Sima Shine, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim sicherheitspolitischen Institut INSS, im Gespräch über das iranische Hegemoniestreben

»Der Iran ist das echte Problem«

Die Sicherheitsexpertin Sima Shine über die Ausbreitung des iranischen Einflusses im Nahen Osten und wie dieser zurückgedrängt werden kann.
Interview Von

Nach dem Aufkommen des »Islamischen Staats« (IS) und dem Nuklearabkommen ist die internationale Aufmerksamkeit für die Politik des Iran etwas geschwunden. Sie sagen, das sei ein Fehler. Warum?
Andere israelische Stimmen und ich haben in den vergangenen Jahren bei jeder Gelegenheit gesagt, dass der IS wichtig ist, aber dass der Iran das echte Problem ist. Alle haben sich auf den IS konzentriert; er ist zwar eine unmittelbare, aber keine strategische Bedrohung. Niemand wollte das hören. Der IS ist bald als territoriale Einheit erledigt, aber der Iran besteht weiter. Dass der Iran die Gebiete übernimmt, aus denen der IS vertrieben wird, kann kaum das Ziel der von den USA geführten Anti-IS-Koalition gewesen sein, aber genau das passiert.Zurzeit gibt es mit dem Iran zwei Probleme. Das langfristige Problem ist die Atomfrage. Ich bin nicht für die Aufkündigung des Atomabkommens, aber wir müssen über den Tag nach dessen Auslaufen nachdenken, und zwar schon heute. Es gibt aber auch eine unmittelbare Gefahr für Israel sowie für Saudi-Arabien, Jordanien und andere Staaten; das ist die iranische Präsenz im Libanon, Irak und in Syrien. Die große Zukunftsfrage ist, ob der Iran die Politik dieser Länder beeinflussen kann. Derzeit sieht es ganz danach aus und dann haben wir einen anderen Nahen Osten. Israel ist besonders wegen Syrien besorgt. Es ist kein Zufall, dass der Iran so viel Mühe, Geld und Truppen in Syrien investiert hat. Syrien ist die Verbindung zur Hizbollah, und es liegt nahe an Israel. Gute Beziehungen zwischen Syrien und dem Iran gab es auch schon früher, aber die Gefahr, dass Irans bester Freund, Bashar al-Assad, ersetzt wird und sunnitische Muslime an die Macht kommen, wollte der Iran abgewenden. So hat der Iran immer mehr Truppen nach Syrien verlegt, Schätzungen zufolge sind es derzeit 20 000 bis 30 000.

»Es ist kein Zufall, dass der Iran von einer arabisch-israelischen Verschwörung gegen ihn und die Hizbollah spricht.«

Was bedeutet das für Israel?
Aus israelischer Sicht ist das eine echte Bedrohung. Ein Teil dieser Truppen wird in Syrien bleiben, und das wird den Charakter unserer Grenze mit Syrien ändern und große Bedeutung für die Zukunft haben. Wenn es etwa wieder einen bewaffneten Konflikt zwischen Israel und der Hizbollah gibt, warum sollten diese Truppen dann nicht auch die Hizbollah unterstützen?
Zurzeit fordert Israel, dass sich ausländische Kräfte aus Syrien zurückziehen, aber das wird in naher Zukunft wohl nicht geschehen. Iranische Truppen sind gekommen, um zu bleiben. Es gibt wohl eine Übereinkunft zwischen den USA, Russland und Jordanien, keine iranischen oder proiranischen Kräfte direkt an der israelischen Grenze zu erlauben. An manchen Stellen beträgt deren Entfernung zur Grenze nur zehn Kilometer, andernorts sind es 25. Das ist gut, aber im Kriegsfall nicht wichtig, man kann in einer halben Stunde an die Grenze vorrücken.
Syrien ist derzeit ein sehr viel dringenderes Problem als die Atomfrage, und man sollte meiner Meinung nach versuchen, die Entwicklung dort zu beeinflussen. Das Atomabkommen erlaubt dem Iran in den nächsten Jahren nicht viel, deshalb ist es für die nahe Zukunft ein gutes Abkommen, auch wenn es langfristig schlecht ist.

Sima Shine

Sima Shine war im israelischen Strategieministerium verantwortlich für die Iran-Akte und zuvor in leitender Position im Sicherheitsrat für strategische Angelegenheiten und beim israelischen Geheimdienst.

