mehr Normalität in der Gesellschaft verhelfen. Sie könnte auch ein Rezept gegen das weitverbreitete Gefühl sein, dass das Judentum nicht greifbar sei – und so beim Abbau von Vorurteilen helfen.

Warum wäre gerade der Wiederaufbau der Synagoge am Fraenkelufer so bedeutend?
Die Synagoge war mit knapp 2 000 Plätzen eine der großen Synagogen der Zeit vor dem Nationalsozialismus. Sie war aber mehr als eine Synagoge, sie war ein Gemeindezentrum. Es gab einen Kindergarten, eine Suppenküche, Jugendgruppen, soziale und pädagogische Angebote. Sie nahm eine zentrale Rolle innerhalb des Berliner Judentums der Vorkriegszeit ein. Heute ist dort eine Synagoge in dem noch bestehenden Gebäude der alten Jugendsynagoge untergebracht, die aus allen Nähten platzt. Dort wird gebetet, es gibt dort Ausstellungen, man lädt zu Schabbat-Essen ein. Da wird es schnell eng. Es wäre gut, einer wachsenden Gemeinde Platz für ihre Entwicklung und das Ausleben ihrer kreativen Ideen zu geben.

Was sagt es über die sogenannte Aufarbeitung der Vergangenheit, dass immer noch keine der großen, sichtbaren Synagogen, die durch die Nationalsozialisten zerstört wurden, vollständig wiedererrichtet wurde?
Wir leben in einem Land, das sich seiner Geschichte stellen muss. Sich seiner Geschichte zu stellen, bedeutet auch, an die Dinge zu erinnern, die einmal da gewesen sind und von Deutschland zerstört wurden. Dazu gehören die alten Synagogen. Die Initiative war daher längst überfällig. Das Judentum hat immer zu Deutschland gehört. Nach der Geschichte des Zweiten Weltkrieges wäre es wünschenswert gewesen, das Judentum wieder aktiv herzuholen, auch auf eine symbolische Weise. Man darf aber nicht vergessen, dass die jüdische Gemeinschaft in Deutschland nach dem Holocaust sehr klein war. Diese kleine Gemeinschaft hatte das primäre Ziel, sich das Leben wieder aufzubauen. Große Nachbauten von historischen Synagogen waren sekundär. Jetzt haben wir aber eine andere Zeit, das Judentum wächst. Man kann sich nun der Wiederentdeckung der eigenen Geschichte widmen.