Metal aus Jerusalem: die Band Arallu

Wütende Rufe aus der Wüste

Arallu drücken ihre Erfahrung mit dem Terror in düsteren und okkulten Metaphern aus.

Wenn Arallu auf die Bühne stürmen, sind neben den obligatorischen ­E-Gitarren allerlei ungewöhnliche Gerätschaften mit von der Partie. Zuletzt konnte man in Deutschland während einer kleinen Tour im Frühjahr die mandolinenartigen Saiteninstrumente, Kalebassen und anderes Schlagwerkzeug der israelischen Metalband bestaunen. Damals kündigten sie für Oktober eine neue Veröffentlichung an. In Armeehosen und mit erdfarbener Schminke im Gesicht inszenierten sie sich als Wüstenkrieger mit harter Schale und bezeichneten das just erschienene Album als »riesigen und gewalttätigen Dämon aus der antiken Welt«. Mit ihrem ­unverwechselbaren Mix aus sägenden Gitarren und rasantem Trommelspiel, Schreigesang und orientalischen Folkfragmenten haben sie sich einen Namen auch in der hiesigen Subkultur erspielt.

Israel genießt nicht unbedingt den Ruf, eine Hochburg des Metal zu sein. Einschlägige Bands lassen sich an den Fingern einer Hand abzählen. Am bekanntesten sind noch Orphaned Land, aber auch sie sind eher ein Geheimtipp. Setzen diese auf Versöhnung der Religionen und Rock als Friedensbringer im Palästina-Konflikt, so halten Arallu ganz im Gegensatz dazu der gewalttätigen Gegenwart den bluttriefenden Spiegel vor. In martialischem Gewand zielen sie auf die Aggressionen und Absurditäten, die sie beim Aufeinandertreffen der drei monotheistischen Religionen in ihrer Heimatstadt Jerusalem beobachten, wo sie sich in den späten Neunzigern gründeten. Sie setzen sich mit den Widersprüchen zwischen Sakralraum und Alltag dort auseinander, wo jeder Stein heilig ist.

Arallu ist akkadisch für »Unterwelt« sowie »Götterberg«; dieser »Weltberg«, auf dem die Götter geboren wurden und aufwuchsen, wird in Jerusalem lokalisiert. Bei den Musikern überwiegt aber sicherlich das Interesse für die Unterwelt. Für das Dämonische hegen sie eine Fas­zination und deuten Arallu auch als Namen eines Fürsten der Finsternis, wie eine Liedzeile verrät: »Open the gate to Arallu, Messiah of all evil.« »The War on the Wailing Wall« (»Der Krieg gegen die Klagemauer«) hieß ihr Debütalbum von 1999, gefolgt von »Satanic War in Jerusalem« im Jahr 2002. Das nun herausgekom­mene sechste Studioalbum heißt schlicht »Six«.

 

Inspiriert von den Ereignissen im Nahen Osten

Es wäre ein großes Missverständnis, Metal an sich als Gewaltorgie und -verherrlichung zu begreifen; solche Tendenzen sind eher selten. Metal ist eher reflektierender Umgang mit morbiden Themen, mit Gewalt und Tod und stellt – gepaart mit überzogenen parodistischen Elementen – ein monumentales Memento Mori dar. Im Interview mit der Jungle World sagt der Sänger von Arallu, Moti Daniel: »Wenn du dort lebst, wo der Terror dich umgibt, inspiriert dich dieser, ob du willst oder nicht. Ich ­erinnere mich an den Bus, der neben mir explodiert ist, und den Hass, der daraufhin aus den Nachrichten kam.« Damals sei er 16 gewesen, so der Mitbegründer der Band, der auf den illustren Beinamen Butchered hört. In dieser Zeit habe der aus Europa schwappende Black Metal seiner Gefühlswelt entsprochen. Deshalb wollte er seine Emotionen in eben­solcher Musik ausdrücken. »Arallus Musik ist inspiriert von den Ereignissen im Nahen Osten, dem Blutvergießen in Jerusalem und dem glo­balen Terror. Wir leben in Jerusalem, dem Herzen des religiösen Konflikts von der Antike bis heute. All unsere Musik und die Texte drehen sich um dieses Gebiet und seine Geschichte. Unglücklicherweise können wir keinen Silberstreifen am Horizont erkennen. Ich wurde in diesen Krieg ­hineingeboren, und wenn ich sterbe, wird der Krieg wahrscheinlich immer noch Realität sein. Die Gründe dafür möchte ich gerne verstehen.«

Mit ihrem unverwechselbaren Mix aus sägenden Gitarren und rasantem Trommelspiel, Schreigesang und orientalischen Folkfragmenten haben sich Arallu einen Namen auch in der hiesigen Subkultur erspielt.