Bild:
INSS / Chen Galili

Das jüngst in Frankfurt abgehaltene »Banking and Business Forum Iran Europe« war nur eine von vielen Bestrebungen, Geschäfte mit der »Islamischen Republik« auszubauen. Gibt es so überhaupt noch Druckmittel gegenüber dem Iran?
Es gibt noch die US-Sanktionen, die Dollar-Geschäfte verbieten, und auch das ganze iranische Bankensystem ist noch nicht an die internationalen Regularien bezüglich Geldwäsche und so weiter angepasst; die meisten großen Banken sind noch nicht zurück im Iran. Ganz problemlos läuft der Iran-Handel also noch nicht. Aber es ist jetzt auch sehr wichtig, dass Deutschland und andere europäische Länder nicht nur möglichst schnell wieder Geschäfte mit dem Iran machen, sondern dass dies auch mit Forderungen einhergeht. Wenn der Iran Teil der internationalen Gemeinschaft sein will, sollte er sich auch so verhalten und nicht von Regimewandel in den Golfstaaten oder der Auslöschung Israels reden. Der französische Präsident Emmanuel Macron wollte mit dem Iran in einen Dialog über dessen Raketenrüstung treten, solche Schritte sollte man unterstützen. Letztlich ist der Iran ökonomisch auf Europa angewiesen. Besonders Deutschland ist hier wegen seiner wirtschaftlichen Bedeutung gefordert, und es sollte andere europäische Länder dazu anhalten, nicht nur blind Geschäfte zu machen. Leider haben wir davon noch nichts gesehen. Das kann auch nach hinten losgehen, denn Geschäfte will man in einer stabilen und ruhigen Umgebung machen, und das Verhalten des Iran fördert keine stabilen Verhältnisse.

Teilen Sie die oft gehörte Analyse, dass der Hauptkonflikt im Nahen Osten der zwischen dem Iran und Saudi-Arabien ist, und dass dieser alle anderen Konflikte beeinflusst?
Es gibt einen großen Konflikt zwischen den beiden Ländern, und beide versuchen, andere Länder ins eigene Lager zu holen. In Saudi-Arabien gibt es gerade einen großen internen Wandel, dessen Ausgang noch nicht klar ist. Aber es sieht so aus, als ob der saudische Kronprinz und baldige König Mohammed bin Salman ein stärkeres regionales Engagement seines Landes anstrebt. Zwischen Iran und Saudi-Arabien gibt es spätestens seit der islamischen Revolution im Iran 1979 böses Blut, hinzu kommt der Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten. Aber in erster Linie ist es ein Konflikt zwischen zwei Nationalstaaten, die die regionale Vormachtstellung beanspruchen. Bin Salman nutzt diesen Konflikt gerade und heizt ihn an, auch weil er iranische Destabilisierungsversuche und Aktivitäten in Jemen und in Bahrain bemerkt sowie iranischen Einfluss im Irak an der saudischen Grenze. Aus saudischer Perspektive ist der Iran aus vielen Gründen eine große Gefahr. Die Saudis versuchen mit Unterstützung der US-Regierung alles, um den Einfluss des Iran zu verringern.
Der Rücktritt des libanesischen Ministerpräsidenten Saad Hariri war ein Schritt, um die dortige politische Lage zu destabilisieren. Die Hizbollah und der Iran haben sofort nervös reagiert und sich dagegen ausgesprochen. Der neue junge Führer in Saudi-Arabien zögert nicht, etwas gegen den Iran zu unternehmen, was vorher nicht möglich war. Die iranische Führung wirft Saudi-Arabien sogar vor, aufständische Minderheiten im Iran zu unterstützen.

Positioniert sich Israel in diesem Konflikt oder versucht das Land eher, sich herauszuhalten?
Israel positioniert sich selbstverständlich, weil es erstens gegen das iranische Regime ist und zweitens die Unterstützung der Saudis und anderer Golfstaaten in anderen Fragen benötigt, etwa bei der Palästinenserproblematik. Das iranische Regime beklagt das öffentlich, sieht diese Kooperation als Bedrohung und Verrat an. Die Saudis haben viel Geld, Israel hat viel Wissen und Erfahrung, und Israel versucht die gemeinsamen Interessen mit arabischen Staaten zu betonen. Für Israel war das immer wichtig, aber durch den Konflikt mit dem Iran gibt es eine gemeinsame Basis. Die Palästinenserfrage ist auch wichtig, hat aber keine Priorität in den arabischen Ländern. Es ist kein Zufall, dass der Iran von einer arabisch-israelischen Verschwörung gegen ihn und die Hizbollah spricht. Letztere wurde etwa auf saudische Initiative von der Arabischen Liga als Terrororganisation eingestuft.

Dient der möglicherweise von Saudi-Arabien eingeleitete Rücktritt des libanesischen Ministerpräsidenten zur Vorbereitung eines offenen Konflikts mit der Hizbollah? Und wäre das in Israels Interesse?
Nein, ich glaube, weder Israel noch die Hizbollah haben Interesse an einem Krieg. Aber die Situation an der Grenze zum Libanon oder jetzt auch Syrien kann eskalieren.

Wie hat sich die Hizbollah seit dem letzten Krieg mit Israel 2006 entwickelt?
Sie ist heute in einem viel besseren Zustand. Sie hat in Syrien sehr viel Kampf­erfahrung gesammelt und Waffen aus dem Iran und von der syrischen Armee erhalten. Israel hat ja immer wieder auch mit Luftangriffen versucht, Waffentransfers aus Syrien in den Libanon zu verhindern. Aber neben den militärischen Fortschritten sind das Leiden und die Verluste in der schiitischen Gemeinschaft im Libanon groß, was wiederum gegen eine neue Runde im bewaffneten Konflikt mit Israel spricht.
Was die politische Situation angeht, so haben in den vergangenen Jahren viele israelische Politiker und Generäle gesagt, dass Hizbollah und Libanon identisch seien, dass sie keine Differenzierung zwischen der guten, pro-westlichen libanesischen Regierung und der Hizbollah akzeptierten. Denn die Hizbollah hat im Libanon das Sagen. Es gab zwei Jahre keinen libanesischen Präsidenten, weil die Hizbollah die Kandidaten nicht akzeptiert hatte. Wenn sie also eine Auseinandersetzung beginnt, würde das aus israelischer Sicht auf den libanesischen Staat zurückfallen. Auch das ist Teil der gegenseitigen Abschreckung, die meiner Einschätzung nach derzeit funktioniert.

Sie haben die Ausbreitung des iranischen Einflusses in der Region beschrieben. Wie kann dieser wieder zurückgedrängt werden?
Das wird sehr schwer. Im Libanon ist das unmöglich, denn die Hizbollah ist Teil des Libanon, hat sich dort durch eigene Stärke in der Regierung und mehr noch im Staat etabliert. Sie ist militärisch viel besser aufgestellt als die libanesische Armee. Im Libanon wird immer noch versucht, das Gleichgewicht zwischen Schiiten, Sunniten und Christen zu bewahren, aber viele Christen haben in den vergangenen zehn Jahren das Land verlassen, und die Sunniten sind schwach. Bezüglich des Libanon bleibt also nur Abschreckung.
Syrien ist eine andere Geschichte. Es gibt dort keinen großen schiitischen Bevölkerungsanteil, es gibt viele Menschen und Akteure, die gegen Iran und Hizbollah sind, weil diese Assad gerettet haben. Man wird sehen, wie es weitergeht, ob Russland die iranische Führung dazu bringen kann, ihre Truppen abzuziehen. In Syrien gibt es Spielraum für Veränderungen, aber selbst nach einem militärischen Abzug wäre der iranische Einfluss noch wichtig.

Wie bewerten Sie das erste Jahr Nahostpolitik der neuen US-Regierung?
Die US-Regierung interessiert sich für einzelne Aspekte im Nahen Osten, nicht für die gesamte Region. Der Kampf gegen den IS ist wichtig, und es sieht so aus, als ob er in den nächsten ein, zwei Jahren an sein Ende gelangt. US-Verteidigungsminister James Mattis hat gesagt, man werde den IS bekämpfen, solange dieser kämpfen wolle. Es gibt also keinen voreiligen Rückzug der USA, und das ist wichtig. Aber man konzentriert sich auf den IS, nicht so sehr auf den Iran.
Dann gibt es viele Gerüchte über ein großes Abkommen zwischen Israelis und Palästinensern, das die US-Regierung den Konfliktparteien vorlegen will. Ich halte das für wahrscheinlich, aber es hängt natürlich davon ab, was sie vorlegt und wie sie dann die Verhandlungen leiten wird. Wenn sie Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien und andere regionale Mächte einbindet, könnte das ein Durchbruch im Konflikt werden.Viele andere Themen interessieren die US-Regierung anscheinend nicht sonderlich, etwa Syrien, aber das war schon unter Barack Obama so. Irak und Afghanistan sind etwas wichtiger, aber ich sehe nicht, wie die USA etwas verändern können. Iran und Russland sind viel stärker aktiv. Für mich sieht es so aus, als müsse die US-Regierung trotz einiger erfahrener Kräfte die Probleme des Nahen Ostens erst noch verstehen, und man muss abwarten, wie sie eigene Zielkonflikte auflöst, etwa den Wunsch, die militärische Präsenz nicht zu stärken, aber zugleich den iranischen Einfluss im Nahen Osten einzudämmen.