Unmittelbar politische Botschaften wollen Arallu nicht vermitteln, eher eine ablehnende Haltung zu Gegenwartsphänomenen ausdrücken, die sie nicht ändern können. Ihre Wut und Resignation wird zu Musik, nicht zu Hass. »Wir hassen niemanden aufgrund seiner Hautfarbe oder Reli­gion. Unsere Texte sind klar! Wir gehen alles an, was uns verletzt; uns als Menschen, uns als Individuen.« Über Religion sagt Moti Daniel, sie solle ihn in Ruhe lassen. »Religion ist ein Hauptgrund für die Kriege der Welt. Ja, wir haben den Konflikt bei uns, aber nicht alle Israelis sind religiöse Menschen. Die drei Hauptreli­gionen werden sich nie einigen. Wir können nur danebensitzen und schmunzelnd ›Hail Satan‹ in ihre Richtung sagen.« Ihre Aussagen kommen dem Metal-Genre entsprechend düster verpackt daher: Eines Tages soll von Israel aus ein uraltes Mesopotamien (wieder)auferstehen, das den Krieg um die heilige Stadt befrieden wird. Diese okkulte Erwartung dient ihnen als schwarze Überzeichnung der Wirklichkeit.

Das vorige Album »Geniewar« von 2015 thematisiert die Konflikte nach Israels Unabhängigkeitserklärung, den Sechstagekrieg, aber auch den derzeitigen Bürgerkrieg in Syrien. Leicht pathetisch und damit im typischen Metal-Jargon, zu dem etwas Großmaulattitüde gehört, sagt der Sänger: »Dieses Album ist der Spiegel des Menschengeschlechts, es geht um die Scheinheiligkeit der Regierungen in der ganzen Welt, auch der ­israelischen, sowie den Unwillen und die Angst, gegen die extremen reli­giösen Führer anzukämpfen.« Auf dieser Platte wird Arallus Stoßrichtung schon sehr deutlich.

 

Ein Hybrid aus Metal und orientalischer Musik

»Six«, das neben dem Übergreifen des Terrors nach Europa und in die USA auch Persönliches thematisiert, übertrumpft den Vorgänger in dieser Hinsicht aber noch. Der anfangs pure Black Metal der Band mit rumpeligem Groove und rohem Sound ist zu einem Hybriden aus Metal und orientalischer Musik gereift. Das habe sich allmählich und fast automatisch ergeben, sagt der Sänger. Die Musik seiner Kindheit sei orientalisch gewesen, so sei es gekommen, dass er ihre Elemente in den Metal einwebte.

Das Intro von »Six« gibt die Richtung vor: Mächtig und majästetisch geben die Drums den Takt an, leisere Töne kommen von einer arabischen Trommel, hebräische Wortfetzen wehen durch beginnendes Lautenspiel. Dann ziehen im zweiten Song schnelle Gitarren auf, das Tempo beschleunigt sich. Thrash-Einflüsse à la Slayer sind herauszuhören, häufiger geworden sind Tempowechsel und hymnische Elemente, die zwischen ­aggressive Parts treten. Neben den Gitarren erklingen orientalische ­Saiteninstrumente wie die Saz. Ins Schlagzeug-Set sind entsprechende Trommelarten wie die Darbuka – eine einfellige Bechertrommel – integriert, mit denen auch typische Taktfolgen angeschlagen werden.

Arallu klingen am Genrestandard gemessen ziemlich sperrig, ihr rhythmisches Mäandern entzieht sich der Schlichtheit des Mitklatsch-Metal. Sie sind nicht als Ohrwürmer oder Stimmungshits gedacht. Man muss sich einhören und auf die Songs einlassen, um Zugang zu ihnen zu finden. Dann aber lässt einen der Dämon nicht vom Haken. Denn als wütende Rufer in der Wüste haben Arallu nichts an Wucht eingebüßt. Das soll auch 2018 wieder auf europäischen Clubbühnen zu erleben sein. Der Erfahrung nach kann man mit den sympathischen Typen nach dem Konzert auch noch ein Bier trinken. Das Bild der Unterweltler relativiert sich dabei erheblich: Im privaten ­Gespräch sind sie zivilisiert, flapsen herum oder geben orientalische Weisheiten von sich.

 

Arallu: Six (Transcending Obscurity Records)